Essen. Sind 860.000 Euro für den Winterdienst auf Radwegen angemessen oder „rausgeschmissenes Geld“? Darüber wird in Essen heftig diskutiert.
860.000 Euro hat der Rat der Stadt im städtischen Haushalt für den Winterdienst auf Radwegen festgeschrieben. So viel wie nie zuvor. CDU und Grüne, die im Rat die Mehrheit stellen, hatten – wie berichtet – das von Stadtkämmerer Gerhard Grabenkamp vorgesehene Budget um 500.000 Euro aufgestockt. Leser reagierten darauf mit Unverständnis, ja Ärger. Tenor: Im Winter seien doch nur wenige Radfahrer unterwegs. Wer auf das Auto verzichten wolle und stattdessen ein umweltfreundlicheres Verkehrsmittel wählen möchte, könne doch leicht auf Bus oder Bahn umsteigen. Kurz: 860.000 Euro wären anderer Stelle besser angelegt. Mancher nennt die im Haushalt festgeschriebene Summe „rausgeschmissenes Geld“. Ist es das?
Winterdienst auf Radwegen soll Anteil des Radverkehrs steigern helfen
Stephan Neumann, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen Ratsfraktion, sieht das anders. Neumann lebt seit sechs Jahren in Essen. Nach eigenen Worten nutzt er täglich das Fahrrad auf dem Weg von Rüttenscheid in die Innenstadt. Anfangs sei ihm dabei kein einziger Radfahrer begegnet. Das aber habe sich längst geändert. Der Radverkehr nehme zu. Auch in dieser unfreundlichen Jahreszeit.
Kritik am Budget für den Winterdienst auf Radwegen kann Neumann nicht nachvollziehen. „Straßen und Fußgängerwege werden im Winter geräumt, warum nicht auch Radwege?“, fragt der Grünen-Politiker und betont: „Wir schließen eine Lücke.“
Ulrich Beul sieht das ähnlich. Der verkehrspolitische Sprecher der CDU-Fraktion erinnert an das Ziel das sich die Stadt Essen beim Radverkehr gesteckt hat: Dessen Anteil soll bis zum Jahr 2035 auf 25 Prozent steigen. Der Winterdienst auf Radwegen soll dazu beitragen.
Die FDP hält 860.000 Euro für Winterdienst auf Radwegen für überzogen
Beul hält es deshalb für erforderlich, dass nicht nur Radwege des Hauptroutennetzes im Falle des Falles von Eis und Schnee befreit werden, sondern auch Fahrradtrassen, wie die Gruga-Trasse. Im vergangenen Winter seien dort mehrere Radfahrer gestürzt. Die Trasse würde eben nicht nur von Radfahrern in der Freizeit genutzt, sondern auch zum Beispiel auf dem Weg zur Arbeit. Ein Budget von 860.000, damit für 180 Kilometer Radwege geräumt werden können, hält Beul für angemessen. „Wir haben den Anspruch, dass es zu 100 Prozent funktionieren muss. Dafür müssen wir Geld in die Hand nehmen.“
Im Rat der Stadt gibt es auch andere Meinungen. Dass an vielbefahrenen Straßen nicht nur die Fahrbahn geräumt wird, sondern auch abmarkierte Radwege, kann Hans-Peter Schöneweiß noch nachvollziehen. Auch Gefahrenstellen und auf Brücke müsse selbstverständlich gestreut werden, betont der Vorsitzende der FDP-Ratsfraktion. Aber wer nutzt schon im Winter das Rad, fragt auch Schöneweiß. Sein Eindruck: Die für den Winterdienst auf Radwegen veranschlagte Summe „steht in keinem Verhältnis“.
Die Stadt Essen veranschlagt für Straßenreinigung und Winterdienst 23,8 Millionen Euro
Eines fällt auf bei Befürwortern wie Kritikern: Das Gefühl, der subjektive Eindruck spielt bei der Bewertung eine Rolle. Lässt sich der Eindruck objektivieren? Ein Leser weist daraufhin, dass die Stadt in diesem Jahr für „Straßenreinigung und Winterdienst“ insgesamt 23,8 Millionen Euro veranschlagt. Gemessen daran mache der Winterdienst auf Radwegen nur einen Anteil von 3,6 Prozent aus.
Der Anteil des Radverkehrs lag laut Mobilitätsumfrage von 2018 in Essen bei sieben Prozent. Er dürfte in den vergangenen Jahren weiter gestiegen sein. Der Fahrradhandel erlebte zuletzt jedenfalls einen Verkaufsboom. Dies sagt aber noch nichts darüber aus, wie viele Radfahrer im Winter oder gar bei Schnee und Eis unterwegs sind.
Wie viele Radfahrer fahren wirklich bei Schnee und Eis? Dazu geben auch Zählungen keinen Aufschluss
Einen kleinen Anhaltspunkt liefern die Zählstellen, die die Stadt an der Grugatrasse und an der Huyssenallee unterhält. An der Huyssenallee wurden in diesem Jahr noch keine Radfahrer gezählt, da die Zählstelle defekt ist. Zwischen dem 1. Januar und dem 18. Januar des vergangenen Jahres waren hier 5896 Radfahrer unterwegs. Im gleichen Zeitraum des Monats Juli waren es 13.094.
Auf der Grugatrasse fuhren zwischen dem 1. und 18. Juli des vergangenen Jahres 36.794 Radfahrer. Zwischen dem 1. und 18. Januar dieses Jahres waren es 13.077, also im Vergleich zum Sommer etwas mehr als ein Drittel. Die Statistik gibt allerdings keinen Aufschluss, wie die Nutzung bei Schneelagen ist.