Essen. Ihre Kredite in Schweizer Franken kommen die Stadt Essen teuer zu stehen. Die Freigabe des Euro-Wechselkurses in der Schweiz muss die hochverschuldete Kommune voraussichtlich mit Millionen bezahlen.
Mit Lawinen und ihren Folgen kennen sie sich aus in der Schweiz. Nun ist die Schweiz fern, und doch ist sie sehr nah, seit die Stadt Essen Kredite über 450 Millionen in Schweizer Franken aufgenommen hat. So löste jene Lawine, die die Schweizer Nationalbank gestern lostrat, ein Beben aus, das Essener Rathaus in seinen Grundfesten erschütterte.
Nein, damit hatte Stadtkämmerer Lars Martin Klieve nicht gerechnet. Bis zum gestrigen Tag trug es Essens oberster Kassenwart wie ein Mantra vor sich her: Die Eidgenossen werden die europäische Währung nicht tiefer als 1,20 Franken sacken lassen. „Ich hatte keinen Zweifel am Willen der Schweizer Nationalbank“, sagte Klieve am Donnerstag Nachmittag und musste sich zu dieser Stunde längst eines Besseren belehren lassen. Die Schweiz hatte den Wechselkurs zum Euro freigegeben. Was bis dahin so sicher schien wie sprichwörtlich die Schweizer Bank, löste sich im Laufe des Tages so schnell auf wie der Schnee in den Schweizer Alpen in der Frühlingssonne.
Franken schienen ein gutes Geschäft zu sein
Dabei schienen Kredite in Franken Anfang des Jahrzehnts ein gutes Geschäft zu sein. Längst hat es sich ins Gegenteil verkehrt. Aus den Zinsgewinnen, die die Stadt in den ersten Jahren einfahren konnte, ist längst ein Verlust geworden. Der setzte 2008 mit Beginn der Eurokrise ein und wird seitdem Jahr für Jahr fortgeschrieben.
Zum Jahresende 2014 summierte sich der Verlust auf 92,7 Millionen Euro, so dass der Kämmerer in der Bilanz eine Wertkorrektur in Höhe von 7,5 Millionen Euro vornehmen musste. Zynisch gesprochen ist das eine geradezu lächerlich geringe Menge Geld, gemessen an dem, was der Kämmerer am gestrigen schwarzen Donnerstag mit ansehen musste. Da verlor die Stadt binnen Minuten die sagenhafte Summe von 100 Millionen Euro an Eigenkapital, denn zeitweise wurde der Euro nur noch mit 0,86 Schweizer Franken gehandelt – ein historischer Tiefststand.
Im Laufe des Tages sollte der Wechselkurs sich zwar zugunsten des Euro wieder erholen auf 1,03 Franken am Abend, für die Stadt würde auch das buchhalterisch einen Verlust in zweistelliger Millionenhöhe bedeuten. Abgerechnet wird erst zum Jahresende. Manifestiert sich der Wertverfall der Gemeinschaftswährung jedoch, hätte dies dramatische Folgen für den Haushalt. Das Defizit dürfte dann deutlich höher ausfallen als jene 52 Millionen Euro, mit denen Klieve ohnehin schon kalkuliert. Der angestrebte Haushaltsausgleich, er würde wohl in weite Ferne rücken. Was die Kommunalaufsicht dazu sagen wird? Eine spannende Frage.
Kämmerer muss sich den Vorwurf gefallen lassen, er habe sich verspekuliert
Nicht nur der Wechselkurs des Euro im Verhältnis zur Schweizer Währung hat gelitten, sondern auch der Ruf des Kämmerers. Schon vor dem gestrigen Erdrutsch musste Klieve sich den Vorwurf gefallen lassen, er habe sich verspekuliert.
Dass es nicht die allerbeste Idee gewesen ist, Kredite in Franken aufzunehmen, diese Einsicht ist auch bei ihm gereift. Aber hinterher ist man immer schlauer. Was nun? In der zweiten Jahreshälfte 2015 stehen Kredite über 390 Millionen Franken zur Verlängerung aus, die langfristige Zinsbindung läuft dann aus.
Es klingt wie Ironie der Geschichte, dass der Kämmerer der Politik in der Vorlage für die Sitzung des Finanzausschusses in der kommenden Woche vorschlägt, die Kredite zu verlängern, weil — so heißt es im Wortlaut – „eine Abwertung unter die Marke von 1,20 Euro je Schweizer Franken nicht droht“. Papier mag geduldig sein, die Wirklichkeit hat den Kämmerer eingeholt. Steigt die Stadt jetzt aus dem Franken aus? Klieve wird das wohl nicht empfehlen. Auch Jörg Uhlenbruch, Finanzexperte der CDU-Fraktion, warnte vor einer Panikreaktion. „Wenn man einen sehr langen Atem hat, wird sich die Welt auch wieder drehen.“