Essen.. Die Essener Verkehrs AG spricht stolz von der Kulturlinie 107. Demnächst soll diese noch geteilt werden, so dass es zwei Kulturlinien gibt: 107 und 108. Ungerecht muss das die Linie 109 finden. Denn entlang ihrer Strecke zwischen Steele und Frohnhausen finden sich etliche spannende Sehenswürdigkeit, die das Aussteigen lohnenswert machen.

An der Anfangsstation Steele geht’s zu Fuß links über die Busch- und Schönscheidtstraße in den Äbtissinsteig: Dort hat das Atelierhaus Alte Schule ihren Sitz. Seit den 1980er Jahren ist die aus dem Jahr 1898 stammende Pestalozzi-Schule ein Platz für Kunst: Erst nutzte der Bildhauer Herbert Lungwitz die Räumlichkeiten, seit 1988 ist das Haus eng mit der Künstlerin Doris Schöttler-Boll verknüpft. Sie arbeitet hier nur, sondern hat das Haus auch als Ausstellungs- und Veranstaltungsstätte etabliert.

Wir gehen zurück zum Bahnhof, steigen in die heimliche Kulturlinie 109 und entdecken bereits eine Station später mit dem „Stadtgarten“ nicht nur den historischen Kuppelsaal des 1900 errichteten Gastronomie- und Veranstaltungssaals ist sehenswert. Biegen wir von der Steeler Straße links in die Krimmstraße, so stolpern wir fast über das Maler- und Bildhauer-Atelier von Jörg W. Schirmer. Kunst zum Anfassen ist in dem geräumigen Hof angesagt: Bereits am Eingang wird man von einen seiner berühmten Skulpturen, die auf großem Fuße leben, begrüßt. In der Werkstatt ist oft der Künstler selbst anzutreffen. „Wann immer das Tor offen steht, darf man eintreten und sich umschauen“, sagt Schirmer, während er seinen Vorhof zur Kunst präsentiert.

Ein Trödler in der dritten Generation

Genau zwischen den Haltestellen „Stadtgarten“ und „Knappschafts-Krankenhaus“, an der Steeler Straße 473b, hat Jörg Meuser sein Reich aufgebaut. „Ich bin Trödler bereits in der dritten Generation“, verrät er, während er sein von Metallskulpturen und Pflanzen umgebenes Reich öffnet: den Steeler Antikhandel. Krimskrams und Fundstücke vom 18. Jahrhundert bis in die 1960er findet man hier: „Alles, was die Bandscheibe erlaubt, hier hochzutragen“, lächelt Meuser, der hier zugleich noch das Atelier Unbequem innehat: Hier fertigt er Schuhe aus Metall. Nicht zum Tragen, nur zum Gucken. Sind halt so, wie das Atelier heißt.

Wer keinen Blick auf den 1923 erbauten Parkfriedhof, der größten Friedhofsfläche der Stadt, werfen will und auch das 1955 eröffnete Eulenspiegel, eins der letzten Stadtteilkinos Essens, direkt an der Haltestelle „Wörthstraße“ schon kennt, der kann am Wasserturm am Dieter-Krebs-Platz aussteigen. 1884 wurde er von Otto Intze im Stile des Historizismus erbaut. Im Zweiten Weltkrieg zerstört, dient er nach dem Wiederaufbau auch heute noch als Trinkwasserspeicher.

Und so geht die spannende Fahrt mit der heimlichen Kulturlinie weiter

Wer an der Hollestraße aussteigt, sollte auf dem Dietrich-Oppenberg-Platz der Staue des Platznamensgebers und NRZ-Gründers besuchen. Vorbei an der Haltestelle „Rathaus Essen“, wo die Alte Synagoge als Haus jüdischer Kultur offen steht, beginnt am Rheinischen Platz, das Nordviertel, aus dem ein Künstler- und Szeneviertel entstehen soll, das sich bis zum Berliner Platz erstreckt. Szenekneipen, das Varieté GOP, der Kreativtreff Unperfekthaus und nicht zuletzt das Colosseum-Theater bieten dafür schon jetzt beste Rahmenbedingungen.

Wer das Thyssen-Krupp-Quartier noch nicht kennt, sollte an entsprechender Haltestelle mal aussteigen. Ansonsten beginnt an der Helenenstraße das multikulturelle Leben der Altendorfer Straße: Nicht zuletzt unzählige Dönerläden, die teils 24 Stunden täglich geöffnet haben, tauchen die Straße nachts in neonbuntes Licht. Jedoch ist hier auch der städtische Hauptumschlagplatz für illegale Drogen.

Eishockeyfreunde kennen die Eissporthalle und Spielstätte der Moskitos an der Haltestelle Essen-West nur zu gut.

„Am Riehlpark“ lässt sich nicht nur die namensgebende Grünfläche besichtigen, die einst für Kruppmitarbeiter errichtet wurde. Schreitet man die Lüneburger Straße entlang entdeckt man direkt am Frohnhauser Markt den vegetarischen Imbiss „Why So Serious?“ Der einstige Sternekoch Christian Döveling beweist hier, das Fast Food und gesundes Essen kein Widerspruch sein muss.

Ein Zentrum für Jugendkultur

Entsprechend gestärkt lohnt sich ein kleiner Marsch zur Mülheimer Straße 70: Dort steht die Apostelkirche samt Notkirche. Diese diente nach dem zweiten Weltkrieg als Gottesdienst, nachdem die Apostelkirche zerstört wurde. Heute finden dort regelmäßig Kunstausstellungen und Veranstaltungen statt. Direkt daneben ist der Frohnhauser Kultur Keller beheimatet, das Zentrum für Jugendkultur im Stadtteil.

Über die Berliner Straße, vorbei an der Szenekneipe Anyway, geht es an der Haltestelle Gervinusstraße zurück in die 109, um bis zur Endhaltestelle Frohnhausen Breilsort zu fahren. Dort ist es nicht mehr weit zum Naturschutzgebiet Winkhauser Bachtal. Wer genug vom Straßenbahnfahren hat, kann hier per pedes oder Rad eins der schönsten Grenzgebiete zwischen Mülheim und Essen erkunden.Oder einfach die Tour wieder zurückfahren.