Essen. Trauriger Rekord: Die Zahl der Inobhutnahmen stieg im vergangenen Jahr erneut. In 376 von 431 Fällen war der Nachwuchs gefährdet. 235 Mal waren Mädchen betroffen.
Ulrich Engelen weiß offenbar genau, worüber er spricht: „Wir haben keinen Hinweis darauf, dass die Zahlen der vorläufigen Schutzmaßnahmen für Kinder und Jugendliche zurückgehen werden“, sagte der Leiter der Sozialen Dienste vor etwa einem Jahr. Mit dieser Voraussage eines neuen traurigen Rekords sollte er Recht behalten: Das Jugendamt hat in 2013 exakt 431 unter 18-Jährige in Obhut nehmen müssen. Das ist ein neuer Höchststand und bedeutet 62 Fälle mehr als im Jahr zuvor. Gegenüber 2011 mussten die Helfer sogar 111 Mal häufiger einschreiten.
Es sind beunruhigende Zahlen, denen dennoch etwas Beruhigendes innewohnt: Zu wissen, dass man in Essen „ganz gut aufgestellt“ ist, wenn es gilt, Kinder vor Krisen oder auch familiären Katastrophen zu bewahren. Wer genauer hinschaut, sieht mehr, heißt die Devise. Seitdem vor allem auch die Schulen in das Alarmsystem des Kinderschutzes eingebunden sind, steigen die Zahlen Jahr für Jahr und fast immer benötigt eine Familie Unterstützung in unterschiedlichster Ausprägung.
70 Prozent der Leidtragenden waren zwischen zwölf und 18 Jahre alt
Dennoch ist es alarmierend, wenn binnen eines Jahres 376 junge Essener wegen einer akuten Gefährdung aus ihrer Familie geholt werden. 70 Prozent der Leidtragenden waren zwischen zwölf und 18 Jahre alt, 13 Prozent unter sechs und ein Zehntel jünger als drei Jahre.
Über die Schwere der Fälle weiß die Statistik wenig. Führt doch jede Herausnahme aus dem häuslichen Rahmen sozusagen zu einem Strich – egal, welche Folgen die Familienkrise hatte und wie schnell sie möglicherweise beigelegt werden konnte.
Rund 60 Prozent der Inobhutnahmen sind nach drei, 80 Prozent immerhin nach neun Tagen beendet. Was für Ulrich Engelen heißt, „dass wir die Krisensituation in der Regel mit ambulanten Hilfen meistern können“. Die Zahl der ungeliebten wie teuren Heimunterbringungen sei dadurch „deutlich zurückgegangen“. Engelen ist klar: „Eine Inobhutnahme ist für alle ein schwerer Schlag.“ Jedes Eingreifen müsse vertretbar sein. Man dürfe deshalb nicht nachlassen in dem Bemühen, die Hilfen möglichst genau auszurichten. „Ich glaube, wir haben alle Stellhebel so justiert.“
Der häufigste Anlass für vorläufige Schutzmaßnahmen war mit 150 Fällen oder 33,9 Prozent Überforderung der Eltern. Ein Verdacht auf Misshandlung oder Vernachlässigung lag in 3,8 beziehungsweise 8 Prozent der Fälle vor. Und eine neue Tendenz zeichnet sich bereits ab: Im ersten Halbjahr griff das Jugendamt noch häufiger ein als im vergangenen, weiß Engelen: „Wir müssen mehr als wachsam sein.“