„Ja, wo sind denn die Herren geblieben“, ruft Eduard Naboreit erstaunt, als er die Schneiderwerkstatt des Aalto-Theaters betritt. Und dann strahlt er, als drei junge Schneiderinnen ihn in ihre Mitte nehmen und durch die Werkstatt führen. Wolle, Webpelz, Seide, Samt, Spitze, Leinen, Baumwolle – das war mal seine Welt. Naboreit ist ein Urgestein des Theaters – der Herrenschneider hat bis 1983 für die Essener Bühnen Kostüme gefertigt. „Damals haben hier fast nur Männer gearbeitet“, erklärt er seinen Ausruf von vorhin. Der Besuch im Aalto ist eine Überraschung zu Naboreits 95.Geburtstag, eingefädelt von seinem Betreuer Klaus Lentföhr. Und nicht nur der heutige Kostümdirektor Ulrich Lott gibt dem betagten Kostümschneider die Ehre, sondern auch sein alter Chef Richard Pitsch und dessen Nachfolgerin Gudrun Flaskämper sind gekommen, um das Geburtstagskind zu begrüßen.
„Dass ich das noch erleben darf“, sagt Naboreit gerührt und streicht dabei fast zärtlich über die Stoffballen, die auf den langen Tischen ausgebreitet liegen. „Hier habe ich meine schönste Zeit verbracht“, seufzt er und zieht einen Stapel rotstichiger Fotos fröhlicher Runden aus der Tasche, die er allen Anwesenden zeigt. Wie eine Familie sei die Kostümabteilung gewesen, die damals noch im Grillo-Theater war. „Wir haben zusammen gut gearbeitet, aber auch gut gefeiert“, ergänzt Richard Pitsch. Er war es, der Eduard Naboreit ins Grillo geholt hatte, „wir wollten nur die Besten haben“. Richard Pitsch, inzwischen auch schon 82 Jahre alt, war von 1962 bis 1995 Kostümdirektor am Theater, hat also noch den Umzug ins Aalto miterlebt. „Im Grillo war es irgendwie kleiner und familiärer“, meint er.
Geschneidert wurde damals genauso sorgfältig und perfekt wie heute. „Wer glaubt, bei uns wurde mit heißer Nadel genäht, irrt“, sagt Naboreit. Schließlich müssen die Kostüme mehr aushalten als normale Bekleidung. Und sie wurden und werden oft für eine neue Produktion umgearbeitet. „Deswegen war die Arbeit im Theater die Krönung meines Handwerks.“
Während Richard Pitsch und Gudrun Flaskämper noch häufig Aufführungen in den beiden Essener Häusern besuchen, hat sich der Radius von Eduard Naboreit in den letzten Jahren arg verkleinert. Der frühe Unfalltod seines einzigen Sohnes, die über zehnjährige Pflege seiner Frau und eine schwere Krebserkrankung haben den 95-Jährigen mitgenommen. Vor vier Jahren zog er ins Seniorenstift St. Andreas. Etwas einsam war er dort, erzählt er, und habe sich einen Freund gewünscht. Die Sozialarbeiterin griff die Bitte auf und konnte den ehrenamtlichen Betreuer Klaus Lentföhr gewinnen. Mit ihm teilt Naboreit seine Liebe zu schönen Stoffen – Lentföhr ist Textilkaufmann – und die Liebe zum Theater. Und ab und an auch mal einen kleinen Schnaps: „Ich habe eine Bar auf meinem Zimmer“, verrät er noch, bevor er mit seiner Geburtstagsgesellschaft von dannen zieht: Zum 95. gibt es natürlich noch ein Gläschen Sekt. „Standesgemäß im Saalbau“, sagt Naboreit. „Der heißt heute Philharmonie“, verbessert ihn Richard Pitsch. „Weiß ich doch“, sagt Naboreit grinsend, „aber für mich bleibt`s der Saalbau.“