Essen. Die Zahl der Kirchenaustritte hat in Essen im Jahr 2014 einen neuen Rekord erreicht. Als Gründe gelten die Kapitalertragssteuer – und eine gestörte Beziehung.

Während jetzt auf den Philippinen Millionen Gläubige eine Messe mit dem Papst feierten, scheint es hierzulande keinen Franziskus-Effekt zu geben – im Gegenteil: 2014 erreichte die Zahl der Kirchenaustritte in Essen einen neuen Rekord. 3654 Gläubige erklärten bei den drei Amtsgerichten der Stadt ihren Austritt. 1584 von ihnen waren Protestanten, sagt Stefan Koppelmann, Sprecher der Evangelischen Kirche. Demnach verlor die katholische Kirche über 2000 Gläubige.

Offiziell bestätigen kann Bistums-Sprecher Ulrich Lota diese Zahl noch nicht: Man warte erst auf die Rückmeldung aus allen Gemeinden. Klar sei, „dass wir es mit einem anhaltend hohen Niveau zu tun haben“. Tatsächlich muss man wohl von einem erheblichen Anstieg sprechen: Den stadtweit 3654 im vergangenen Jahr stehen 2280 Austritte im Jahr 2013 gegenüber. Dabei hatten beide Kirchen schon damals eine Art Exodus erlebt: Nach dem Skandal um Limburgs Bischof Tebartz-van-Elst, der seine Residenz prunkvoll hatte umbauen lassen, zweifelten viele Gläubige am verantwortungsvollen Umgang mit ihren Kirchensteuern.

Steuerreform 2014 sorgte für zahlreiche Austritte

Kirchenaustritte in Essen   
 201220132014
Amtsgericht Essen116415832459
Amtsgericht Borbeck209328570
Amtsgericht Steele355369625
Gesamt172822803654

Da half es dem Ruhrbistum nicht, dass Bischof Franz-Josef Overbeck die Mittel des Bischöflichen Stuhls früh offenlegte. Spitzenwerte von je 200 Austritten verzeichnete das Amtsgericht Essen im Nachklang der Limburger Affäre im Oktober, November, Dezember 2013. „Sonst sind es monatlich etwa halb so viele“, sagt Gerichtssprecher Michael Schütz. Doch auch 2014 wurde die 200er-Marke in fünf Monaten überschritten.

„Leider wissen wir wenig über die Motive der Leute“, bedauert Koppelmann. Ablesen könne man an den Austrittszahlen der Vergangenheit lediglich, wie sensibel Gläubige auf finanzielle Aspekte reagieren: So kehrten der evangelische Kirche Essen 1992 nach Einführung des Solidarzuschlags 2277 Mitglieder den Rücken. Einen ähnlichen Effekt sehe man 2014, bestätigt Generalvikar Klaus Pfeffer: „Die Umstellung beim Einzug der Kirchensteuer auf Kapitalerträge sorgte für große Verunsicherung.“

250 Rückkehrer jährlich

Für den „traurigen Verlust“ (Pfeffer) machen weder Protestanten noch Katholiken allein die Kapitalertragssteuer verantwortlich: „Oft hat bei den Leuten die Bindung zur Kirche viel früher nachgelassen“, so Koppelmann, und Lota stimmt zu: „Wenn ein Gläubiger geht, ist seine Beziehung zur Kirche schon länger gestört.“ Darum erhoffe er sich auch keine große Resonanz, auf die Briefe, die die Pfarrer neuerdings an jedes verlorene Schäfchen schicken. Als wirkungsvolleres Gesprächsangebot sehe er das Magazin „Bene“ des Bistums, das regelmäßig auch an die noch immer gut 200.000 Katholiken in Essen verschickt wird.„Es ist ein Signal: ,Die Kirche kommt zu mir nach Hause.’ Dafür erleben wir viel Zuspruch.“

Tröstliches weiß auch Koppelmann zu berichten: Zum einen lebten in Essen aktuell 143.000 Protestanten, so dass man weiter von einer Volkskirche sprechen könne. Zum anderen gebe es jährlich gut 250 Rückkehrer: „Bei denen ist die Bereitschaft groß, von ihren Motiven für Austritt und Wiedereintritt zu erzählen.“ Die Kirchenleute werden gewiss gut zuhören.