Essen..
Zwei weiterführende Schulen in Essen stehen kurz vor der Einführung von Integrativ-Klassen mit Behinderten. Viele andere Schulen diskutieren, ob solche Angebote den Kindern wirklich helfen. Anderen Schulen fehlt für diesen Schritt noch Unterstützung.
An vielen weiterführenden Schulen wird derzeit diskutiert, ob man Behinderte aufnehmen und so genannte „integrative Lerngruppen“ einrichten soll. Zwei Schulen stehen kurz vor einer Entscheidung. Fünf behinderte Jugendliche kommen dann in eine normale Schulklasse. Meistens geht es um „Lernbehinderte“ oder geistig Behinderte, deren Eltern ihre Kinder vor dem Gang in eine Förderschule bewahren möchten.
Weil diese Jugendlichen viel langsamer lernen als normale Schüler, bekommt der Klassenlehrer für den Großteil der Zeit einen Sonderpädagogen zur Seite gestellt. Die Schüler bringen auch häufig einen so genannten „Integrationshelfer“ und ihre eigenen Unterrichtsmaterialien mit.
Auch Behinderte haben das Recht, eine normale Schule zu besuchen. Das gilt seit März 2009, als Deutschland eine entsprechende UN-Richtlinie unterzeichnet hat. „Ein Platz ist aber noch nicht einklagbar“, betont Schuldezernent Peter Renzel. Seit anderthalb Jahren sucht er mit Hochdruck nach weiterführenden Schulen, die sich für „integrative Lerngruppen“ öffnen – bisher gibt es sie nur an der Gesamtschule Holsterhausen und an drei Hauptschulen, von denen eine ausläuft.
Im Januar soll im Fall der Gesamtschule Bockmühle entschieden werden
Mehrere Realschulen haben unverbindliches Interesse angemeldet; am weitesten in der hausinternen Diskussion ist man an einem Gymnasium nördlich der A40 – dort bittet der Schulleiter um Diskretion; schließlich stünde noch gar nichts fest. Die andere Schule, die derzeit zu den ernsthaften Kandidaten zählt, ist die Gesamtschule Bockmühle in Altendorf. „Wir sind in intensiver Diskussion“, sagt Schulleiter Klaus Prepens. Im Januar werde endgültig entschieden.
„Bei Integration“, sagt Schuldezernent Renzel, „ist es nicht mit einer Rampe an der Schultreppe getan.“ In Holsterhausen, wo man seit Gründung der Schule im Jahr 1997 pro Jahrgang eine Lerngruppe bildet, betrachtet man eben jene als Standort-Faktor: „Wir werben damit, denn es entspricht unserer Überzeugung, dass niemand ausgegrenzt werden soll“, sagt Schulleiterin Ulrike Pelikan. Pro Jahrgang gibt es an ihrer Schule eine Klasse mit 22 Schülern, von denen fünf „zieldifferent“ unterrichtet werden – mit eigenen Inhalten – und weitere zwei Behinderte „zielgleich“, zum Beispiel geistig gesunde Rollstuhlfahrer: Jene folgen dem normalen Stoff der Klasse.
Die meiste Zeit über gibt es einen Sonderpädagogen, der die „zieldifferenten“ im Auge behält. Und wenn der fehlt? „Das ist eine Situation, die für jeden Lehrer eine Umstellung bedeutet“, räumt Ulrike Pelikan ein.
Hinter vorgehaltener Hand bemägeln manche Schulen, dass verbindliche Gegenleistungen fehlen
„Der Teufel der integrativen Lerngruppen steckt im Detail“, sagt Leo van Treeck, Schulleiter an der Erich-Kästner-Gesamtschule. „Es gibt sie nicht zum Nulltarif, da müssen personelle und räumliche Ausstattung stimmen.“ Hinter vorgehaltener Hand bemängeln manche, dass den Schulen, die Interesse signalisieren, zu wenig verbindliche Gegenleistungen angekündigt werden.
„Förderschulen werden durch Lerngruppen nicht komplett abgeschafft“, stellt Karin Lennartz klar, die Schulrätin, die für Förderschulen zuständig ist. „Es wird immer Eltern geben, die eine Förderschule einer Regelschule vorziehen.“ Ein Schulleiter, der ungenannt bleiben will, sagt: „Ob der Elternwille, das Kind an eine normale Schule zu schicken, immer das Richtige für das Kind ist, darf bezweifelt werden.“
Die Praktiker melden Zweifel an vor allem bei jenen Förderschülern, die gesundheitlich zwar uneingeschränkt, aber verhaltensauffällig sind – jene mit „emotionalem Förderbedarf“, wie es offiziell heißt. „Nur Förderschulen haben erprobte Antworten im Umgang mit nicht gruppenfähigen Schülern“, sagt Ulrich Weiler, Leiter der Nelli-Neumann-Förderschule in Frohnhausen. „Wir betrachten mit Sorge, dass bei der ganzen Diskussion diejenigen vergessen werden, die nicht so einfach integriert werden können.“