Essen-Freisenbruch. Der Hallenbrand bedeutet für die Gänsereiter den Verlust seiner Wagen. Das Gebäude birgt aber auch Freisenbrucher Firmenhistorie von Fett Velten.
Als die Löschfahrzeuge der Feuerwehr auf der Bochumer Landstraße an ihm vorbeieilten, da ahnte Volker Lohmeier nichts. Erst als er die Alleestraße hinunterlief, die vielen Schläuche und Einsatzkräfte erblickte, „habe ich das Grauen bekommen“, sagt der 60-Jährige. Er sah den dichten Qualm und die alte Zechenhalle, in dem er und seine Kameraden von den Freisenbrucher Gänsereitern hinter den Ziegelmauern das gesamte Hab und Gut des Traditionsvereins lagerten. Doch hinter dem Gebäude verbirgt sich auch die Historie der Zeche Eintracht sowie die der Familie Velten und damit Freisenbrucher Unternehmensgeschichte.
„Alles ist Schutt und Asche“, sagt Volker Lohmeier immer noch tief betroffen. Seit mehr als 40 Jahren stehen im linken Teil der ehemaligen Halle, die sich auf dem Gelände der früheren Zeche befindet, die Wagen der Gänsereiter, mit denen sie durch Freisenbruch und die Nachbarstadtteile rollen. Sie haben hinter den dicken Wänden ihr gesamtes Material für Neubauten wie ihr Werkzeug und auch den Verkaufswagen aufbewahrt. Im Anbau neben der Halle stünden noch zwei Wagen. „Wir haben einen Blick durchs Fenster geworfen, sie sehen noch ganz funktionstüchtig aus“, sagt der gebürtige Freisenbrucher, der hauptberuflich ein Taxiunternehmen leitet und seit 1977 auch Gänsereiter ist. „Aber in der Zechenhalle hat das Feuer alles zerstört.“
40 Feuerwehrleute kämpften gegen das Feuer in der ehemaligen Zechenhalle
Das Feuer brach am Donnerstagnachmittag aus (22. Oktober), rund 40 Einsatzkräfte der Feuerwehr bekämpften den Brand. Als die ersten von ihnen aus Kray und Steele eintrafen, war das Ausmaß des Feuers schon groß. Später kamen die Freiwilligen Feuerwehrleute aus Eiberg und Ehrenamtliche vom Technischen Hilfswerk mit dem Bagger hinzu, um die Mauern einzureißen und den Weg für das Löschwasser frei zu machen. Doch selbst als es um 22.15 Uhr „Feuer in Gewalt“ hieß, war der Einsatz mitnichten vorbei. Nachlöscharbeiten beschäftigten die Wehrleute die gesamte Nacht, zu groß war die Gefahr, dass Brandnester aufflackern.
Jetzt versperrt ein Bauzaun den Zutritt durch die aufgebrochenen Wände in die Halle, aus der immer noch beißender Geruch strömt und deren Zukunft ungewiss ist. „Zutritt verboten. Einsturzgefahr“, lautet der Hinweis an dem Gitter vor dem Bau, der nahe des ehemaligen Wasserturms und abseits der übrigen Gebäude wie der früheren Fettschmelze mit ihren drei Essen in einem Waldstück steht.
An „Fett Velten“ erinnern sich Essener auch über die Grenzen Essen-Freisenbruchs hinaus
Auch die anderen Hallen sind längst vermietet. An „Fett Velten“ jedoch erinnern sich bis heute viele Freisenbrucher und auch Essener über die Grenzen des Stadtteils im Essener Osten hinaus. Heute steht der Enkel des Gründers vor der Halle und betrachtet das Ausmaß des Schadens. Es ist zwar lediglich ein Gebäude, das zerstört wurde, aber es ist gleichwohl verbunden mit seiner Familiengeschichte. Und so war auch der 62-Jährige ergriffen, als er die Flammen selbst sah. Ein Mieter hatte Rainer Velten informiert, der in Freisenbruch aufgewachsen ist, inzwischen aber in Düsseldorf lebt und als Rechtsanwalt arbeitet.
Sein Großvater Fritz war es, der das Gelände der Zeche Eintracht 1925 erwarb, als die Zeche stillgelegt wurde. Rund sechs Hektar groß erstreckt es sich von der Alleestraße bis zur Bochumer Landstraße und in Richtung Sachsenring. Hinter der Fettschmelze ragen die ersten Hochhäuser der Siedlung Bergmannsfeld in die Höhe. 1856 wurde hier zunächst die Zeche Eintracht gegründet, mit ihren mehr als 2000 Beschäftigten im Jahr 1910 und den vier Schächten, so steht es immer noch auf der Denkmaltafel zu lesen.
Der kantige Wasserturm gilt heute als Wahrzeichen
Der Förderturm existiert nicht mehr, der hohe, kantige Wasserturm gilt heute als Wahrzeichen. An Schacht Heintzmann (490,0 m Teufe) erinnert noch ein Schild inmitten junger Bäume. „Wir haben hier aufgeforstet“, erklärt Rainer Velten zu dem Gelände, das Forstgebiet ist. Einmal in der Woche kommt der 62-Jährige nach Freisenbruch, wo er als Kind auf der Abraumhalde gespielt hat, während bis zu 150 Mitarbeiter bei Velten mit tierischen Fetten und Ölen beschäftigt waren, die später in Lebensmitteln und Seife landeten.
„Heute wäre dieses Unternehmen als mittelständischer Betrieb nicht mehr überlebensfähig“, sagt Rainer Velten. Nun trägt er vor allem Verantwortung für das Grundstück, auf dem an der Bochumer Landstraße eine Kita für 80 Mädchen und Jungen entstehen wird. Doch in anderen Bereichen gibt es Altlasten, „das kauft keiner“, sagt der Eigentümer, der allerdings an einen Verkauf auch weniger denkt, als vielmehr daran, wie sich das Gelände entwickeln ließe.
Entwickelt werden könnte eine Neubausiedlung auf dem ehemaligen Zechengelände
Wo bisher nur Wald möglich ist, könnte mit einer Neubausiedlung dringend benötigter Wohnraum entstehen, lautet eine Idee. „Das wäre zudem eine gute Nutzung für den Stadtteil“, ist Rainer Velten überzeugt. Besser immerhin, als weitere landwirtschaftliche Flächen zu versiegeln. Bisher sei alles offen, zunächst müsse die Stadt erklären, was passieren müsse, damit das Gelände überhaupt bebaut werden, statt mit Bäumen bepflanzt werden dürfe. Zukunftsmusik: „Bis zu einer Entwicklung werden noch viele Jahre vergehen“, schätzt er.
Derzeit greifbar hingegen die Sorgen der Gänsereiter, der rund 50 Mitglieder und ihres 1926 gegründeten Freisenbrucher Vereins. „Wir waren schon fast auf der Zielgeraden zu unserem 100-jährigen Bestehen“, sagt Volker Lohmeier, den nun statt Plänen für Feierlichkeiten ganz andere Fragen plagen. Wohin mit den beiden Wagen, lautet eine.
Gänsereiter brauchen zumindest übergangsweise, vielleicht auch dauerhaft, neue Bleibe
Die Gänsereiter werden zumindest übergangsweise oder auch dauerhaft eine neue Bleibe brauchen, auch wenn es nun nicht mehr viel zu lagern gibt. Fest steht zudem bereits, dass sie den Schaden aus eigener Kraft nicht werden beheben können. Von ihrer Zeit investieren sie viel und gern in ihren Traditionsverein und damit auch in ihre gewachsene Gemeinschaft.
„Ohne Sponsoren wird es aber nicht gehen“, weiß Volker Lohmeier. Denn aus ihren Mitgliedsbeiträgen werden sie die finanzielle Last nicht tragen können, um etwa neue Wagen zu bauen. Die werden zwar mit Blick auf die Pandemie erst 2022 im Einsatz sein, Gedanken aber wollen sich die Gänsereiter nun bereits beim anstehenden Treffen im November machen. Nicht nur, um möglicherweise die beiden übrig gebliebenen Wagen zu retten, sondern auch ihren Verein.