Essen.. In sechs Jahren soll der Nahverkehr in der gesamten Stadt barrierefrei sein. Noch ist Essen im bundesweiten Vergleich aber bestenfalls Mittelmaß.
Essen wird zur Großbaustelle: Bis 2022 soll im öffentlichen Nahverkehr die Barrierefreiheit erreicht werden, so die gesetzliche Vorgabe. Eine Herausforderung für die Stadt und die Verkehrsgesellschaft Evag. Was passieren muss, damit Menschen mit Behinderung den öffentlichen Nahverkehr uneingeschränkt nutzen können, darüber diskutierten sie auf einer Fachtagung mit Betroffenen.
Im Zuge der Stilllegung der Spurbusstrecke wird derzeit die Bushaltestelle Wittenbergstraße umgebaut. „Die neue Haltestelle wird taktile Leitelemente für Blinde beinhalten“, sagt Rainer Wienke, stellvertretender Fachbereichsleiter im Amt für Straße und Verkehr. „Zudem wird die Bahnsteighöhe auf 22 Zentimeter angehoben.“
Kontinuierlicher Ausbau der Barrierefreiheit
Das Blindenleitsystem erleichtert Menschen mit Sehbehinderung den Einstieg in Bus und Bahn. Einkerbungen und Noppenstellen im Boden leiten sie zu den Haltestellen und Eingangstüren. Die Anhebung des Bahnsteigs wiederum ermöglicht Rollstuhlfahrern den hindernisfreien Einstieg.
Bei Sanierungen oder Neubauten werde immer auf Barrierefreiheit geachtet, so Wienke. Anders gesagt: Erst wenn saniert oder gebaut werden muss, sorgt die Stadt für die barrierefreie Umgestaltung.
Solange will die Evag mit dem barrierefreien Ausbau in ihrem Zuständigkeitsbereich nicht warten. Sie will kontinuierlich daran arbeiten, unabhängig von routinemäßigen Baumaßnahmen. Bisher sind 85 Prozent der Stadtbahnhaltestellen und 25 Prozent der Straßenbahnhaltestellen barrierefrei. „Damit steht Essen im bundesweiten Vergleich schlecht dar“, gibt Susanne Borgert zu. Sie ist für den Bereich Barrierefreiheit bei der Evag zuständig. Vor allem die Südstrecke, also die U11 und die Straßenbahnlinien 107 und 108 seien problematisch, weil hier keine Niederflurbahnen eingesetzt werden können: Die Bahnsteige sind zu hoch.
Selbst barrierefreie Bahnhöfe bereiten Hindernisse
Ob die Evag tatsächlich bis 2022 die absolute Barrierefreiheit erzielt, sei daher ungewiss, sagt Susanne Borgert. Selbst barrierefreie Bahnhöfe wie der Bahnhof Werden seien nach dem Umbau zwar offiziell barrierefrei, aber teilweise noch problematisch für Menschen mit Behinderung. So entstehe an Haltestellen, die in Kurven liegen, ein zu großer Spalt zwischen Eingangstür und Bahnsteig. Auch müsse behindertenfreundlicher Nahverkehr mehr bieten als die bloße Barrierefreiheit, etwa: kurze Wege zur Haltestelle, Sitzplatzverfügbarkeit, kurze Umsteigewege und einfache Verständlichkeit.
Die Teilnehmer der Fachtagung für Menschen mit Handicap sind es leid, im Nahverkehr eingeschränkt zu werden. Als ein Problem benannten sie die Rollstuhlrampen, die seit 2014 aus Sicherheitsgründen nur vom Evag-Personal angebracht werden dürfen. Nur sei nicht immer jemand erreichbar, der ihnen den Einstieg in Bus und Bahn ermögliche. „Betroffene können sich mit solch konkreten Anliegen immer gern an uns wenden“, versichert Angela Ströter, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfe behinderter Menschen in Essen. „Es ist wichtig, seine Forderungen zu nennen“, sagt die Ehrenamtliche, „man muss aber auch kompromissbereit sein“.
Heute sei die Sensibilisierung hoch; kein Architekt plane Gebäude oder Haltestellen, ohne auf Barrierefreiheit zu achten, sagt Behindertenhilfe-Koordinator Gregor Hüsken: „Als Essen wiederaufgebaut wurde, hatte die Gesellschaft noch andere Sorgen im Kopf.“ Anne-Lena Leidenberger