Essen.. 11 000 RWE-Fans kamen zum letzten Punktespiel noch einmal in ihr Georg-Melches-Stadion. Um 15.50 Uhr war für immer Schluss. Mit dem Abpfiff des Viertligaspiels Rot-Weiss Essen gegen Fortuna Köln, mit einem 1:1, endete nach 86 Jahren die fußballerische Laufbahn des Georg-Melches-Stadion.

Irgendwie passend zur wechselvollen Geschichte von Rot-Weiss Essen, lief natürlich auch an diesem Abschiedstag für die Stadion-Legende an der Hafenstraße 97 A nicht alles glatt: Dass drei Spieler an verbotenen Wetten gegen den eigenen Verein (!) beteiligt waren, dass der Wechsel von Timo Brauer nach Aachen vor Anpfiff bekannt wurde, dies alles war mal wieder Pein für die RWE-Seele.

Die knapp 11.000 Fans, die zur großen Abschieds-Gala gekommen waren, quittierten vor allem den Wettbetrug mit einem Pfeifkonzert. Und auch der Versuch einiger uneinsichtiger Anhänger, trotz vieler Appelle nach Spielende den Rasen zu stürmen, wurde von der Masse lautstark „zurückgepfiffen“. RWE-Chef Michael Welling und einige Spieler, die sich mit Worten in den Weg stellten, drängten die Fans höflich aber bestimmt in die Ostkurve zurück, wo bereits einige Bengalos abbrannten. Der unerfreuliche und überflüssige Teil einer ansonsten wunderschönen Abschieds-Choreographie, mit einem Riesentransparent auf Nord- und Osttribüne und einem rot-weißen Fahnenmeer auf der Haupttribüne.

Leidensfähigkeit

Eine gewisse Leidensfähigkeit als RWE-Fan gehört schon dazu, da will Lothar Dohr gar nicht widersprechen. Wer über das Seelenleben an der Hafenstraße berichten will, kommt an dem 52-jährigen Fanbeauftragten, an dem ehemaligen „Schrecke vom Niederrhein“ nicht vorbei. „Seit drei Uhr heute morgen habe ich nicht mehr geschlafen“, sagt Dohr, der in seinem Fanbüro, wo einst Dieter Bast und Willi Lippens zur Miete nächtigten, auf seine Mitstreiter vom 1. Rot-Weiss-Fanclub wartet. „Ich habe hier mehr Zeit verbracht, als irgendwo sonst“, sagt Dohr. „Das ist mein Zuhause. Jetzt hier auszuziehen, das fällt mir verdammt schwer.“ In der Ecke stehen schon die Umzugskartons. „Es ist für mich ein trauriger Tag. Aber natürlich weiß ich, dass wir das neue Stadion brauchen, sonst kommen wir nie aus der 4. Liga heraus.“

Abschied nehmen – während am Sonntag noch einmal 3000 bis 4000 Fans zum Fußballspiel der Legenden, zur letzten Party kamen, war für Lukas Konieczny bereits am Samstag Schluss: Dem Wirt der Vereinsgaststätte wurde fristgerecht zum 19. Mai gekündigt, im neuen Stadion wird es keine Gaststätte geben. „Wir haben schon im Mai die Gaststätte Matecki in Oberhausen eröffnet. Aber es macht uns traurig, wir wären gerne geblieben“, sagt Konieczny, der zwölf Jahre lang im Georg-Melches-Stadion zapfte.

Neu orientieren – für die Fans beginnen da völlig neue Welten: Fanprojekt, Fanbetreuung bekommen eine 232 Quadratmeter große Container-Landschaft auf den P3-Parkplatz gestellt, dazu 1000 Quadratmeter Veranstaltungsfläche drumherum. „So ‘ne Art Fan-Notunterkunft“, sagt einer der Jungs, die „Ultra“ auf dem T-Shirt stehen haben. Wie es im neuen Stadion wird? „Schwer zu sagen, unser Bock fehlt ja noch.“

Zweimal Westtribüne?

Es ist die Osttribüne, die 2013 auf dem Platz der alten Westtribüne errichtet wird, und deshalb auch Westtribüne heißen soll. Westtribüne im Osten? Etwas verwirrend. „Block K wäre vielleicht besser“, meint Roland Sauskat vom Awo-Fanprojekt. „Vielleicht mit Gestaltungsfreiheit für die Fans.“ Block K war auf der Nord-Tribüne nach dem Aus für die Westkurve das neue Ultra-Domizil. Natürlich trauern auch sie dem alten Stadion nach: „Aber egal wo RWE spielt, wir werden mitgehen“, sagt der junge Ultra-Fan, der von der Begeisterung berichtet, mit der er und seine vielleicht 100 Freunde das riesige Transparent für die Osttribüne gefertigt haben. Eine Hommage an Georg Melches: „Moderne, Erinnerung, Mythos, Heimat“ haben sie ihre Gefühle in riesige Worte gekleidet, dazu ein paar tausend weiße und rote Fähnchen gebastelt, für jeden Sitz der Haupttribüne eine: „Zwei Monate lang haben wir Tag und Nacht geschuftet, die Tücher genäht und gemalt. Einige haben sich Urlaub genommen, ein paar andere wochenlang krank gefeiert.“

Einmal RWE, immer RWE. Da wäre zum Beispiel Michael Pust, der seinem Sohn Florian die Mitgliedschaft im Verein zum Geburtstag geschenkt hat: „Ich war auch mit fünf Jahren das erste Mal hier.“ Klar, traurig sind sie alle, „aber mit dem neuen Stadion soll es ja besser werden“.

Hans-Georg Krawinkel ist davon felsenfest überzeugt. Der 72-Jährige pilgert seit er sich erinnern kann zur Hafenstraße. 1955, mit 17, schenkte ihm seine Mutter die Karte fürs Meisterschaftsendspiel in Hannover: „Ich freue mich aufs neue Stadion, das ist die Zukunft. Und mit dem alten lassen wir hoffentlich endlich auch die Zeit der vielen Fehler, der falschen Versprechen hinter uns. Das alles können sie gleich mit abreißen.“