Essen.. Dokumentarfotografie mit Auszeichnung: Förderpreisträger der Wüstenrot Stiftung präsentieren ihre Arbeiten im Museum Folkwang unter dem Titel „Was war und was ist“. Die Schau in Essen eröffnet ein Nebeneinander von Sichtweise und Bildsprachen.

Wirklich gesehen hat man sie natürlich selten, die Wirklichkeit. Und doch galt die Dokumentarfotografie lange Zeit als die letzte Hüterin dieser objektiven Form der Fotografie. 20 Jahre gibt es auch den Förderpreis der Wüstenrot Stiftung. Vieles hat sich geändert in dieser Zeit, denn DIE Dokumentarfotografie gibt es nicht mehr, sagt Florian Ebner, Chef der Fotografischen Sammlung im Museum Folkwang: „Es gibt heute viele Formen der fotografischen Auseinandersetzung“. Die zeigt nun eine Jubiläumsschau, die 17 von 40 Preisträgern der Wüstenrot Stiftung im Museum Folkwang vorstellt. Gezeigt werden Fotografien, Videos, Buchprojekte unter dem Titel „Was war und was ist“.

Als Korrektiv zum beiläufigen Bilderkonsum unserer schnelllebigen Infotainmentwelt präsentiert sich die Dokumentarfotografie heute vor allem als bestimmte Haltung, als Statement gegen das Ex und Hopp, mit langfristigem Interesse an Menschen, Dingen, Strukturen. Wie in Christian von Steffellins Berlin-Serie. 14 Jahre hat er den Palast der Republik fotografiert, immer vom selben Punkt aus. Das Ergebnis dieser städtebaulichen Langzeitstudie ist inzwischen als Fotobuch erschienen, eine zunehmend bedeutsame Veröffentlichungs-Form, seit auch der Magazin-Markt wegbricht.

Extrem und berührend zugleich

Doch es sind solche Schauplätze urbaner Veränderungen wie bei von Steffelin, Matthias Kochs fast schon archäologisch anmutende Großformate einer im Verschwinden begriffenen Schwerindustrie oder bewegende Studien aus dem Dickicht der globalen Welt, wie Wolfgang Müllers Porträtreihe über das Schicksal einer chinesischen Müllsammlerin, die diese Ausstellung so spannend und abwechslungsreich machen. Streng formal hat Verena Jaekel ihre Portraitreihe über junge Väter angelegt, die sie in Deutschland, Schottland, Chile fand. Das soziale Milieu bleibt vor dem nüchtern-weißen Hintergrund ausgeblendet, es geht um Beziehungen. Kim Sperling hat das Thema Arbeitsmigration mit Krankenschwestern aus Korea in Szene gesetzt. Und so beklemmend dicht wie bei Linn Schröder lagen Leben und Tod selten nebeneinander. Mit ihren zwei neu geborenen Zwillingen im Arm gibt sie auch Zeugnis ihrer nach einer Krebsoperation amputierten Brust. Eine extreme, eine berührende Dokumentation der eigenen Körper-Wirklichkeit, die in der künstlerischen Überhöhung funktioniert.

Aus dem ideologischen Überbau, der Strenge, die diese Fotografie lange Jahre hatte, ist die Erkenntnis geworden, dass ein Bild doch immer auch Inszenierung, Konstruktion, zumindest bewusst gewählter Ausschnitt ist. Bei Andreas Thein ist dieser Ausschnitt perfekt gerahmt. Die Sakristei, der Rahmen des Beichtstuhls, werden zum äußeren Halt einer Welt, deren spirituelle Inhalte hier wie ausgelöscht scheinen.