Essen.. Der Essener Dax-Konzern hat im laufenden Geschäftsjahr Milliardenverluste angehäuft. Probleme bereitet vor allem das Stahlwerk in Brasilien, doch der Verkauf verzögert sich. Aller Voraussicht nach benötigt das Unternehmen Geld durch eine Kapitalerhöhung. Auch Hedgefonds könnten einsteigen.

Von einem Drama ist die Rede, vom Krisenstahlwerk in Brasilien und Schrecken ohne Ende – doch Hannelore Kraft gibt sich demonstrativ gelassen. Die Ministerpräsidentin sitzt in einem Fernsehstudio neben TV-Moderator Heiner Bremer und erzählt über ihre Sicht der Dinge auf Thyssen-Krupp. „Also, zunächst einmal halte ich das alles für Schwarzmalerei“, sagt die NRW-Regierungschefin, die sich bestens auskennt im Konzern, auch weil sie praktisch qua Amt im Kuratorium der Krupp-Stiftung sitzt. Die Stiftung wiederum ist der größte und einflussreichste Aktionär des Essener Industriekonzerns. Hannelore Kraft jedenfalls will nicht in den Chor derjenigen einstimmen, die den Niedergang von Thyssen-Krupp besingen. Ja, es habe Fehlinvestitionen gegeben, auch kartellrechtliche Probleme. „Aber alles in allem ist das ein guter, ein gesunder Konzern. Und wir haben ein hohes Interesse daran, dass dieser Konzern auch so bestehen bleibt.“

Es sind Worte, die offenbar für ein wenig Ruhe in turbulenten Zeiten sorgen sollen. Denn der Essener Stahl- und Technologiekonzern steckt nach wie vor tief in den roten Zahlen. Wie das Unternehmen am Dienstagabend – also nur wenige Stunden nach dem Auftritt von Kraft – mitteilte, verbuchte Thyssen-Krupp in den ersten neun Monaten des laufenden Geschäftsjahres einen Verlust von 1,2 Milliarden Euro. Hintergrund sind vor allem die Probleme im verlustreichen Stahlwerk in Brasilien.

Zitterpartie um Verkauf der Stahlwerke in Brasilien und Alabama

Regelmäßig machen Spekulationen zur Zukunft des Traditionsunternehmens die Runde. Mögliche Szenarien und Gedankenspiele bis hin zur Zerschlagung kursieren. Es herrscht Unruhe in dem Dax-Unternehmen, das weltweit 150 000 Mitarbeiter beschäftigt. Viel hängt davon ab, ob Konzernchef Heinrich Hiesinger der Verkauf der Übersee-Stahlwerke in Brasilien und im US-Bundesstaat gelingen wird.

Hiesinger räumte zur Präsentation der Quartalszahlen ein, dass der Verkaufsprozess länger dauere „als ursprünglich erwartet“. Im Februar hatte Hiesinger erklärt, die Verträge könnten noch im Mai unterschrieben werden. „Auch wir hätten gerne schneller einen Abschluss erzielt“, sagte er nun. Doch die Verhandlungen seien „hochkomplex“. Insofern werde Thyssen-Krupp die Entscheidung „nicht von Stichtagen abhängig machen“.

Laut „Wall Street Journal“ droht der Verkauf des Stahlwerks in Brasilien sogar zu scheitern. Derzeit werde mit dem brasilianischen Stahlkonzern CSN über eine Variante gesprochen, die nur den Verkauf des Werkes in Alabama vorsehe. Für dieses Werk könnte CSN eine Summe von 1,5 Milliarden US-Dollar zahlen und sich zugleich verpflichten, jährlich mehrere Millionen Tonnen Stahl aus Brasilien abzunehmen. Was dran ist an der Darstellung, blieb zunächst offen.

Finanzinvestoren schielen auf Thyssen-Krupp

Die hohen Verluste aus den Stahlwerken in Brasilien und Alabama hinterlassen tiefe Spuren in der Bilanz von Thyssen-Krupp. Die Eigenkapitaldecke des Konzerns ist angegriffen. Das Dax-Unternehmen muss aller Voraussicht nach Geld von Investoren einsammeln. Eine Kapitalerhöhung zeichnet sich ab.

Auch Finanzinvestoren schielen offenbar auf Thyssen-Krupp. Der Konzern soll bereits die Commerzbank und die Investmentbank Goldman Sachs damit betraut haben, in London und New York Gespräche mit möglichen Investoren aus der Hedgefonds-Szene zu führen. In Finanzkreisen heißt es, im März habe es erste Gespräche gegeben, seit Mitte Juli weitere – unter anderem mit Finanzinvestoren wie Greenlight, York Capital, Paulson und Soros. Angeblich gibt es Planspiele für eine Kapitalerhöhung im Volumen zwischen 800 Millionen und 3,4 Milliarden Euro.

Anteil der Krupp-Stiftung könnte verwässert werden

Bei einer Kapitalerhöhung im Volumen von rund einer Milliarde Euro könnte der Anteil der Krupp-Stiftung von derzeit 25,3 Prozent auf knapp 22 Prozent sinken. Die Stiftung, die jahrelang von der vor wenigen Tagen verstorbenen Unternehmenslegende Berthold Beitz geführt worden ist, verfügt derzeit als Anteilseigner über die Sperrminorität und hat damit bei wichtigen Entscheidungen eine Art Vetorecht. Momentan darf die Krupp-Stiftung drei Aufsichtsräte in das Kontrollgremium des Konzerns entsenden. Gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretern können die Stiftungsvertreter verhindern, dass es zu einer Zerschlagung oder einer feindlichen Übernahme kommt.

Im Gespräch ist auch, dass die vom ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Werner Müller geführte RAG-Stiftung der Krupp-Stiftung ein Darlehen geben könnte. Auf diesem Weg könnte die Krupp-Stiftung das erforderliche Geld für eine Kapitalerhöhung erhalten und die bisherige Position als wichtigster Aktionär absichern.

Engagement der RAG-Stiftung im Gespräch

Spekulationen, NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) habe Werner Müller in Sachen Krupp-Stiftung unlängst eine Abfuhr erteilt, wurden im Düsseldorfer Regierungsviertel als unrealistisch bewertet. Allerdings sieht Thyssen-Krupp-Chef Heinrich Hiesinger ein Engagement der RAG-Stiftung angeblich kritisch.

„Wir wissen, dass wir auf einem guten Weg sind, kennen aber auch unsere Risiken“, sagte Günter Back, Gesamtbetriebsratschef der deutschen Stahlsparte, im Gespräch mit dieser Zeitung. „Der Verkauf der Überseestahlwerke ist sicherlich ein Risiko. Auch, ob am Verdacht des Autostahlkartells etwas dran ist.“ Zu Spekulationen über einen möglichen Verkauf der deutschen Stahlwerke mit dem Standort Duisburg sagte Back: „Mir wird immer wieder vom Vorstand bestätigt, dass es keine Überlegungen zum Verkauf des deutschen Stahlgeschäfts gibt.“

Wenn Hannelore Kraft auf eine mögliche Zerschlagung angesprochen wird, reagiert sie mit mahnenden Worten: „Ich muss nur auf die Zahl der Arbeitsplätze schauen. Dass Thyssen-Krupp für Nordrhein-Westfalen, aber auch für die Bundesrepublik Deutschland, ein wichtiger Konzern ist, darüber sind wir uns einig, und dass es Sinn macht, diese Arbeitsplätze auch in Deutschland zu erhalten.“