Essen. SPD-Politikerin Petra Hinz verzichtet auf ihr Bundestagsmandat. Das hat am Mittwochnachmittag ihr Anwalt erklärt. Hinz hatte wichtige Teile ihres Lebenslaufs erlogen und dies am Dienstagabend gegenüber Essener Medien zugegeben.

Am Dienstagabend ließ die Essener SPD-Bundestagsabgeordnete Petra Hinz gegenüber Essener Medien erklären, dass sie keine Juristin ist, kein Abitur und keinen Studienabschluss hat. All das hatte sie über Jahrzehnte behauptet. Am Tag nach ihrer Lebensbeichte hat die 54 Jahre alte Politikerin nun mitteilen lassen, dass sie ihr Bundestagsmandat niederlegt.

Den zeitnahen Rückzug aus dem Bundestag hat ihr Rechtsanwalt Henning Blatt aus Essen am Mittwoch um 15.05 Uhr schriftlich verkündet. Demnach habe Hinz bereits den Bundestagspräsidenten Norbert Lammert informiert und ihn um einen "schnellstmöglichen persönlichen Termin" gebeten.

Die Erklärung des Anwalts im Wortlaut:

"Im Auftrag unserer Mandantin Frau Petra Hinz, MdB, teilen wir mit, dass sich Frau Hinz entschieden hat, auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag zu verzichten. Sie hat den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Professor Dr. Norbert Lammert, über diesen Entschluss in Kenntnis gesetzt und ihn um einen schnellstmöglichen persönlichen Termin gebeten, um ihm gegenüber diesen Verzicht zu erklären. Der Verzicht wird gemäß § 46 Absatz 3 Satz 1 des Bundeswahlgesetzes im Zeitpunkt der Erklärung gegenüber dem Präsidenten des Deutschen Bundestages wirksam."

Staatsanwaltschaft Essen prüft "Anfangsverdacht eines Täuschungsdeliktes"

Am Mittwochmorgen hatte Thomas Kutschaty, Vorsitzender der Essener SPD und NRW-Justizminister, Petra Hinz zum sofortigen Rückzug aus dem Bundestag und zur Rückgabe ihres Mandats aufgefordert.

Bei der Essener Staatsanwaltschaft seien inzwischen zwei Anzeigen gegen Hinz eingegangen, sagte Oberstaatsanwältin Anette Milk am Mittwoch. Derzeit werde geprüft, "ob ein Anfangsverdacht wegen eines Täuschungsdeliktes gegeben ist". Auf den Missbrauch von Titeln steht bis zu ein Jahr Freiheitsstrafe. 

Vorwurf der Steuerhinterziehung 2009: Ermittlungen gegen Hinz eingestellt

Hinz hat als Bundestagsabgeordnete Immunität. Von Seiten der Bundestagsverwaltung gebe es "keinen Ansatzpunkt für rechtliche Konsequenzen" wegen des gefälschten Lebenslaufes, teilte ein Sprecher mit.

Der Bundestag veröffentlicht im Internet und im Amtlichen Handbuch biografische Informationen, die er von den Abgeordneten erhalte. Jeder Abgeordnete sei für die Angaben selbst verantwortlich. Während die Angaben zu Hinz auf bundestag.de am Mittwoch der Wahrheit angepasst wurden und die Politikerin auch einige ihrer Social-Media-Profile löschte, kann sie den Stimmzettel der Bundestagswahl 2013 im Wahlkreis 120 (Essen III) nicht mehr korrigieren. Dort stand bei den Kandidatinnen und Kandidaten, die mit Erststimme gewählt werden können: "Petra Hinz Juristin".

Muss die Bundestagswahl in Essen darum wiederholt werden? „Sicher haben sich die Wähler eine gewisse Fehlvorstellung von Frau Hinz’ Qualifikation gemacht“, sagt der Bochumer Staatsrechtsprofessor Stefan Huster. „Aber für wahlrechtliche Konsequenzen scheint es keine Rechtsgrundlage zu geben.“ Zudem hatte Hinz ihr Direktmandat 2013 an die CDU verloren, ihr fehlten nach einem bundesweit beachteten Wahlkrimi gegen CDU-Gegenkandidat Matthias Hauer 93 Stimmen. Sie zog über die Parteiliste dennoch in den Bundestag ein.

2009 war gegen Petra Hinz wegen Verdachts auf Steuerhinterziehung ermittelt worden. Damals wurde ihr vorgeworfen, seit 2003 keine ordentlichen Steuererklärungen beim zuständigen Finanzamt abgegeben zu haben. Noch 2009 war das Verfahren jedoch eingestellt worden: Mit einer Geldzahlung in unbekannter Höhe hatte die SPD-Bundestagsabgeordnete Hinz sich und ihrer Partei kurz vor der Bundestagswahl ein Steuerstrafverfahren erspart.

Petra Hinz war auf zweitem Bildungsweg zum Abitur gescheitert

Stimmzettel Bundestagswahl 2013
Stimmzettel Bundestagswahl 2013 © Unbekannt | Unbekannt

Am Dienstagabend hatte Hinz' Rechtsanwalt Dr. Henning Blatt von der Kanzlei Heinemann & Partner schriftlich erklärt, dass die SPD-Politikerin 1983 am heutigen Erich-Brost-Berufskolleg für Wirtschaft und Verwaltung die Fachhochschulreife erworben habe. "Sie hat jedoch keine allgemeine Hochschulreife erworben. Sie hat darüber hinaus kein Studium der Rechtswissenschaften absolviert und auch keine Juristischen Staatsexamina abgelegt.“

Und weiter: „In der Rückschau vermag Frau Hinz nicht zu erkennen, welche Gründe sie seinerzeit veranlasst haben, mit der falschen Angabe über ihren Schulabschluss den Grundstein zu legen für weitere unzutreffende Behauptungen über ihre juristische Ausbildung und Tätigkeit.“ Mitte der 1990er Jahre habe sie den Versuch unternommen, auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nachzuholen „und so zumindest einen Teil ihrer biografischen Falschangaben zu heilen“. Aus zeitlichen Gründen habe sie dies aber aufgegeben. Frau Hinz sei auch „zu keinem Zeitpunkt rechtsberatend tätig“ gewesen. Auch dies hatte sie in ihrer offiziellen Biografie behauptet.

Weiter schrieb Blatt in der Mitteilung vom Dienstagabend: „Das politische Engagement von Frau Hinz war und ist von Aufrichtigkeit und Integrität geprägt. Sie ist daher sehr bestürzt, nicht die Courage aufgebracht zu haben, für ihr Fehlverhalten geradezustehen. Sie bittet ihre Wegbegleiter, ihre Mitarbeiter, ihre Freunde und Familie, all die Menschen, die ihr vertraut haben, und auch die allgemeine Öffentlichkeit von ganzem Herzen um Entschuldigung.“ (pw/tom/mit dpa)