Essen.. Wer seinen Internetzugang Dritten zur Verfügung stellt, soll ab Herbst nicht mehr pauschal für deren Rechtsverstöße haften müssen. Freifunk Essen bleibt skeptisch.
Nach etlichen Debatten um die Abschaffung der Störerhaftung (wir berichteten) haben SPD und CDU am Donnerstag eine Änderung des Telemediengesetzes verabschiedet. Damit wäre theoretisch ab Herbst der Weg frei für offene Hotspots in Essen. Es müsste wie Musik in den Ohren der Essener Freifunker klingen, die sich seit jeher für ein frei zugängliches WLAN einsetzen.
Doch die Freude ist verhalten, wie Philip Berndroth, gleichzeitig Vorsitzender des Freifunk Rheinland e.V., berichtet. „Wir hätten uns natürlich ein klares Bekenntnis zu freiem WLAN gewünscht“, so der Essener, „das sehen wir in dem jetzigen Entwurf nicht.“
Denn der Wegfall der Störerhaftung fehlt da, wo er am wichtigsten wäre: im Gesetzestext. Lediglich die Ausweitung des Haftungsprivilegs, das vorher nur Provider wie Telekom oder Vodafone vor Rechtsverstößen von Usern schützte, ist nun im Text selbst verankert. Dass dies für widerrechtliches Verhalten jeglicher Art gelten soll, steht allein in der Gesetzesbegründung, die für Gerichte nicht rechtlich bindend ist.
Das Ende der „Abmahnindustrie“?
Und damit ist er in Essen nicht allein. In 2015 gingen bei der Verbraucherzentrale Essen 90 Fälle wegen Verstößen gegen das Urheberrecht ein. „Die Dunkelziffer der Leute, die einfach bezahlen, dürfte aber deutlich höher liegen“, vermutet Margret Schulte, Leiterin des Essener Standortes. Die Schreiben seien häufig im berühmten „Juristendeutsch“ verfasst, die Betroffenen davon oft eingeschüchtert. Daher würden viele einfach zahlen.
Als „Abmahnindustrie“ kritisiert dieses Vorgehen der Rechtsanwalt David Börner von der Kanzlei Ruhrrecht. “Die Rechteinhaber beauftragen externe Firmen, die sich als Nutzer ausgeben und in Warteschlangen auf Downloadplattformen einreihen. Da Datensender und -empfänger unmittelbar miteinander verbunden sind, sehen sie auch die IP-Adresse des jeweils anderen“, erklärt der 37-Jährige. Über den zivilrechtlichen Auskunftsanspruch wird dann bei den Providern wie der Telekom Name und Adresse der Nutzer eingefordert. Das Ergebnis: Eine Abmahnung wegen Urheberrechtsverstoß im Briefkasten.
Im Fall von Reinhard Wiesemann hatte das jedoch keine Folgen, wie er berichtet: „Sobald offensichtlich war, dass das WLAN unverschlüsselt ist, wurde es nicht weiter verfolgt.“ Das endültige Ende der Abmahnungen wird die Änderung des Telemediengesetzes nicht bedeuten, kritisieren Netzaktivisten weiterhin. Über Unterlassungsklagen könnten Abmahnungen weiterhin möglich sein. Dennoch werden die Rechte von WLAN-Betreibern gestärkt, das Abmahnrisiko abgeschwächt.
Dass die Zahl der Urheberrechtsverstöße nach dem Wegfall der Störerhaftung zunehmen, glaubt Philip Berndroth nicht. „Die illegalen Downloads werden nicht steigen, da die Surfgeschwindigkeit via Freifunk nicht sehr hoch ist.“ Den Freifunkern gehe es besonders darum, bestehende digitale Ressourcen zu teilen. Zusätzlich würden Nutzer in der Öffentlichkeit eher nicht zu illegalen Downloads neigen.
Neben mittlerweile mehr als 300 Hotspots haben die Freifunker in Kooperation mit der Stadt Essen offenes WLAN in den Flüchtlingsunterkünften eingerichtet. Für Berndroth eine Selbstverständlichkeit. „Internetzugang ist für uns ein Grundrecht.“