Essen. Trotz der Tendenz zu höheren Kriminalitätsraten steht Essen im Vergleich mit anderen Großstädten nach Einschätzung der Polizei nach wie vor recht gut da.
Essen mag nach wie vor als sichere Großstadt gelten. Doch die Kriminalitätsbelastung wächst kontinuierlich: Die Zahl der Straftaten hat im vergangenen Jahr den höchsten Stand seit 1990 erreicht. 66.407 Delikte fanden Eingang in die polizeiliche Kriminalstatistik, die die Behörde am Montag veröffentlichte. Das sind 4124 Fälle mehr als 2014.
Doch wo Schatten, da auch Licht: Trotz höherer Belastung und kurzer Personaldecke gelang es den Ermittlern, die Aufklärungsquoten in vielen Deliktfeldern zu steigern. Insgesamt wurde mehr als jeder zweite Fall erfolgreich abgeschlossen, 23.214 Tatverdächtigte konnten ermittelt werden. Das waren 2450 mehr als im Jahr zuvor.
Jeder vierte Täter jünger als 21 Jahre
„Das spricht für die Qualität der Arbeit“, sagte Polizeipräsident Frank Richter, der beim Blick auf die Zahlen der bekannt gewordenen Straftaten ansonsten kaum Grund zur Freude hatte. „Große Sorgen“ bereitet dem Behördenleiter und der Kripo-Chefin Martina Thon vor allem die abermals gestiegene Zahl der Wohnungseinbrüche, die trotz aller Anstrengungen und Konzepte seitens der Polizei wie berichtet in 2015 einen neuen Rekordwert erreichte: 3029 Mal schlugen die Täter in Essen zu. Das waren 558 Einbrüche oder versuchte Einbrüche mehr als 2014, eine Zunahme um 22,6 Prozent. 332 Fälle wurden aufgeklärt und 236 Verdächtige ermittelt.
Mehr als jeder zweite war ein Nichtdeutscher, jeder vierte jünger als 21 Jahre. Insgesamt bezifferte die Polizei den allein durch Wohnungseinbrüche im vergangenen Jahr entstandenen Schaden auf rund 7,8 Millionen Euro. Dazu kommen 1895 geknackte Kellerräume, 869 Büros, Werkstätten und Lager, zu denen sich die Täter Zugang verschafften und 645 Einbrüche in Geschäfte und Gastronomiebetriebe.
Kein Wunder also, dass die Fallzahl bei der Diebstahlskriminalität insgesamt auf 31.686 Delikte stieg – sie ist damit die höchste seit 2004.
Fast jede zweite Straftat ein Diebstahl
Wer den 44 Seiten starken Jahresbericht der Essener Polizei zur „Kriminalitätsentwicklung 2015“ durchforstet, stößt unter anderem auf 24 Tötungsdelikte (2014: 21) mit einer Aufklärungsquote von 100 Prozent, erfährt von zwölf Drogentoten (2014: 10), macht sich Gedanken über die verbreitete Renitenz gegen Polizeibeamte mit 266 angezeigten Widerständen (2014: 247) und bleibt auf den Seiten 28 und 29 bei den Delikten hängen, die den Bürgern neben den Wohnungseinbrüchen die meiste Angst machen dürften: Die Gewalt- und die Straßenkriminalität haben im vergangenen Jahr deutlich zugelegt in dieser Stadt. Nahezu jede vierte Straftat findet in Essen unter den Augen der Öffentlichkeit statt. 15.579 Fälle von Raub auf Straßen, Wegen und Plätzen, Vergewaltigung, räuberischer Erpressung, Diebstahl von Fahrzeugen und Sachbeschädigung landeten 2015 auf den Schreibtischen der Ermittler. Diese Straftaten haben den höchsten Stand seit 2004 erreicht. Im Schnitt wird etwa jede siebte aufgeklärt. Was nicht nach viel klingen mag, doch diese Quote ist ebenfalls die höchste der vergangenen zwölf Jahre.
Betrachtet man die 707 klassischen Raubdelikte (+27%) isoliert, kommt die Polizei inzwischen mehr als jedem zweiten Täter auf die Spur. 51,63 Prozent Aufklärungsquote ist ebenfalls der beste Wert der vergangenen zwölf Jahre.
"Keine großen Steigerungen bei Jugendkriminalität"
Den Löwenanteil aller in Essen verübten Straftaten machen mit 46,6 Prozent nach wie vor die Diebstähle aus. 31.686 Delikte sind im Sinne der Sicherheit allerdings der schlechteste Wert seit 2004. Allein durch schwere Diebstähle verursachten Kriminelle einen Schaden von rund 25,7 Millionen Euro. Noch gut in Erinnerung dürfte das Treiben eines Altenheimpflegers sein, der allein in 15 Fällen Bargeld und Schmuck hilfloser Bewohner erbeutete oder ihr Geld unterschlug, bevor er überführt und gefeuert wurde.
„Gott sei Dank keine großen Steigerungen bei der Jugendkriminalität“ konnte Polizeipräsident Frank Richter ausmachen. Dennoch will sich der Behördenleiter in dieser Woche um die Aufnahme in das NRW-Programm „Kurve kriegen“ bemühen, bei dem zusätzliche Pädagogen und nicht die Polizei allein gefährdete Jugendliche unterstützen, um sie von der schiefen Bahn zu bekommen.
Kripo-Chefin: überdurchschnittliche Aufklärungsquote
Trotz der „Tendenz zu höheren Kriminalitätsraten“ stellte Kripo-Chefin Martina Thon am Montag fest: „Im Vergleich zu anderen Städten sehen wir in Essen deutlich besser aus.“ Nicht nur die Aufklärungsquote sei überdurchschnittlich. Dafür sei „Kollegen hoher Respekt“ zu zollen. Auch die Gefahr für jeden einzelnen Bürger, Opfer einer Straftat zu werden, sei in vergleichbaren Städten deutlich größer.
Bei dieser Einschätzung bedient sich die Essener Polizei der Vergleiche mit den Zahlen der Behörden in Köln, Düsseldorf, Dortmund und Duisburg. Wobei allein Duisburg mit einer Kriminalitätshäufigkeitszahl (KHZ) von 11.454 besser abschneidet als Essen mit einem Wert von 11.574. Die KHZ, die bemisst, wie viele Straftaten auf 100.000 Einwohner kommen, gilt als Indikator für die Gefährdung der Bevölkerung. Dass diese rein rechnerische Größe nichts gegen ein Unsicherheitsgefühl ausrichten kann, weiß Martina Thon nur zu gut: „Mit unseren Zahlen können wir nicht gegen Furcht anreden.“