Essen.. Die Verkehrswacht und Dekra haben Richter und Anwälte eingeladen, im Selbstversuch zu testen, wie sich Alkohol auf ihr Fahrverhalten auswirkt. Die Erfahrung soll bei der Urteilsfindung helfen. „Jeder, der mit dem Auto irgendwohin fahren will, sollte vollständig die Finger vom Alkohol lassen“, so das Ergebnis nach dem Fahrtest.
Das vierte Glas Bier kaum geleert, setzt sich Amtsrichter Prof. Gerd Hamme hinters Steuer. Fröhlich plaudernd lenkt er den neuen Fiat aus der engen Parklücke. Dass er dabei gleich zwei Poller mitnimmt, davon bekommt der beschwipste Jurist nicht das Geringste mit. „Klappt doch ganz gut“, dreht er stattdessen versichernd seinen Kopf zur Beifahrerin – den Fußball, der von links auf die Straße rollt, sieht Hamme viel zu spät.
Kein Kind, nein Carsten Debler hat den Ball geworfen. Und das durchaus absichtlich. Der Leiter der Dekra-Niederlassung am Sulterkamp steht am Rand der kleinen Teststrecke, die seine Mitarbeiter auf dem Hinterhof der Prüfstelle mit grellen Pylonen abgesteckt haben. Gemeinsam mit der Verkehrswacht hat die Dekra zu einer „Fortbildung der besonderen Art“ eingeladen. So zumindest nennt es Karl-Heinz Webels, Vorsitzender der Verkehrswacht, wenn rund 30 feucht-fröhlich gestimmte Anwälte und Richter der Essener Justiz im Selbstversuch erfahren wollen, wie sich Alkohol auf ihr Fahrverhalten auswirkt.
Gelöste Feierlaune im nüchternen Schulungsraum
„In ihrer täglichen Urteilsfindung sind Juristen mit dem Thema Trunkenheit am Steuer konfrontiert“, sagt Webels. „Sie sollen nachvollziehen können, welche Gefahr von betrunkenen Fahrern ausgeht – unabhängig von dem rechtlichem Rahmen, den wir in Deutschland haben.“
Ein Seminar, das trotz des ernsten Themas doch an eine Betriebsfeier erinnert, bietet Webels deshalb seit fünf Jahren an: 30 Liter Bier und sieben Flaschen Wein, die erste Pappkiste mit Schnaps ist um 16 Uhr leer - in Feierlaune gelöst prosten sich die Juristen seit drei Stunden in dem nüchternen Schulungsraum zu. Das laute Gekicher der jungen Frauen in der letzten Reihe wird nur noch vom Brummen der Zapfanlage übertönt.
Im Kreis stellt sich eine Gruppe um Jürgen Lückemeyer, Leiter Verkehrsdienstes der Polizei, auf. Aus der Uniformtasche fischt er ein eingeschweißtes Plastikröhrchen, steckt es auf sein Handmessgerät, bevor er dieses an eine 30-jährigen Staatsanwältin weiterreicht. Sie sagt selbst deutlich: „Ich habe drei Bier getrunken und würde auf jeden Fall nicht mehr fahren.“ Das dürfte sie rein rechtlich aber: 0,36 Promille zeigt der Bildschirm des Geräts an.
Der berühmte Tunnelblick
„Beschwipst“ nennt das Dr. Andreas Hans Freislederer, Rechtsmedizin am Uniklinik. „Man ist fröhlich und gelöst, gleichzeitig ist die Reaktionsfähigkeit aber bereits um zehn Prozent minimiert worden.“
Bremsen, Schalten und beim Abbiegen den Winkel richtig einschätzen, das kriege ein leicht alkoholisierter Fahrer kaum noch hin. Beim Einparken rumst es schnell, weil auch schon ein Angetrunkener Abstände nur noch schlecht einschätzen kann, zudem außerhalb seines direkten Sichtfeldes kaum noch etwas wahrnimmt. „Der berühmte Tunnelblick“, er war es auch, der Amtsrichter Prof. Hamme den Ball hat übersehen lassen.
"Niemals wäre ich in meinem Zustand gefahren"
Ab 0,4 Promille werde es zunehmend gefährlicher: Die Hemmungen fallen. „Wer dann auch noch in einer feiernden Gruppe unterwegs ist oder mit jemandem, den er beeindrucken will, tritt gleich doppelt aufs Gaspedal“, erklärte Dr. Freislederer gerade noch im Schulungsraum - da quietschen Minuten später die Reifen des Testautos, als eine Juristin viel zu schnell über die Teststrecke brettert. Die übrigen Frauen im Auto schreien lachend auf, als ihre Fahrerin gleich mehrere Pylonen umrast. Kaum ausgestiegen ist der Spaß aber vorbei: „Niemals wäre ich in meinem Zustand gefahren“, sagt die Fahrerin.
Das betont auch Amtsrichter Hamme. Dass er einen Ball übersehen hat und damit im realen Verkehr vielleicht ein Kind übersehen hätte, macht ihn noch immer benommen. „Jeder, der mit dem Auto irgendwohin fahren will, sollte vollständig die Finger vom Alkohol lassen.“