Essen.. Reinhard Wiesemann wird als Bürger des Ruhrgebiets geehrt. Er hat Essen mit einigen verrückten Projekten beschenkt und eine Kirche gerettet.
Neulich hatte Reinhard Wiesemann die Idee, der Trinker- und Obdachlosenszene Cola zu spendieren: „Man muss eine Alternative zum Alkohol schaffen!“ Klingt verrückt, doch der Essener Unternehmer meint es ernst und sponsort den Feldversuch mit einigen Hundert Euro. So tickt der Mann, der Dienstagabend zum „Bürger des Ruhrgebiets 2015“ ernannt wurde.
Zwischen gaga und genial tendieren viele von Wiesemanns Einfällen, doch kaum eine ist so kostengünstig wie die Cola-Aktion. Deutlich über eine Million Euro hat er zum Beispiel in die marode Kreuzeskirche in der Essener Innenstadt gesteckt, deren Verfall die Gemeinde allein nicht hätte stoppen können. Im Gegenzug sicherte er sich einen 20-Prozent-Nutzungsanteil für das sanierte Gotteshaus. Da finden nun auch Konzerte und Partys statt, Theater und Tagungen.
Scheitern muss möglich sein
„Ich möchte Sachen machen, die sich irgendwann tragen“, sagt der 56-Jährige. Aber eben nicht stur nach Business-Plan: Er gehe spielerisch an die Dinge heran, Scheitern müsse möglich sein. Schon als Jugendlicher habe er gern experimentiert. Im Elternhaus in Wuppertal baute er den Keller zum Labor um, tüftelte „wie ein Irrer“. Mit 19 gründete er eine Computerfirma, studierte parallel Elektrotechnik – mit Stipendium, aber ohne Abschluss. Die Firma wuchs einfach zu rasch, mit 22 hatte er schon ein halbes Dutzend Mitarbeiter. Wiesemann und Theis ist bis heute sehr erfolgreich, gehört aber seit Langem zu 80 Prozent seinem Kompagnon. Ihm reiche der Rest zur Verwirklichung seiner Projekte.
Die drehen sich immer wieder um die Frage: Wie willst du leben – und mit wem? Vor 20 Jahren kaufte er die Villa Vogelsang in Horst, wo Essen sich von seiner idyllischen Seite zeigt. Die „wunderbare Hausgemeinschaft“ dort gibt es noch immer; genau wie das „Linuxhotel“ in der Remise, das er auf Anhänger dieser freien Software zuschnitt. „Der Gedanke, ein Hotel einem Computersystem zu widmen, war neu“, sagt er. Genug Gäste, die Software-Schulung plus Idylle buchen, fanden sich immer.
„Nichtstun ist keine Option“
Wiesemann selbst pendelt zwischen Villa und nördlicher Innenstadt. Das ist jenes heruntergekommene Viertel, dem er vor einem Jahrzehnt das Versprechen gab: Ich mache ein Kreativquartier aus dir. Damals gründete er das Unperfekthaus als kurioses Künstlerdorf auf 4000 Quadratmetern. Verwaltet wird das Haus längst von anderen – er sei nur im Aufbau gut.
Essens Nordcity aber hält er die Treue: Hier liegt auch die Kreuzeskirche, hier entstand mit dem GeKu-Haus ein Mehrgenerationenhaus „mit unüblich vielen jungen Bewohnern“. Neben Wohnungen hat er Co-Working-Plätze geschaffen, ein Café mit angeschlossenem Trödelmarkt und eine mit Rutsche und Strandkörben ausgestattete Dachterrasse. Wer hier einzieht, hat Pläne, sucht den Austausch und das Leben. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Wiesemann sein eigener Mieter wurde.
Künstlerdorf Unperfekthaus
Er müsse kein Geld mehr verdienen, aber Nichtstun sei keine Option. Für seine Projekte gelten drei Regeln: „Sie müssen Spaß machen, sollten gesellschaftlich nützlich sein – und kein Geld verbrennen.“ Nebenbei trägt er so zum Wandel seines Viertels bei. Keine Frage, er ist „Bürger des Ruhrgebiets“, das sieht nicht nur der Verein Pro Ruhrgebiet so. Auch die Stadt Essen weiß längst, dass sie auf ihn bauen kann.
Als das Jugendamt fragte, ob im GeKu-Haus Platz für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sei, sagte Wiesemann „grundsätzlich Ja“. Sechs Stunden später zog der erste ein. Inzwischen hat die Hausgemeinschaft schon zehn Jugendliche auf Zeit betreut. Er selbst habe daran weniger Anteil: Die vergangenen zwei Monate hat er in seiner Drittwohnung in Florida verbracht, zum Runterfahren. Und zum Entwickeln neuer Ideen.
„Spielgeld“ für kleine Initiativen
Er liebe die Freiheit, ohne Kredit und Fördergeld loslegen zu können, niemandem Rechenschaft zu schulden. Also überrascht er selbst gern kleine Initiativen oder engagierte Einzelkämpfer mit einer unverhofften Gabe: Spielgeld, nennt er das. „Die sollen machen, was sie wollen, ohne Antrag, ohne Beleg.“
Ja, er gebe auch mal Cola an Trinker aus, und vielleicht sei das verrückt. Auch darum freue er sich ja über die Auszeichnung, die er nun erhalte: „Der Kreis der Etablierten würdigt einen, der oft quer liegt.“