Essen. Die Ergotherapeutin Britta Deuter kümmert sich in der GSE-Werkstatt Borbeck auch um schwer mehrfachbehinderte Menschen: Ein Job, in dem sie aufgeht
Christian Jakowenko aus Rüttenscheid, von Geburt an querschnittsgelähmt, versieht schon seit Jahren in der GSE-Werkstatt Borbeck den Dienst an der Pforte. Die Ergotherapie – zweimal am Tag – bedeutet ihm viel: eine Stunde, die ihn rausreißt aus dem Alltagstrott. Und stark macht.
Mit sicheren Handgriffen richtet Britta Deuter, die Ergotherapeutin, den stabilen 55-Jährigen auf. Legt ihm den gepolsterten Beckengurt um, zieht stramm, und schon hievt ihn die surrende Winde sicher aus dem Rollstuhl in den Stehständer. „Zu stehen, tut mir sehr gut“, lächelt Christian, und wirft den roten Stein ins „Vier-gewinnt“-Gestell – ein spielfroher Spaß.
Technik erleichtert heute Vieles
Erleichterungen wie die elektrische Winde empfindet Britta Deuter – sie schließt beim Sprechen die Augen – als „Traum“. „Überhaupt kein Vergleich zu früher“, sagt die 50-Jährige, die auf zwanzig Jahre Berufserfahrung zurückblickt. Technik hin, Fortschritt her – die Therapieziele sind darüber dieselben geblieben: Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung selbstständiger, selbstbewusster und letzten Endes glücklicher zu machen.
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50 Menschen betreut sie in der GSE-Werkstatt (Gesellschaft für Soziale Dienstleistungen Essen) auf der Grasstraße – die meisten mit leichten Behinderungen, aber auch Schwermehrfachbehinderte sind dabei. Sie berichtet von einer jungen Frau, Ende zwanzig, die nicht sprechen kann. „Und ich weiß auch nicht, ob sie mich versteht.“ Die junge Frau bewegt sich sehr stark und – kein untypisches Phänomen – sie beißt sich manchmal selbst. Therapeuten nennen das Autoaggression. Eine Vorstellung, die Außenstehenden eiskalte Schauer über den Rücken jagt. Aber Britta Deuter, eine erfahrene Spezialistin, die Souveränität und Ruhe ausstrahlt, vermag sich in die Lage ihrer Klienten hineinzuversetzen. Sie fragt: „Wenn jemand den ganzen Tag fremdbestimmt ist, überrascht es dann, wenn er depressiv oder gar aggressiv wird?“. Beharrlichkeit und Geduld zählen mit zu den wichtigsten Gaben, die von einem professionellen Ergotherapeuten verlangt werden.
Selbstständig essen – eine Wohltat
Sie erzählt die Geschichte eines Mannes, der zunächst nicht in der Lage war, selbstständig zu essen. Die Hand mit dem Löffel vom Teller zum Mund zu führen – für unsereinen das Selbstverständlichste auf der Welt – schien schier unmöglich. Doch am Ende haben Therapeutin und Klient den Achttausender erklommen und die anscheinend hoffnungslos verkrampfte Hand gelöst – aber nicht in Stunden und Tagen, auch nicht in Wochen und Monaten. „Es hat gut sieben Jahre gedauert“, erzählt sie. Ein kleines Wunder. Und sie fügt hinzu: „Es ist ein Alptraum, wenn andere deinen Ess-Rhythmus vorgeben, und es ist eine Wohltat, wenn du das Tempo selber bestimmen kannst.“
In der lichtdurchfluteten Ergotherapie herrscht an diesem Morgen eine ansteckende Heiterkeit. Personal und Werkstattmitarbeiter duzen sich, es wird viel gelacht. Die einen werkeln an großen Arbeitstischen, andere flechten mit Peddigrohr. An der Decke hängt ein Boxsack, daneben ein Ergo- und Motometer, zwei Stehständer, Hanteln und Spiegelwand. Nebenan brutzelt die Kochgruppe in der heiteren Wohlfühl-Küche mit viel Gelb, Rot und Lila. Erfreulich: Es gibt nicht einen einzigen Werkstattmitarbeiter, der sich hier verweigert.
Die blinde Frau, die Kochen lernt
Britta Deuter schildert einen weiteren herzergreifenden Fall: die Geschichte der blinden Frau, die – verständlicherweise – panische Angst davor hatte, mit dem scharfen Messer Kartoffeln zu schälen. Und doch den inneren Schweinehund Schritt für Schritt zu überwinden lernte. Dieselbe, die bis dahin verurteilt war sich von faden Tütensuppen zu ernähren, vermag heute sogar leckere Gerichte zu kochen. „Ein Erfolg für alle“, findet Britta Deuter.
Draußen hört sie über ihre ungewöhnliche Arbeit von Außenstehenden schon mal den „Oh-Das-könnte-ich-nicht“-Satz. Sie selbst empfindet die Arbeit mit behinderten Menschen, zumal Schwermehrfachbehinderten, aber keinesfalls als schwere Last. Im Gegenteil. „Ich mache den Job für mein Leben gern, ich möchte nichts anderes tun“, sagt sie. Und strahlt.