Essen. Arndt von Bohlens größte Tat war der Verzicht auf sein milliardenschweres Krupp-Erbe, das die Gründung der Stiftung erst ermöglichte. Glücklich wurde er damit nicht.
Schon Anfang der 1960er Jahre war Alfried Krupp von Bohlen und Halbach schmerzlich klar geworden, dass sein einziger Sohn Arndt weder den Willen noch die Fähigkeit hat, Krupp in der sechsten Generation zu leiten. Für das Unternehmen ergab sich daraus eine schwierige Situation. Krupp war als Einzelfirma auf den Eigentümer ausgerichtet, von seinen Fähigkeiten hing enorm viel ab. Kopfzerbrechen bereitete auch der Erbfall.
Selbst wenn Arndt auf den Pflichtteil gesetzt worden und - wie kurz geplant - Alfrieds jüngerer Bruder Berthold in die Verantwortung gekommen wäre, hätte Krupp als notorisch kapitalschwache Firma die Erbschaftssteuer in größte Verlegenheit gebracht.
Entscheidend aber waren die Zweifel. Konnte man das Schicksal von 100.000 Mitarbeitern und die Zukunft eines großen Namens von den schwankenden Fähigkeiten eines jungen Mannes abhängig machen, der mit beängstigender Konsequenz die Laufbahn eines Lebemanns einschlug? „Arndt war ein kluger und begabter Junge, aber er hatte eben keine Lust zu arbeiten“, sagte Berthold Beitz einmal, der zu Arndt gleichwohl einen sehr guten Draht fand - sehr im Gegensatz zum Vater.
Sensibel und scheu
1938 geboren, war Arndt nur wenige Jahre alt, als sich seine Eltern scheiden ließen. Aufgewachsen bei seiner dominanten Mutter Annelise und in verschiedenen Internaten, war er von Beginn an der industriellen, ganz auf Krupp zugeschnittenen Atmosphäre in Essen enthoben, durch die seine Vorfahren geprägt wurden. Er war sensibel und scheu und alles andere als „hart wie Krupp-Stahl“. Der Zweite Weltkrieg mit seinen Schrecken und die anschließende Haftzeit von Alfried Krupp führten dazu, dass er praktisch ohne Vater aufwuchs. Er sah ihn - belastend und irritierend für ein Kind - nur bei gelegentlichen Besuchen im Landsberger Gefängnis.
Ursprünglich hatte Arndt vor, die Schauspielschule zu besuchen, und er interessierte sich für Kunst. Seine Cousine Diana Maria Friz sieht in ihm einen Ästheten: „Hätte er damals die Freiheit und die Möglichkeit gehabt, wäre er ein e Art Karl Lagerfeld geworden.“ Doch er verhielt sich so, wie die Familie es von ihm erwartete und studierte Wirtschaft und Jura - lustlos zwar, aber mit durchaus respektablen Ergebnissen.
Vater und Sohn bleiben sich fremd
Bei Empfängen und Jubilarehrungen in der Villa Hügel repräsentiert er pflichtschuldig aber ohne Begeisterung an der Seite seines Vaters, doch bleiben sich beide im Grund fremd - das sicher auch, weil das Emotionale Alfrieds Stärke nicht ist.
Für unangenehme Angelegenheiten zwischenmenschlicher Art - gerade auch wenn es um familieninterne Kalamitäten geht - ist bei Krupp der Generalbevollmächtigte zuständig. Berthold Beitz wurde Arndts väterlicher Freund, ein Ersatzvater, den Arndt „V2“ nannte im Unterschied zu „V1“ Alfried. Und der „V2“ schaffte es schließlich jene Vernunft-Entscheidung herbeizuführen, der die Firma von einem Alpdruck befreite, vielleicht sogar rettete: Nach langen Gesprächen verzichtet Arndt im September 1966 auf sein Milliarden-Erbe und gibt sich mit einer jährlichen Apanage von zwei Millionen Mark zufrieden. Viel Geld, sollte man meinen, doch wie die Zukunft zeigt, hatte der Begünstigte keinerlei Mühe es unter die Leute zu bringen. Oft musste Beitz diskret Rechnungen begleichen, weil das Budget des „Playboys“ mit seiner Ausgabefreude nicht mithielt.
Öffentlich dankte Alfried Krupp seinem Sohn für die „verantwortungsvolle Einsicht“, die nicht viel später hätte kommen dürfen. Denn einerseits zwingt die Finanzkrise bei Krupp schon 1967 zu raschen Entscheidungen - und zur selben Zeit ist der Eigentümer schwer erkrankt.
"Firma sollte sich selbst gehören"
Mit der durch Arndts Verzicht ermöglichten Gründung der „Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung“ als alleiniger Eigentümerin hofft der „letzte Krupp“, der am 30. Juli 1967 stirbt, die Zukunft und Einheit des Unternehmens sichern zu können. Gleichzeitig lässt sich so zuverlässig die soziale Tradition des Hauses fortführen, denn die Stiftung soll ihre Erlöse ausdrücklich für gemeinnützige Zwecke verwenden. „Die Firma sollte gleichsam sich selbst gehören“, fasst der Historiker Lothar Gall die Grundidee in ein einprägsames Wort. Zum Vorsitzenden der Stiftung, die am 1. Januar 1968 ihre Arbeit aufnimmt, wird Berthold Beitz bestimmt - eine Position, von der erst später klar wird, wie machtvoll sie ist.
Für Arndt von Bohlen, noch keine 30 Jahre alt, beginnt hingegen ein kurzes, tragisches und ausschweifendes Luxus-Leben als „reichster Frührentner Deutschlands“. Weit weg vom damals grauen Essen, sucht Arndt Zerstreuung, pendelt zwischen seinem Palais in München-Schwabing, seiner Villa in Palm Beach, dem Märchenpalast in Marokko und dem mit 72 Zimmern ausgestatteten Schloss Blühnbach bei Salzburg. Auch diesen, von der Familie viel geliebten alten Krupp-Besitz in den Bergen hatte Alfried seinem Sohn übertragen - zum Verdruss seiner vielen Geschwister und deren Nachfahren.
Auf Partys in aller Welt
Die Zeit vertreibt sich Arndt zum Beispiel auf seiner 30 Meter langen Motorschiff „Antinous II“ und auf Partys in aller Welt. Zu seinen Gästen zählten Prinzessin Soraya, Yves St. Laurent oder Jean-Paul Belmondo. Unzählige Hofschranzen, männliche Liebhaber und raffinierte Schnorrer buhlen um seine Gunst - dem letzteren Typus war Arndt, bekannt für seine Großzügigkeit, nahezu hilflos ausgeliefert. Oft beklagte er den „Fluch des Geldes“. Es gab aber auch Wohltätigkeit in guter Krupp-Tradition: In Thailand, einem Land, dem er sehr verbunden war und dass er viel besuchte, unterstützte Arndt den Bau von Schulen, Altenheimen und einer Leprastation.
Obwohl Arndt mehr oder weniger offen homosexuell lebt, läuten 1969 die Hochzeitsglocken: Henriette Prinzessin von Auersperg, aus österreichischem Uradel stammend, wird seine Frau. Zur Obsession gerät die Sorge um das äußere Erscheinungsbild. Das Schminken und die oft exaltierte Kleidung bieten Anlass zu harmlosen Spott, schwerer wiegt, dass sich Arndt von Bohlen Dutzenden, zum Teil riskanten Schönheitsoperationen unterzieht - zuletzt gegen dringenden ärztlichen Rat.
Schönheitsoperationen brachten den Tod
Das Theaterhafte ist seine große Passion: In einer sehr aufwendigen Zeremonie ließ er sich, schon gezeichnet von schwerer Krankheit, 1985 zum „Ritter des Ordens vom Heiligen Kreuz zu Jerusalem“ schlagen als Dank für eine Spende für die katholischen Flüchtlinge im libanesischen Bürgerkrieg. Bereits 1982 war er in Manila zum katholischen Glauben konvertiert - auch dies eine Loslösung von der Familie, die strikt protestantisch war, seit die Reformation Essen erreichte und unter Essener Patriziern zum vorherrschenden Bekenntnis wurde.
Am 8. Mai 1986 starb Arndt von Bohlen und Halbach, der kein Krupp mehr werden durfte und wollte, erst 48-jährig in München an Mundbodenkrebs - eine Spätfolge der exzessiven Operationen.