Essen.. Zwischen 77.000 und 87.000 Befürworter fanden sich für die drei großen Bürgerentscheide in Essen aus den Jahren 2001 und 2007. Das waren jeweils deutlich mehr als zehn Prozent der Wahlberechtigten. Damals dennoch zu wenig, heute mehr als genug. Nach neuem Recht wären Essens alte Bürgerentscheide alle erfolgreich gewesen. Das findet nicht jeder in der Lokalpolitik gut.
Wer zu früh kommt, den bestraft das Leben? Nun, manchmal ist es auch genau andersrum. Die Initiatoren der Essener Bürgerentscheide jedenfalls kommen in diesen Tagen seufzend zu der Erkenntnis: Wo sie vor ein paar Jahren mit ihrer Einmischung ins lokale Politgeschehen noch an der hoch hängenden Erfolgslatte scheiterten, könnten sie heute triumphale Erfolge feiern.
Man stelle sich vor: Das Kuhlhoffbad in Altenessen wäre noch offen und das Freibad West an der Nöggerathstraße auch. Ein Abriss der „Oase“ wäre genauso abwegig, wie die Twentmannhalle aufzugeben. Und Privatisierung im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge wären auf Jahre hinaus vom Tisch.
Mehr als zehn Prozent der Wahlberechtigten
Zwischen 77.000 und 87.000 Befürworter fanden sich für die drei großen Bürgerentscheide aus den Jahren 2001 und 2007. Das waren jeweils deutlich mehr als zehn Prozent der Wahlberechtigten. Damals dennoch zu wenig, heute mehr als genug, seit Rot-Grün vor einigen Monaten die Erfolgshürde in Großstädten von 20 auf 10 Prozent senkte. Als erstes profitierte vom neuen Bürgerentscheids-Recht am vergangenen Sonntag ein Bündnis in der Nachbarstadt Mülheim – wo „nur“ 13 Prozent der Wahlberechtigten ausreichten, einen Schulstandort zu sichern.
Ob es ihn grämt? Patrik Köbele bleibt nur ein Achselzucken. „Wir fanden es schon immer unfair und ungerecht, dass beim Bürgerentscheid mehr Stimmen zusammenkommen mussten als jede der großen Parteien zur Kommunalwahl kriegt.“ Drei Mal warf sich Köbele als Aktivposten von Linksaußen in die Bresche, drei Mal scheiterte er „an diesen blödsinnigen Quoren“, und er musste lügen, würde er nicht bekennen: „Ja, das ist ein Frustpunkt, klar.“
Das Polit-Instrument üben
Einer, den auch Mehrdad Mostofizadeh gut kennt: Um Werbung für den Erhalt mehrere Bäder zu machen, stapfte der grüne Ratsherr anno 2001 gemeinsam mit dem damaligen SPD-Spitzengenossen Willi Nowack in den Baldeneysee – und ging bei der Abstimmung später doch baden.
Als Landtagsabgeordneter gehört Mostofizadeh jetzt zu denen, die sich über die Erleichterungen freuen: „Ich setze darauf, dass die Menschen begreifen: Guck an, ich kann auch was bewegen.“ Die Politisierung insgesamt werde zunehmen, „wenn dieses Instrument erst mal eingeübt ist.“ Zumal man sich bei künftigen Vorstößen nicht zurücklehnen und drauf verlassen kann: Das schaffen die eh nicht.
Kufen einig mit Marschan
Da ist sich Kufen einig mit Rainer Marschan von der SPD, der Bürgerentscheide „in Einzelfällen“ begrüßt, aber insgeheim Sorge hat, „dass immer welche um die Kurve kommen, kleine Parteien vor allem, die das forcieren“.
Mit einer regelrechten Flut von Bürgerbegehren und -entscheiden rechnet keiner von ihnen, und auch Rüdiger Lohse muss auf die Frage nach neuen Abstimmungs-Initiatoren passen: Keine Anfrage, nichts, seit im August 2007 der Doppelentscheid zu Masterplan Sport und Privatisierung scheiterte. Ob das daran liegt, dass im ach so aktuellen Internet-Auftritt der Stadt noch die 20-Prozent-Hürde gilt?
Patrik Köbele hat jedenfalls die Lust am Einmischen nicht verloren, schon gar nicht angesichts gestiegener Erfolgsaussichten. Wenn demnächst etwa Bibliotheks-Schließungen geplant sein sollten, hätte man sich nach altem Recht ein Begehren dreimal überlegt.
Aber so...