Essen. Ein SPD-Ratspolitiker formuliert in einem als mutig empfundenen Interview mit der WAZ seine Sorgen um den Essener Norden. Der OB sollte das genau lesen.

Ein SPD-Ratspolitiker aus Essen-Karnap gibt der WAZ ein Interview. Schonungslos spricht Guido Reil darin seine Sorgen in Bezug auf die Flüchtlingskrise an und berichtet von gescheiterten Integrationsbemühungen in Essen. Nichts besonderes, könnte man meinen. Das Recht, offen auf Missstände hinzuweisen, ist schließlich eines der Grundpfeiler dieses Staates und sollte folglich auch in dieser Stadt etwas Alltägliches sein.

Die Reaktion vieler Leser spricht eine andere Sprache. Sie bejubeln Guido Reil, als habe dieser eine Heldentat vollbracht, manche sagen, selbst nie solchen Mut aufbringen zu können und loben auch den Interviewer, nämlich mich, der als Journalist aber nur seinen Job gemacht hat.

Woher kommt das Gefühl, nicht mehr sagen zu dürfen, was man will?

So sehr uns einerseits freut, einen Nerv getroffen zu haben, so sehr frage ich mich: Was ist eigentlich los in diesem Land, in dieser Stadt? Woher kommt dieses Gefühl, nicht mehr sagen zu dürfen, was man will, sondern wegschauen zu müssen? Politiker und auch Medienmacher sind gut beraten, sich sehr ernste Fragen zu stellen, wenn ganz normale Bürger das Selbstverständliche mittlerweile für eine Sensation halten.

Vor allem aber sollten die Sorgen, die Guido Reil formuliert, auch andere bekümmern, die in Essen viel mehr politische Macht haben als er. Der Oberbürgermeister hat selbst vor einigen Wochen im WAZ-Interview mit kritischem Unterton bemerkt, dass Essen – und da natürlich vor allem der Norden – sich zum Zentrum einer massenhaften Einwanderung arabischstämmiger Flüchtlinge entwickeln könnte. Dass dies Gefahren birgt, darauf hat der SPD-Ratsherr aus Karnap vor dem Hintergrund seiner bisheriger Erfahrungen völlig zu Recht deutlich hingewiesen.

Bis jetzt favorisiert Thomas Kufen eher die weiche Linie

Essen OB Thomas Kufen ist vom Temperament her nicht einer wie Boris Palmer, der grüne Oberbürgermeister von Tübingen, der ungeachtet massiver Kritik aus seiner eigenen Partei einen baldigen Stopp der Flüchtlingszuteilung für die Kommunen gefordert hat. Kufen favorisiert bis dato die wachsweiche Linie: „Wir schaffen das - noch“. Das deutet zwar irgendwann Grenzen der Aufnahmefähigkeit in Essen an, mehr aber auch nicht. Ich würde mir von Thomas Kufen wünschen, dass er langsam etwas härter, etwas klarer auftritt, selbst wenn dies seinen Parteifreunden Armin Laschet in Düsseldorf und Angela Merkel in Berlin missfallen sollte.

Es ist gut, dass die Stadtverwaltung in der Flüchtlingskrise funktioniert und die von der großen Politik geschaffenen Tatsachen vor Ort in geregelte Bahnen lenkt. Es wird aufopferungsvoll gearbeitet, allerdings auch sehr viel Geld ausgegeben, das die Stadt nicht hat.Ewig kann das nicht so weitergehen. Es gilt, Druck zu machen auf allen Ebenen – und zwar bevor die Grenze des „noch“ Machbaren erreicht ist. Und der Zeitpunkt dazu ist jetzt!