Essen-Katernberg. An der Meerbruchstraße in Katernberg lässt sich die Atmosphäre der alten Bergbau-Kolonien sehr gut nachempfinden, und selbst die Einbettung in die Landschaft ist nur wenig verändert. Wir haben eine Zeitreise unternommen.

Zugegeben, die Autos müsste man wegfahren, auf den Asphalt etwas Sand und Lehm streuen und die Antennen von den Dächern nehmen. Viel mehr wäre nicht nötig, und ein Regisseur könnte diese Siedlung als Filmkulisse nutzen, etwa über das Leben einer Bergmannsfamilie um 1900. Es gibt einige alte Bergbau-„Kolonien“ in Essen, die teils noch das geschlossene Bild bieten wie zur Erbauungszeit, die Siedlung Hegemannshof an der Meerbruchstraße in Katernberg ist - zumal in ihrem hinteren Teil - wohl eine der urtümlichsten.

Bis heute sind die alten Ställe gut erhalten. Sie gehörten ebenso zu den Häusern wie die großen Nutzgärten.
Bis heute sind die alten Ställe gut erhalten. Sie gehörten ebenso zu den Häusern wie die großen Nutzgärten. © WAZ FotoPool | WAZ FotoPool

Mehrere Dutzend so genannte „Vierspänner“ ziehen sich zu beiden Seiten schnurgerade die Straße entlang. Ursprünglich lebten in jedem Haus vier Mietparteien in abgeschlossenen Wohnungen, jeweils 60, maximal 70 Quadratmeter standen den oft kinderreichen Bergmannsfamilien zur Verfügung. Hinter den Häusern gab’s die Ställe - auch diese baugleich und vielfach erhalten -, dahinter dann die großen Nutzgärten. Zwischen 1890 und 1895 ließ die Zeche Zollverein die Häuser errichten, um ihre wachsende Belegschaft unterzubringen. Einige der Haustüren sind nicht viel jünger. Während anderswo nach und nach hier ein Haus fiel und neu hinzu kam und dort neue Quartiere um die Siedlung herum wuchsen, ist die Kolonie Hegemannshof nicht nur in den Details relativ unverändert. Sie steht bis heute noch frei in einem grünen Umfeld, man sieht sehr schön, wie sie einst in die Agrarlandschaft hineingebaut wurde.

Blick auf katholische Kirche und Fatih-Moschee

Ein Gedenkstein erinnert am Ende der Straße an die Bergarbeiter-Siedlung.
Ein Gedenkstein erinnert am Ende der Straße an die Bergarbeiter-Siedlung. © WAZ FotoPool | WAZ FotoPool

Hinten am Wendehammer, wo ein Sportplatz beginnt, sollte man einmal rechts in den Feldweg gehen. Plötzlich tut sich die typische Patchwork-Landschaft auf, die im Ruhrgebiet so prägend ist: Trampelpfade, Felder, ein kanalisierter Bach, der Bahndamm mit alten Schienen, ein kleiner Urwald, eine längst begrünte Halde und ein Feld, das offenbar immer noch bestellt wird. In der Rückschau sieht man dann, wie die Siedlung fast schnurgerade auf die katholische Kirche zuläuft, die heute hier kaum noch gebraucht wird - anders als die Fatih-Moschee, deren Minarett ebenfalls gut zu sehen ist.

Armut ist ein guter Denkmalpfleger

Die in den 1970er Jahren gebaute Zollvereinstraße und - erheblich früher - die Güterbahntrasse schlugen zwei Schneisen in die Siedlung. Auf letzterer fahren heute die Radler und werfen von oben neugierige Blicke auf die Häuser. Apropos: Wer zur Besichtigung ansetzt, sollte nicht allzu aufdringlich sein. Einige Bewohner, überwiegend mit Migrationshintergrund, erscheinen etwas genervt vom Touristenandrang.

Armut ist ein guter Denkmalpfleger, heißt es manchmal. Koloniehäuser wie die an der Meerbruchstraße wurden von den Zechengesellschaften vor 30, 40 Jahren oft aufgegeben und dann entweder abgerissen oder für kleines Geld Migranten überlassen. Der Denkmalschutz hat die kulturgeschichtlich wertvollen Siedlungen dann später wiederentdeckt. In der Zwischenzeit war nicht viel passiert, und hier in Katernberg ist das auch gut so.

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