Essen-Ostviertel. Der Bund will den denkmalgeschützten Hochbunker an der Eisernen Hand verkaufen. Die Bemühungen der Bezirksvertretung, den Bau dauerhaft für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen, scheiterten bislang. Geschichtsinteressierte würden das Relikt aus dem Zweiten Weltkrieg gerne weiterhin nutzen.
Das Gefühl der Isolation setzt nach wenigen Minuten ein. An Handy-Empfang ist hinter den 1,10 Meter dicken Mauern nicht mehr zu denken. Grelle Neonröhren sind die einzige Lichtquelle, Tageslicht gibt es nicht. Farbe blättert von den Wänden ab. Unzählige kleine Kammern drängen sich dicht den langen und kühlen Flur entlang.
Das Leid und die Ängste, die bis zu 400 Menschen im Hochbunker an der Eisernen Hand vor gut 70 Jahren ausstehen mussten, sie werden durch Theo Becker greifbar. Der Beauftragte für Katastrophenschutz und Notfallvorsorge der Stadt Essen führt an diesem kalten Novemberabend eine Gruppe der Jugendfeuerwehr Katernberg durch den 1941 errichteten Bau, der die Zivilbevölkerung vor Luftangriffen schützen sollte.
100.000 Euro Verkaufspreis
Die Jungs, die draußen noch übermütig waren, lauschen hinter den dicken Mauern mucksmäuschenstill. Den Geschichten über die Zwangsarbeiter, die den Bunker zwar unter menschenunwürdigen Bedingungen errichteten, dort aber keinen Schutz suchen durften und in einem selbst gegrabenen Stollen nebenan ums Leben kamen (siehe Bericht unten). Mit viel Bedacht in seiner Stimme fesselt Theo Becker seine jungen Zuhörer, die Nachwuchsarbeit liegt ihm am Herzen. „Vielleicht ist diese Führung die letzte ihrer Art“, sagt Becker mit unüberhörbarem Bedauern in der Stimme.
Der Bund, Eigentümer des geschichtsträchtigen und seit September 2012 unter Denkmalschutz stehenden Relikt aus Kriegs-Deutschland, will den Bunker verkaufen. Für 100.000 Euro. „Das war uns zu teuer. Gerne hätten wir den Bunker weiter für Übungszwecke und natürlich Führungen genutzt“, sagt Mike Filzen, Sprecher der Essener Feuerwehr, die nun unterhalb des Bunkers und unweit der Hauptfeuerwache ihr neues Ausbildungszentrum baut. Dass der Hochbunker voraussichtlich ab Ende des Jahres auf dem freien Markt angeboten wird, enttäuscht nicht nur die Feuerwehr. 400 Menschen waren zum Tag des offenen Denkmals im September gekommen, unter ihnen auch einige Zeitzeugen, die sich in ihrer Kindheit an die Eiserne Hand geflüchtet hatten.
"Gedenken muss wach gehalten werden"
Auch die für das Ostviertel zuständige Bezirksvertretung I hatte sich mehrfach eingeschaltet, um den Hochbunker dauerhaft zugänglich zu machen. So sollte geprüft werden, ob dem potenziellen Käufer nicht die Auflage zur Öffnung für die Öffentlichkeit erteilt werden könnte. Doch bei der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben ist Papier geduldig. Stellungnahmen auf das im Juli gesandte Schreiben „führten nicht wesentlich weiter“, heißt es über den Schriftwechsel aus der Verwaltung. Auch eine Reaktion der Bezirksregierung Düsseldorf, deren Obere Denkmalbehörde für das Bundeseigentum formal zuständig ist, blieb bislang aus.
„Das Interesse an der Geschichte hier ist groß. Und es ist wichtig, sie gerade für Kinder und Jugendliche mit Orten wie diesen begreifbar zu machen. Das Gedenken an Not und Elend muss wach gehalten werden“, sagt Theo Becker, der sich jedoch „längst mit den Tatsachen abgefunden hat, dass der Bunker verkauft wird“.
Namen der Kriegsgefangenen erst seit diesem Jahr bekannt
Tausende Autos rauschen täglich an dem Ort vorbei, der am 12. Dezember 1944 für 99 russische Zwangsarbeiter den Tod bedeutete. Versteckt am Ende eines kleinen Pfades an der Gerlingstraße, erinnert seit den 1960er-Jahren ein Ehrenmal an die Verstorbenen. Weil der von ihnen errichtete Hochbunker an der Eisernen Hand den Essener Bürgern vorbehalten war, bauten sich die Zwangsarbeiter in der Nähe des heutigen Evag-Betriebshofs einen eigenen Stollen zum Schutz, der ihnen zum Verhängnis werden sollte. Der improvisierte Bunker wurde getroffen, die Kriegsgefangenen verschüttet.
Die Namen dieser Menschen waren bis zum Frühjahr diesen Jahres unbekannt. Bis zu diesem Zeitpunkt galten die Zwangsarbeiter laut Botschaft der Russischen Föderation offiziell seit 69 Jahren als vermisst. Die Namen der Kriegsgefangenen waren in einem Verzeichnis überliefert, das die Zechenhauptverwaltung Victoria Mathias 1949 für die städtische Friedhofsverwaltung erstellte. Nahe des eingestürzten Stollens befand sich damals die Zeche Graf Beust.
Beet mit 99 schwarzen Kieselsteinen
Ein Abgeordneter der Duma der Region Moskau war es schließlich, der Stadtarchivar Klaus Wisotzy im April diesen Jahres die Namen mitteilte, die schließlich in deutscher und kyrillischer Schrift im Internet veröffentlicht wurden. Auf Initiative von Wolfgang Held, Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, sollen die Namen zudem im Frühjahr in Form einer Inschrift an dem Ehrenmal angebracht werden.
An die Opfer wird auch auf dem Außengelände des neuen Verwaltungsgebäudes der Evag gedacht, das sich oberhalb des ehemaligen Stollens befindet: Dort hat die Landschaftsarchitektin ein Beet mit unzähligen weißen und exakt 99 schwarzen Kieselsteinen angelegt.