Essen..

Eine „wachsende Stadt“ muss nicht zwangsläufig mit hohem Flächenverbrauch einhergehen, findet Stadtdirektor Hans-Jürgen Best – aber manchmal kommt man nicht drum rum.

Diese Woche war mal wieder die Welt zu Gast: Leute aus ganz Europa, Amerika, Asien und Afrika, die sich erst theoretisch über Stadtplanung und regionale Entwicklung austauschen, dann ganz praktisch das Dach der Kohlenwäsche erklimmen und dort oben den Chor der Überraschten anstimmen: „Boah, das ist hier aber echt gr......“

Wien, Barcelona, Essen

Genau: grün, nicht grau. Das wissen jetzt auch alle Teilnehmer der „Real Corp“, wie das viertägige Planer-Treffen im weißen Zollverein-Kubus hieß. Und dass die Veranstalter aus Wien-Schwechat statt der übers Revier gern verbreiteten Schmäh-Kritik den Charme der Region erkannt haben, zeigt sich ja irgendwie schon in der Wahl des Tagungsortes: Wien – Barcelona – Essen, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.

Dass sich im Alltag auch mancher Schluck Wasser mit dem Konferenz-Wein vermischt, liegt auf der Hand, denn Stadt und Region, die sich da so lebenswert präsentieren können, kämpfen mit dem scheinbar unaufhaltsamen Schrumpfungs-Prozess. Müssen wir also unsere mühsam errungenen, auch grünen Freiflächen im Norden wie im Süden wieder opfern, um als „wachsende Stadt“ eine gedeihliche Zukunft zu garantieren?

Neubau im Grün vertretbar

Hans-Jürgen Best, Planungsdezernent und Stadtdirektor, glaubt nicht an eine solche zwangsläufige Gegenbewegung – „das wäre nicht hinnehmbar und ist auch nicht notwendig, jedenfalls nicht im großen Stil“. Denn an vielen Stellen der Stadt sind die neuen Wohn- und Gewerbegebiete auf alten Brachen entstanden, vom Krupp-Gürtel westlich der Innenstadt bis zu den Scheidt’schen Hallen in Kettwig, von der „weißen“ Seite an der Kokerei Zollverein bis zum alten Großmarkt, wo die Bagger gerade die Baugruben fürs Univiertel ausheben.

Nein, ganz ohne Neubauten im grünen Gelände wird’s nicht gehen: „Das ist in geringem Umfang auch vertretbar“, findet Best – und lobt mit Blick auf den Streit ums Wohnen an der „Grünen Harfe“ den dort geübten „Dialog mit den Bürgern auf einem hohen Niveau“.

„Wer Kleingärtner quält, wird abgewählt“

Dass es anders geht, auch dafür gibt es Beispiele, egal, ob sich die Politik den schönen Reim „Wer Kleingärtner quält, wird abgewählt“ allzu sehr zu Herzen nimmt und Grabeland für unantastbar erklärt. Oder ob eine solvente Nachbarschaft wie jüngst an der Straße „Hohe Buchen“ in Bredeney einer bildschönen Villa hinterhertrauert, die durch einen nicht unbedingt schöneren Komplex mit 17 Eigentumswohnungen ersetzt wird.

Wer an die Entwicklung der Gesamtstadt denkt, findet in einer simplen Erkenntnis Trost: Mit verhältnismäßig geringem Flächenverbrauch lassen sich durch solche Entwicklungen gut betuchte Haushalte in Essen halten.

„Innenentwicklung“ heißt also das Stichwort: Die Planer setzen darauf, die „inneren Werte“ von Quartieren zu erkennen und nachzuverdichten. „Wir können nur dafür sorgen, dass diese Idee sich weiter herumspricht“, sagt Best, denn in der Stadtentwicklung – ob nun bei Wohn- oder bei Gewerbeflächen – sind der Stadt vielerorts die Hände gebunden. Der simple Grund: Grundstückseigentümer sind meist Private.

„Mit der Festwiese haben wir eine der letzten attraktiven Lagen in städtischem Besitz verfrühstückt“, sagt der Planungsdezernent: Eon-Ruhrgas zu halten, das war sicher ein Coup, aber wenn es jetzt daran geht, neue Flächen zu erschließen, ist man auf Partner angewiesen.

Mehr Freiheit zu gestalten

Nicht dass die Stadt mit Thyssen-Krupp im Krupp-Gürtel, mit RWE an der Altenessener Straße und mit RAG Montan Immobilien auf Zollverein im Clinch läge. Aber „natürlich hat eine Stadt mehr Freiheiten, gestaltend und gestalterisch tätig zu werden, wenn sie in Grundstücksgeschäfte eingreifen kann“. In Hamburg etwa, das mit seinem Programm der „wachsenden Stadt“ manchem Essener als Blaupause dient, werden für Investments am Strandtorkai in der Hafen-City auch Bedingungen gestellt: Mietobergrenzen etwa oder Einrichtungen der Infrastruktur. Es ging darum, dort keine Reichenghettos entstehen zu lassen, sondern einen bunten Mix auch mit Wohnungsangeboten für „Otto Normalbürger“.

Bei den genannten Essener Firmen deckte sich gottlob das Firmeninteresse mit dem der Kommune: Adressen, die bis dato keine waren, wurden dadurch enorm aufgewertet, dass die Eigentümer selbst sich mit Anker-Investitionen dort niederließen: Thyssen-Krupp gab „das großartige Signal“ für den Krupp-Gürtel, RWE mit der Energiehandels-Tochter „Supply & Trading“ brezelte das Stamm-Areal am einstigen Meteoriten auf, und RAG Montan Immobilien wirbt mit seinem neuen Firmensitz für die „weiße“, die südliche Seite der Kokerei in Stoppenberg. Motto: Ja, wenn die sich schon selber hier niederlassen... Früher oder später profitiert dann auch das Umfeld.

Bevölkerungszahlen stabil

Ob damit aber „Wachstum“ verbunden ist? Für Planungsdezernent Hans-Jürgen Best steht und fällt die Frage der „wachsenden Stadt“ mit der Bevölkerungsentwicklung, und die wiederum hänge stark an der Wohnungsbau-Statistik: Ablesbar ist dies für Best an der Bilanz der beiden nördlichen Stadtbezirke V und VI : Hier sei es in den vergangenen fast 25 Jahren gelungen, die Bevölkerungszahlen stabil zu halten. „Und wenn man die Baustatistik daneben hält, weiß man auch, warum: Hier entstanden besonders viele Wohnungen.“

Mehr Wohnraum also, die Quartiere verdichten, vorhandene Potenziale – auch bei Gewerbegebieten – nutzen, statt auf der grünen Wiese neu anzufangen. „Da müssen“, räumt der Planungsdezernent ein, „schon eine Menge Faktoren sehr sehr günstig ineinandergreifen, dann wächst Essen wieder“. Ob auf Dauer, das wäre eine ganz andere Frage.