Essen.. Essener Ruhr-Kolleg ermittelt mit seinem Geschichts-Projektkurs das Schicksal der Huttroper Jüdin Rosa Jacobs, die an den Folgen der Deportation starb
Wie recherchiert man Schicksale? „Man darf sich das nicht so vorstellen, dass man in ein Archiv geht und dort vollständige Akten mit den Lebensgeschichten einzelner Personen findet“, sagt Jennifer Croonenberg. Sie gehört zum Projektkurs „Geschichte“ des gegenwärtigen Abi-Jahrgangs am Ruhr-Kolleg in Huttrop.
Mit acht Mitschülern, die am Ruhr-Kolleg „Studierende“ genannt werden, ermittelte sie unter Leitung der Geschichtslehrerin Elisabeth Bessen den Lebensweg von Rosa Jacobs, einer Huttroper Jüdin, die 1944 zur Zwangsarbeit verschickt wurde, über das sächsische Minkwitz bis nach Halle an der Saale, wo Rosa Jacobs in der „Halleschen Bäckereimaschinenfabrik“ eingesetzt wurde. Schließlich landete Rosa Jacobs im Ghetto von Theresienstadt, einem damaligen Sammellager der Nazis, das auf heutigem tschechischem Boden liegt. Die Rote Armee befreite das Lager am 8. Mai 1945, im Juli ‘45 kam Rosa wieder nach Hause, abgeholt von ihrer Tochter Ruth, unterstützt von der Jüdischen Gemeinde in Essen.
„Ich weiß noch, wie ich hier in Huttrop auf dem Gehweg saß, vor dem Haus meiner Oma und der Bus der Gemeinde ankam“, erzählt heute Friedhelm Jacobs (86), ein Enkel von Rosa Jacobs. „Bis zum Kriegsende habe ich nichts über den Verbleib meiner Oma gewusst, aus Angst hatte niemand darüber gesprochen.“
"Ein beklemmendes Gefühl"
Friedhelm Jacobs war Ehrengast bei der Verlegung so genannter Stolpersteine zum Gedenken an Rosa Jacobs und ihre Kinder durch den Kölner Künstler Gunter Demnig. Sie wurden in dieser Woche vor dem ehemaligen Haus von Rosa Jacobs an der Straße Lönsberg verlegt.
„Am Anfang stand nur der Name Rosa Jacobs, den hatten wir aus dem Standardwerk von Hermann Schröter, ,Die Geschichte der Essener Juden“, berichtet Lehrerin Elisabeth Bessen. Der Rechercheweg führte vom Archiv der Alten Synagoge zum Stadtarchiv, dann zum Landesarchiv Duisburg und zur Düseldorfer Bezirksregierung. Die Schüler verschickten Briefe an alle Bürger in Essen, die Jacobs heißen, in der Hoffnung, Nachfahren zu finden. Bis sie auf einen Brief stießen, den Rosa Jacobs aus dem Zwangsarbeiterlager in Halle nach Hause verschickt hatte mit der Frage, wie „die Lage in Duisburg“ sei. Also weiteten sie ihre Brief-Aktion bis nach Duisburg aus – und: „Bingo! Ich bin der Enkel!“ So stand es eines Tages in einer Antwort-E-Mail. Sie war von Friedhelm Jacobs. Er konnte den Schülern mit Fotos und Berichten weiterhelfen.
Die Schülerin Jennifer Croonenberg arbeitete sich weiter durch Online-Datenbanken und opferte schließlich einen Teil ihrer Sommerferien. Sie suchte die alten Schauplätze auf, arbeitete sich durch sächsische Archive, machte Fotos in einem Gewerbegebiet, wo früher die Bäckereimaschinenfabrik stand, und fand in Minkwitz einen alten Gasthof, in dem Rosa Jacobs mit 160 anderen jüdischen Frauen kurzzeitig zwangskaserniert wurde. „Es war ein beklemmendes Gefühl“, erinnert sich Jennifer Croonenberg. Schließlich fuhr sie bis nach Theresienstadt und fand im Prager Nationalarchiv eine Deportationsliste mit Rosa Jacobs Namen – mit einem historischen Stadtplan konnte sie das Gebäude ausfindig machen, in dem die Essenerin damals untergebracht war.
Rosa Jacobs überlebte zwar. Doch sie starb 1949 in Essen an den Folgen der Deportation. Das lag an der schlechten Versorgung. Und ihre Krankheit Diabetes war eine ganze Zeit lang unbehandelt geblieben.
Wer Rosa Jacobs war
Friedhelm Jacobs (86), der Enkel Rosa Jacobs, den die Schüler an seinem heutigen Wohnort Duisburg-Baerl ausfindig machen konnten, klärte die Schüler erst mal auf: Seine Großmutter hieß eigentlich Rosalie, wobei man den Namen nicht auf dem „lie“, betont, „das ist amerikanisch“, sondern auf dem „sa“. Rosalie.
1879 war sie in Idstein im Taunus geboren worden, als Rosalie Goldschmidt, lernte ihren Mann auch in Idstein kennen, heirateten dort, siedelten aber später nach Frillendorf über. Denn aus Essen kam ihr Mann Friedrich Wilhelm Jacobs, der später als Tiefbauunternehmer an großem Ansehen gewann.
Das Leben wurde nach der Machtergreifung duch die Nazis schwierig für das Paar, es galt nach Nazi-Ansicht als „Misch-Ehe“; sie eine Jüdin, er nicht. Über die Novemberpogrome 1938 äußerte er sich abfällig – was folgte, war eine Vernehmung durch die Gestapo. Er stirbt nach mehreren Schlaganfällen im Februar 1939. Gemeinsam hatten sie vier Kinder in die Welt gesetzt.
Nach dem Tod des Mannes wird die Hetze gegen die Jüdin immer schlimmer. Sie wird von Nachbarn denunziert, im November 1941 findet sie einen anonymen Drohbrief im Postkasten: Sie solle verschwinden, und der Verfasser will beobachtet haben, dass sie, Rosa Jacobs, „den Judenstern nicht getragen“ habe. Am 17. September 1944 erfolgt die Deportation.
Auch an ihre Kinder Ruth und Werner Jacobs erinnern seit dieser Woche zwei Stolpersteine. Ruth war 34, als ihre Mutter verschleppt wurde, Werner war 1904 geboren worden. Von ihm ist bekannt, dass auch er zur Zwangsarbeit verpflichtet wurde. Die Kinder überlebten die Nazizeit, waren als „Halbjuden“ aber auch der Verfolgung ausgesetzt.