Essen.
Ein Essener Priester berichtet über das Leben mit dem Zölibat, seine innere Zerrissenheit, die Missbrauchsversuchung und innerkirchliche Konflikte. „Priester sind fehlbar wie alle“, sagt er - Bekenntnisse im Schutz der Anonymität.
An den Vatikan können sie ja herantragen, was sie wollen, da stößt man auf Granit. Da gibt es eine enorme Beratungsresistenz. Ab einer gewissen Hierarchiestufe, sobald Priester ihrerseits Priester ausbilden, nimmt der Dogmatismus, die Orientierung an den Lehrmeinung des Papstes enorm zu. Wir Priester an der Basis werden einfach nicht ernst genommen. So einfach ist das.
Ja, ich bin mittlerweile dafür, Priestern eine Heirat freizustellen. Einmal aus pragmatischen Gründen: Für viele Kandidaten ist der Zwang zur Ehelosigkeit ein großes Hindernis, und die Kirche hat doch schon so viele Gemeinden ohne Seelsorger. Aber es gibt natürlich tiefer gehende Argumente. Die Abspaltung des Andersgeschlechtlichen ist psychologisch falsch. Das tut niemandem gut, weder Männern noch Frauen.
Die Abspaltung des anderen Geschlechts tut niemandem gut
Ich persönlich komme aber mit dem Zölibat klar. Für mich ist es akzeptabel, wenn die Kirche sagt, wir wollen keine familiären Strukturen. Die Wurzel des Zölibats ist ja die Angst vor Priesterdynastien. Andererseits: Bei den Protestanten kann ich auch nicht sehen, dass das groß ein Problem ist. Naja, das ist schon ein Gegenargument.
Ich war immer ein Typ Priester, der sich mit der Institution Kirche kritisch auseinandergesetzt hat. Es gibt da ganz andere, unreflektierte und kantige Typen. Die sagen, jetzt bin ich Priester, jetzt wird missioniert, Punkt. Oft sind das zugegebenermaßen die Erfolgreichen. Ich bin da zurückhaltender. Das hängt auch mit dem Elternhaus zusammen. Mein Vater hat den Weltkrieg miterlebt. Wie die Kirche sich da verhalten hat, das Schweigen des Papstes zur Judenverfolgung, man darf da gar nicht drüber nachdenken.
Was die Missbrauchsdebatte betrifft: Es ist richtig, dass da mal kritisch nachgehakt wird. Jedes System, das zu groß wird, neigt ja dazu, sich kaum noch zu hinterfragen. Früher haben die Gläubigen das mitgemacht. Wenn früher ein Kind sagte: „Der Pfarrer hat mich angepackt“, dann wurde dem ja nicht geglaubt. Ein Pfarrer macht so was nicht, hieß es dann. Heute ist das anders. Die Kirche wird nicht mehr als unterhinterfragbare Autorität angesehen.
Ob es im Moment schwer ist Priester zu sein? Sagen wir es so: Mitten in der Finanzkrise hätte ich auch nicht unbedingt Banker sein mögen. Ich habe hier viel mit Jugendlichen in meiner Gemeinde zu tun. Also, äußern tun die sich nicht groß. Aber man fragt sich natürlich manchmal schon, was sie wohl denken.
Jeder Priester muss sich mit der Frage Sexualität und Macht auseinandersetzen
Es wird ja gesagt, dass Geistliche nur wenig betroffen sind. Ich weiß nicht, auf der Gerüchte-Ebene habe ich da viel gehört, auch früher schon, als ich selber jung war. Andererseits stimmt es natürlich: Wo Menschen zusammen sind, passieren solche Dinge, auch außerhalb der Kirche. Jeder Priester muss sich jedenfalls mit der Frage Sexualität und Macht auseinandersetzen. Das ist nämlich der Kern.
Wichtig ist auch, dass ein Priester soziale Beziehungen pflegt, damit er nicht auf seltsame Gedanken kommt. Früher war man viel mehr aufgehoben in kirchlichen Vereinen und Gruppen – da ist vieles in Auflösung begriffen. Umso mehr muss man schauen, dass einen etwas hält.
Als Priester ist man durch die Weihe verpflichtet, das Alleinsein auszuhalten. Aber dann kommt der Alltag. Tag für Tag gibt es diesen Anspruch, das muss man erst mal schaffen. Man kann ja nicht den ganzen Tag beten. Was macht ein Priester in seiner relativ üppig bemessenen Freizeit? Da gibt es dann viele Gelegenheiten, persönliche Beziehungen aufzubauen, zu Frauen oder zu Männern, je nachdem. Schlimm ist die Einsamkeit bei älteren Priester. Da kenne ich wirklich tragische Fälle, auch in Essen. Fälle, über die man sogar manchmal in der Zeitung liest.
Und dann die Sache mit der Moral. Von Priestern wird ja erwartet, dass sie einwandfrei leben. So wollen es die Gläubigen, so will es natürlich die Kirche und auch das Selbstbild der Priester ist genau so. Das Problem ist nur: Es stimmt nicht. Priester sind fehlbar wie alle. Ein Priester, der sündigt, führt aber wegen des hohen Selbstanspruchs ein striktes Doppelleben, sonst wäre das gar nicht auszuhalten. Die Verdrängungsleistung ist enorm, aber in Wahrheit weiß man natürlich, was falsch läuft.
Ich kenne keinen, der sagt mein Sohn soll Priester werden
Ich glaube dem Bischof Mixa aus Augsburg deshalb kein Wort. Der hat ja gesagt, er könne sich nicht mehr erinnern, dass er Kinder geschlagen hat. Solches Fehlverhalten vergisst man nicht, das widerspricht jeder menschlichen Erfahrung. Wobei man zugeben muss, schlagen ist etwas anderes als sexueller Missbrauch. In meiner Altenrunde in der Gemeinde hieß es neulich, Gott, wir sind früher auch schon mal geschlagen worden, so schlimm ist das doch nicht.
Die Gläubigen empfinde ich übrigens oft als schizophren. Ich hörte, dass in einer Essener Gemeinde eine neue Pastoralreferentin mit Skepsis aufgenommen wurde. Motto: Na, jetzt werden auch bei den Katholiken die Grundsätze aufgeweicht. Andererseits kenne ich keinen, der sagt, mein Sohn soll katholischer Pfarrer werden. Also, logisch muss ich das nicht finden.
Der neue Bischof – das ist ein Hardliner, der die Kirche in Ordnung bringen will, der Leistung fordert. Das finde ich richtig. Er denkt aber auch sehr konservativ, etwa beim Zölibat, und er will uns Priestern die „Laschheit“ austreiben. Aber wenn ich hart auftreten würde, hätte ich hier keinen Jugendlichen mehr. Das muss der Bischof sehen.
Manchmal habe ich daran gedacht auszusteigen. Ein Bekannter ist zur altkatholischen Kirche gegangen, hat geheiratet. Aber meine Kirche ist eben das Original. Für mich wäre das deshalb nichts. Was mich hält? Es ist die Geschwisterlichkeit in der Kirche, aber sie ist eigentlich mehr eine Hoffnung als gelebte Realität. Aber man hat Kontakte, einige Gleichgesinnte, mit denen man sich austauschen kann.
Würde ich alles noch mal so tun? Ja, trotz alledem. Was ich an meiner Kirche so schätze, ist der Auftrag, das Evangelium in den letzten Winkel der Welt zu tragen. Das ist ungeheuerlich, finden Sie nicht? Das fasziniert mich sehr. Ich leide an der Kirche, aber es bleibt doch mein Weg.