Essen. Die Stadt Essen kümmert sich mit Aufwand um minderjährige Flüchtlinge. Doch einige sind verschwunden - offenbar reisten sie auf eigene Faust weiter.
Sie sind jung, allein und fremd in Essen. Darum gibt die Stadt den etwa 300 minderjährigen Flüchtlingen, die derzeit hier leben, ein Versprechen: „Die jungen Menschen werden versorgt, sie brauchen ein Dach über dem Kopf und Schutz durch Erwachsene, auf die sie sich verlassen können“, sagt Sozialdezernent Peter Renzel. Und doch sind einige der Jugendlichen spurlos aus Essen verschwunden – oder nie hier angekommen.
Von 228 alleinreisenden Minderjährigen, die seit November 2015 über die städtische Clearingstelle untergebracht wurden, sind 19 inzwischen „unbekannten Aufenthaltes“; und von den 145 Jugendlichen, die Essen zugewiesen wurden, kamen 23 nie an. Insgesamt 42 Minderjährige also, die Behörden und Betreuern abhanden gekommen sind. Ein Umstand, der alarmieren sollte und den Renzel auch nicht kleinreden will: „Auch wenn wir keine Hinweise auf kriminelle Machenschaften haben, sind wir in großer Sorge.“
Jugendliche seien alleine weitergereist
Nach einer Recherche zeichne sich jedoch ab, dass der Großteil der Vermissten auf eigene Faust weitergereist sei: Allein zwölf der 19 aus Essen verschwundenen Jugendlichen, wollten offenbar nach Schweden, einen zog es zur Tante nach Hamburg. Letztlich habe man nur bei drei Jungen und einem Mädchen keine Erkenntnisse über ihren Verbleib. „Nach Auffassung unserer Fachleute gibt es keinen Hinweis, dass hier systematische kriminelle Strukturen erkennbar sind“, sagt Renzel. Auch bei den 19 Jungen und vier Mädchen, die erst gar nicht in Essen ankamen, vermute man, dass sie ihre Reise auf eigene Initiative fortgesetzt haben.
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Wie das geschehen kann, erklärt Björn Enno Hermans, Geschäftsführer des Sozialdienstes katholischer Frauen. Der SkF ist einer der Träger von Newland, wo männliche Flüchtlinge untergebracht werden, und er betreibt mit DomiZiel ein Heim für junge Mädchen. Regelmäßig werden den Einrichtungen Flüchtlinge aus anderen Städten zugewiesen, „die per Taxi, Bus oder Bahn herkommen“, so Hermans. Nicht immer würden sie von Jugendamtsmitarbeitern begleitet: Angesichts der angespannten Lage sei das wohl oft nicht zu leisten.
„Aber der springende Punkt bei den Vermissten ist nicht, dass kein Sozialarbeiter sie ans Händchen nahm, sondern dass sie weiterwollten.“ So kamen vier Jungs nicht in Newland an – fünf checkten zwar ein, verschwanden dafür später. Für sie war Essen wohl Zwischenstopp auf dem Weg nach Skandinavien oder „in eine deutsche Stadt, wo sie ihre Community haben“. Wer tausende Kilometer bewältigt habe, lasse sich kaum abhalten, sein Wunschziel zu erreichen.
Besondere Sorge um verschwundene Mädchen
Trotzdem melde man die Jugendlichen als vermisst, suche sie. Bloß sei das oft schwierig, weil sie noch nicht vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge registriert seien. „Wir machen zwar ein Foto, aber wir verlassen uns auf die Angaben der Jugendlichen“, sagt Hermans. Möglich, dass sie sich andernorts unter neuem Namen anmelden. „Wir brauchen eine zügigere Registrierung der Flüchtlinge.“
Besonders sorgt sich Hermans um die Mädchen, die verschwunden sind. „Bisher ist noch keins hier in der Prostitution gelandet, sagt unsere Beratungsstelle Nachtfalter.“ Doch natürlich bestehe die Gefahr, dass junge Frauen Opfer von Menschenhandel oder sexueller Gewalt werden. In anderen Fällen nehme das Jugendamt 15-Jährige in Obhut, weil diese mit dreimal so alten Ehemännern einreisten. Doch manche wollen den Schutz nicht, den ihnen der deutsche Staat bietet: „Auch sie hauen wieder ab.“