Essen. Bei den unregelmäßigen Treffen mit Event-Charakter steht der Spaß am gemeinsamen Singen im Vordergrund. Wer Verbindlichkeit will, regelmäßige Proben nicht scheut und Ehrgeiz mitbringt, ist allerdings in einem klassischen Chor unter professioneller Leitung besser aufgehoben. Chorleiter sehen in den freien Gruppen keine Konkurrenz.

Der „Day of Song“ im Kulturhauptstadtjahr 2010 war nur der Anfang: Offene Singtreffen wie das Rudelsingen in der Borbecker Dampfbierbrauerei, die Singgruppe der evangelischen Gemeinde Margarethenhöhe oder das Lustsingen im Atelier Buglart in Rellinghausen kommen immer mehr in Mode. Zu letztgenanntem lädt die Künstlerin Ingrid Bugla etwa alle zwei Monate ein. 30 bis 40 fast ausschließlich weibliche Teilnehmer, zwischen 40 und 70 Jahre alt, treffen sich in ihrem Atelier. Wenig erinnert an eine normale Chorprobe. Man plaudert, trinkt ein Glas Wein, singt zu Live-Begleitung den Text von der Leinwand ab, lacht über schiefe Töne, stärkt sich in der Pause mit einer selbst gekochten, deftigen Suppe - und tritt den Beweis an, dass der Tote-Hosen-Hit „Tage wie diese“ nicht nur in Partylaune nach Mitternacht Freude macht.

Viele scheuen feste Termine

Der stressige Alltag führt offenbar dazu, dass immer mehr Menschen weitere feste Termine in der Freizeit ablehnen. Die Mitgliedschaft in einem Chor aber bedeutet regelmäßige Proben. Hier sieht Ingrid Bugla einen Grund für den Zulauf beim Lustsingen: „Viele singen einfach gern in Gemeinschaft. Bei uns muss man den Ton nicht reffen. Die Masse trägt auch schwächere Stimmen. Wichtig sind allein der Spaß und die Geselligkeit.“

Aber ist solche Unverbindlichkeit - man kommt, wenn man Lust hat und zahlt für den Einzeltermin - nicht verhängnisvoll für Chöre, die sowieso oft unter Nachwuchsmangel leiden? „Nein, auf keinen Fall. Das sind zwei Welten, die nicht in Konkurrenz stehen“, sagt Stephan Peller, hauptberuflicher Kirchenmusiker, Organist und Chorleiter an der evangelischen Erlöserkirchengemeinde. Es freue ihn, dass es solche offenen Singgruppen gebe, in denen man gemeinsam Musik mache. Sei das Interesse erstmal geweckt, kämen vielleicht doch einige in die Chöre.

Menschliches Miteinander in der Chorgemeinschaft

„Grundsätzlich ist die Mitgliedschaft im Chor etwas für Leute, die ihren Alltag verbindlich gestalten wollen und das menschliche Miteinander in der Chorgemeinschaft schätzen“, sagt Peller. Regelmäßige Chorarbeit unter professioneller Anleitung führe natürlich auch zu anderen musikalischen Ergebnissen. „Wer einen gewissen Ehrgeiz mitbringt und zielorientiert arbeiten will, ist natürlich im Chor besser aufgehoben“, sagt der Berufsmusiker. Er kann aber durchaus verstehen, dass gelegentliches unverbindliches Singen mit Event-Charakter auch seinen Reiz hat.

Michael Mehlhorn vom Gospelchor „The Heisingers“ sieht das ähnlich: „Für Chöre sind offene Singtreffen keine Konkurrenz.“ Der Zulauf zu seinem Chor sei gut, nur an Männern mangele es - ein Phänomen, das auch auf das freie Singen zutrifft. „Singen bedeutet, Emotionen zu zeigen. Das trauen sich Frauen eher.“ Gemeinsames Singen tue der Seele gut. Egal, ob im Chor oder beim Lustsingen.