Essen.. Mit hoher Motivation gingen die ersten fünf Teilnehmer des lange umstrittenen „Pick up“-Projektes an den Start. Für den Einsatz mit Besen und Müllsack bekommen sie auf Wunsch Bier und eine warme Mahlzeit.

Sie kennen die Blicke der Passanten: Abschätzig, verächtlich, angeekelt lugen viele der Fußgänger, die den Eingang der Essener Innenstadt am Willy-Brandt-Platz betreten, auf die Obdachlosen und Süchtigen, die Trinker und Gestrauchelten herab, die sich dort regelmäßig versammeln. Oder sie schauen betreten weg. Szenen wie diese, Tag für Tag. Doch seit gestern ist irgendwie alles anders für Sandra, Miriam, Torsten, Markus und Michael.

Vom äußersten Rand der Gesellschaft rückten die Fünf in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Die Welt schaute mit einem Mal mit Interesse auf die schwer Suchtkranken, selbst dem arabischen Nachrichtensender Aljazeera waren sie einen kleinen Beitrag wert – als Helden für einen Tag und Hauptdarsteller in einem so ungewöhnlichen wie umstrittenen Streifen. Der Grund der ganzen Aufregung indes ist kaum nachzuvollziehen: Denn die Suchthilfe Essen hat nicht mehr getan, als „Pick up“ nach Amsterdamer Vorbild zum ersten Mal auf die Essener Straßen gebracht zu haben. Die Idee dahinter ist so einfach wie mutig: Mehrfach Drogenabhängige fegen und reinigen ab sofort die Szenetreffs in der City. Für ihren Einsatz mit Besen, Greifern und Müllsäcken bekommen sie Bier, wenn sie wollen, oder ein Päckchen Tabak, 1,25 Euro pro Stunde und eine warme Mahlzeit. Wenn’s funktioniert, ist das vielleicht ein Einstieg in den Ausstieg.

Großes Medieninteresse

So weit die Theorie des bundesweit einzigartigen Projekts, für das sich bereits im Vorfeld Fernsehsender aus Südkorea und USA ähnlich heftig interessierten wie die britische BBC. In der Praxis gab’s für das Premieren-Quintett Lob zum Start statt Stunk und Querelen und auch keinen Zoff in der Truppe: „Der erste Einsatz hat alle Erwartungen übertroffen“, sagt Oliver Balgar von der Suchthilfe, der seinen Protagonisten nach dem Ende ihrer ersten vierstündigen Schicht eine große Anerkennung ausspricht: „Die haben wie der wilde Bill Müll gesammelt.“ Eine stolze Leistung für Menschen, die Dutzende Entgiftungen, Knast und oft jahrzehntelange Drogenkarrieren hinter sich haben. Erstaunlich für Balgar ist die hohe Bereitschaft der Teilnehmer: Sechs hatte die Suchthilfe anfänglich ausgesucht. Fünf sind davon gestern pünktlich erschienen. „Das ist eine bessere Quote als bei jedem anderen Gemeinwohlarbeitsprogramm“, sagt Balgar, der auf Sicht mit zehn Freiwilligen rechnet, die sich nach erster Skepsis für das auf ein Jahr angelegte Projekt erwärmen könnten.

„Endlich habe ich Arbeit, endlich bin ich nicht mehr der Karl Arsch.“ Torsten, der ehemalige Bergmann, ist schon am Morgen hochmotiviert, während er sich bei der Suchthilfe in Schale schmeißt: Orangefarbene Arbeitskleidung, schwarze Sicherheitsschuhe und injektionsnadelsichere Schutzhandschuhe, mit denen gefahrlos Junkie-Spritzen aus dem Gebüsch gefischt werden können, gehören zur nagelneuen Arbeitskluft. Der 45-Jährige kommt für das Gratis-Bier der Suchthilfe nicht in Frage. Er wird substituiert, ist im Methadonprogramm, trinkt deshalb nicht.

Der Gesellschaft etwas zurückgeben

Markus allerdings geht’s anders an: Drei Flaschen hat er bereits vor dem „Pick up“-Start intus. Dennoch: „Das soll weniger werden mit meinem Konsum. Ich will arbeiten.“ Nicht nur für Bier, das allenfalls als ein Lockmittel in dem ehrgeizigen Projekt daherkommt, aber nicht als Bezahlung gedacht ist. „Pick up“ ist kein Therapie-, schon gar kein Entzugsprogramm, sondern ein ganz pragmatischer Lösungsansatz, um jene Suchtkranken zu erreichen, die bislang durch kein Angebot zu erreichen waren.

„Pick up“ will sie mit einfachen Mitteln in die Nähe der Helfer bringen, die Menschen beschäftigen, sie anpacken anstatt abhängen zu lassen. „Eine Tagesstruktur“ will auch Markus wiederfinden, seinem Leben einen neuen Sinn und der Gesellschaft etwas zurück geben. Gestern schien das zumindest im Ansatz schon mal gelungen zu sein. Als die Truppe mit gut gefüllten Müllkarren den Heimweg zur Hoffnungstraße antrat, erzählt Balgar, gab’s ein anerkennendes Schulterklopfen eines Passanten: „Find’ ich gut, was ihr hier macht.“