Essen. Dr. Hans Pielsticker behandelt Patienten, die oft suchtkrank und obdachlos sind. Am meisten hat der Allgemeinmediziner jetzt im Herbst und Winter zu tun. Rund 200 Menschen kommen je Quartal, meistens sind es Jungen oder Männer.
Verena (Name geändert) ist von zu Hause abgehauen. „Ich wollte mein Ding machen“, sagt die 15-Jährige, ihr Vater kümmere sich ohnehin nicht, der Stiefvater mache Stress. Regelmäßig verletzt das zierliche Mädchen sich selbst. Nachts kommt sie bei Freunden unter, in der Notschlafstelle oder in der Psychiatrie. Wenn es ihr körperlich schlecht geht, klopft sie ans Arztmobil. „Ich hatte ein bisschen Angst, weil es wie ein Krankenwagen aussieht. Aber der Doktor ist nett und kümmert sich.“
Seit fünf Jahren sind Dr. Hans Pielsticker und Arzthelferin Stefanie Löhr mit dem Mobil unterwegs, behandeln etwa 200 Patienten je Quartal. Im Sommer ist es ruhiger, „aber jetzt geht es rund“, sagt der Arzt. Das Ziel: Menschen zu erreichen, die das Regelsystem nicht nutzen. Dazu steht das Mobil etwa am Weberplatz vor der Anlaufstelle Basis für Straßenkinder, denn ihre Patienten sind meist obdachlos, alkoholkrank oder drogenabhängig.
Meist kommen Männer
„In einer Praxis fühlen sie sich oft schief angesehen“, sagt Pielsticker, der in Straßenkleidung statt im weißen Kittel behandelt, um die Hemmschwelle gering zu halten. Frauen seien gehemmter, meist kommen Männer – oft erst, wenn es nicht mehr geht: „Wenn die Wunde nach der Schlägerei schon eitert oder das Auge ganz zugeschwollen ist.“ Der Arzt behandelt ebenso Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, nimmt Blut ab, impft, näht Wunden, schreibt Überweisungen – so wie in einer Praxis, nur mit deutlich weniger Platz in dem eigens dafür eingerichteten Arztmobil.
Darin sind eine Liege und Einbauten, so dass sie viele Medikamente an Bord haben, die sie kostenlos abgeben. „Ich habe mir die Enge deutlich schlimmer vorgestellt“, sagt Pielsticker, der nach seinem Abitur am Goethe-Gymnasium Medizin studierte und dann für die UN sowie das Internationale Deutsche Kreuz in Afghanistan, dem Kaukasus und in Irak arbeitete. Zurück in Essen, wollte er „beruflich etwas Besonderes tun“.
Ein dickes Fell gehört zum Job
Die Umstellung war heftig, beschreibt Stefanie Löhr ihren Wechsel ins Mobil. Doch nun sei sie näher an den Menschen, habe mehr Zeit für sie. Jugendliche erzählen ihnen vom Streit zu Hause oder vom Rausschmiss, weil sie beim Kiffen erwischt wurden. Manche beschimpfen den Arzt auch oder beschädigen wütend das Mobil, wenn sie geforderte Schmerzmittel nicht bekommen. Angegriffen hat die Helfer noch keiner. Ein dickes Fell gehört trotzdem zum Job.
Und dann gibt es auch gute Nachrichten: Wie die von der Jugendlichen, die sich bei der suchtkranken Mutter mit Gelbsucht ansteckte und selbst Drogen nahm. „Sie ist jetzt 20, stabil, drogenfrei und geht zur Abendschule“, sagt Stefanie Löhr. Auch Verena möchte die Schule abschließen, heiraten, Kinder kriegen, zählt sie ihre Träume auf: „Ich möchte Kinderärztin oder Polizistin werden.“