Essen. Taxifahrer Norman Gocke (31) braust seit zweieinhalb Jahren durch die Essener Nacht. Seine kuriosesten Erlebnisse veröffentlicht er. Die Anonymität seiner teils komischen Fahrgäste wahrt er dabei stets.
„Hatten Sie mich angerufen?“, schallt es aus dem heruntergekurbelten Fenster. Ein kurzes „Ja“ als Antwort, und Norman Gocke manövriert seinen elfenbeinfarbenen Mercedes mit dem Taxi-Schild auf dem Dach an den Straßenrand. „Wollen wir uns hier im Stehen unterhalten oder im Fahren? Letzteres kostet dann aber, das Taxameter läuft automatisch, das kann ich nicht abstellen“, erklärt der 31-Jährige. Gemütlich machen wir uns fürs Gespräch daher in seinem Gefährt breit. Die Uhr bleibt stehen.
Seit zweieinhalb Jahren bewegt Norman Gocke sich als Taxifahrer durch die Nacht. „Aus Verzweiflung“, wie er hämisch meint. „Das ist ein Notnagel. Ich hab vorher rumstudiert, bin dann bei einem Automagazin als Schreiber gelandet, und das ging den Bach runter.“ Zu Stift und Notizblock, oder zu Smartphone und Laptop, greift der in Katernberg aufgewachsene junge Mann dennoch weiterhin: Die kuriosesten Geschichten von seinen Nachtfahrten hält er fest. Vier kurzweilige Episoden aus dem Wagen 151 hat er bisher im Internet gebloggt. Die Reaktionen sind durchgehend positiv, „nur einmal hat sich so eine Emanze beschwert“, berichtet er. Getroffen hat ihn das nicht, denn als Taxifahrer habe er ein dickes Fell. Auch gegenüber den Kunden: „So wie es in den Wald schallt, schallt es auch hinaus.“
Mit dem "Geiheimagenten" zum Polizeipräsidium
Auch die Motivation für sein Schreiben, das er „Abgründe der nächtlichen Personenbeförderung“ nennt, verpackt er in amüsante Worte: „Vielleicht gehen andere Kollegen nach der Arbeit zur Psychotherapie, um das Erlebte zu verarbeiten. Ich schreibe lieber drüber.“ Er nenne aber nie Namen, Adressen oder beschreibe so, dass seine Leser denjenigen wiedererkennen könnten. Nichts vom aufgeschriebenen Geschehen sei erfunden, alles entspreche der Wahrheit. Das gilt auch für die erste wahnsinnige Kolumne, die er im Mai dieses Jahres im wieder auferstandenen Auto-Magazin „Motoraver“ veröffentlichte.
„Ich habe vor zwei Jahren nach der Nachvorstellung einen Mann am Cinemaxx am Berliner Platz aufgenommen. Der hielt sich für einen Geheimagenten“, erinnert sich Gocke. Zwei Stunden sei er mit ihm durch die Nacht gefahren. Erst zur Nationalbank, dann zum Essener und später zum Hattinger Polizeipräsidium ging es. „Das Taxameter zeigte irgendwann 174 Euro, und dann war der Mann wie vom Erdboden verschwunden“, schreibt Gocke in der betreffenden Kolumne. Im Polizeipräsidium in Hattingen findet er ihn jedoch wieder, weil er von den sichtlich irritierten Beamten vor die Tür gesetzt wird.
"Ab zwei Uhr nachts ist Essen nur ein stark bewohntes Dorf"
„Als ich ihn endlich an einer Adresse abgesetzt und rund 200 Euro kassiert hatte, habe ich den Mann gefragt, welchen Film er im Kino gesehen hatte“, sagt der 31-Jährige und fängt an zu schmunzeln. „'Mission Impossible 4' war die Antwort des komischen Fahrgastes. Da war mir alles klar“, so der Taxifahrer.
Bei seiner Nachtarbeit hat der in Katernberg aufgewachsene Hobby-Autoschrauber auch viel über seine Heimatstadt gelernt. „Ab zwei Uhr nachts ist hier unter der Woche nichts mehr los, dann ist Essen einfach nur ein stark bewohntes Dorf“, meint er. Das betreffe auch das Ausgehen: „Nach halb drei kann man die Leute doch nur noch zum Gemarken-Treff, den Altendorfer Imbissbuden oder zum Puff fahren.“
Taxi-Kolumne im Internet
Besonders spannend sei für ihn das Gefühl zu meinen, die Menschen ließen sich grob in Kategorien wie freundlich/unfreundlich, arm/reich oder Nord/Süd einteilen. „Manchen sehe ich an, wo sie hin wollen. Aber die eigene Fantasie wird zurückgeholt, wenn dann eine Fahrt verblüffenderweise nicht nur wenige Kilometer führt, sondern auf einmal nach Marl.“
Norman Gocke (31) veröffentlicht seine Taxi-Kolumne „Wagen 151, Essen“ alle zwei Wochen auf dem Internet-Blog von Ankerherz: www.ankerherz.de/blog . Ferner erscheinen Auszüge aus seinem „Taxi Tagebuch – eine dokumentarische Reise durch die Abgründe der nächtlichen Personenbeförderung...“ drei- bis viermal im Jahr im Auto-Punk-Magazin „Motoraver“.