Der Historiker Prof. Heinrich Theodor Grütter, Chef des Essener Ruhr Museums, findet, dass man ohne ein Verständnis für Geschichte keine Zukunfts-Probleme lösen kann. Vor wenigen Wochen wurde der 56-Jährige zum Honorarprofessor am Historischen Institut der Universität Duisburg-Essen berufen. Ein Interview.

Der Mann spricht so schnell, wie er denkt – sehr schnell. Professor Heinrich Theodor Grütter, seit 2012 Direktor des Essener Ruhr Museums, hat zahlreiche historische Ruhrgebiets-Ausstellungen mit auf die Beine gestellt, die ein weltweites Echo fanden – zuletzt „200 Jahre Krupp – ein Mythos wird besichtigt“. Der 56-Jährige ist einer, der für die Geschichte brennt. Diese Leidenschaft versucht der Historiker – als Lehrbeauftragter – seit über 20 Jahren an Geschichtsstudenten der Ruhr-Universität Bochum und der Universität Duisburg-Essen weiterzugeben. Letztere hat den Gelsenkirchener vor wenigen Wochen zum Honorarprofessor in der Fakultät für Geschichtswissenschaften ernannt. Ein Gespräch darüber , warum Geschichte sich nicht mit „ollen Kamellen“ beschäftigt und warum Studenten heute nicht immer zu beneiden sind.

Warum ist Ihnen die Arbeit mit Studenten so wichtig?


Man muss, wenn man kulturell tätig ist, die Sichtweisen der nachwachsenden Generation verstehen. Wenn man da den Kontakt verliert, kann man zum Beispiel für ein Museum keine plausiblen Ausstellungen mehr machen. Unsere wissenschaftlichen Mitarbeiter im Ruhr Museum bestehen übrigens zu 50 Prozent aus Menschen, die ich an den Universitäten kennengelernt habe.

Kann man jungen Leuten heute überhaupt noch empfehlen, Geschichte zu studieren?


Es gibt das weitverbreitete Missverständnis, dass Geschichte in der Vergangenheit spielt. Die Fragen an die Geschichte kommen aber aus der Gegenwart. Damit man die Zukunft gestalten kann. Deshalb ist Geschichte eines der aktuellsten Fächer. Beispiel: Die nächste Ausstellung, die im April 2014 bei uns startet, ist „100 Jahre Erster Weltkrieg“. Die Frage des Krieges, der Umgang mit Gewalt und die Frage: Wie geht man mit Gewalt-Erfahrungen um, die Fragen sind absolut aktuell.

Ihre zentrale Botschaft für Geschichts-Studenten?

Dieses Fach ist etwas für Leute, die an einer zukunftsfähigen Gesellschaft interessiert sind. Wir müssen immer wissen, woher wir kommen und wohin wir wollen. Geschichts-Vergessenheit ist Zukunfts-Unfähigkeit, meiner Ansicht nach. Ein Geschichts-Studium ist eine Schule für das Leben. Und: Man lernt in diesem Fach das gründliche Arbeiten.

Die stecken halt in einem engen Zeit-Korsett


Stehen die Studenten heute mehr unter Druck als zu früheren Zeiten?
Ja! Früher sind die Leute in der Regel mit 27 Jahren von der Uni gekommen, heute sind sie 22. Da wird schon mit der verkürzten Schulzeit zum Abitur Zeitdruck aufgebaut. Für die Uni gilt dann: In drei Jahren kann man natürlich weniger Stoff vermitteln als etwa in sechs.

Viele Professoren beklagen, dass die Studenten mit einer immer geringeren Schulbildung an die Hochschulen kommen. Sie auch?

Ich glaube, die jungen Leute wissen heute oft etwas anderes, als zu der Zeit, als ich studierte. Ich bin ein Analphabet – was die heutigen medialen Welten angeht. Da sind mir die Studenten klar überlegen. Die sind auch sehr gut organisiert. Ich habe 16 Semester studiert und hatte noch eine Gaststätte nebenher. Das können die sich heute nicht mehr erlauben. Die stecken halt in einem engen Zeit-Korsett und sind an der Uni sehr diszipliniert.

Mag sein, dass sie bestimmte klassische Bildungsstoffe nicht so drauf haben wie frühere Studenten-Generationen. Aber dies wird zum Teil an den Schulen ja auch gar nicht mehr vermittelt. Wer liest denn heute noch Goethe-Texte?


Honorarprofessoren sind nebenberufliche Professoren. Sie müssen besondere wissenschaftliche oder künstlerische Leistungen erbracht haben.

Sie halten Lehrveranstaltungen ab, sind hauptberuflich aber weiterhin außerhalb der Hochschule tätig. Durch die Bestellung von Honorarprofessoren sollen Menschen mit Bezug zur Praxis für die universitäre Lehre gewonnen werden.