Essen.. Das Essener Jobcenter muss höhere Unterkunftskosten für Hartz IV-Empfänger bezahlen, teilte das Justizministerium mit. Das Bundessozialgericht hatte die Beschwerde der Stadt gegen ein Urteil des Landesgerichts zurückgewiesen. Die Stadt sieht das (noch) anders. Es handle sich um einen Einzelfall.

Für das Justizministerium ist die Sache klar: Das Essener Jobcenter muss allen Hartz IV-Empfängern höhere Unterkunftskosten bezahlen. Das stehe rechtskräftig fest, hieß es jetzt aus Düsseldorf, nachdem das Bundessozialgericht die Beschwerde der Stadt gegen ein entsprechendes Urteil des Landessozialgerichts zurückgewiesen hatte. Hartz IV-Anwälte jubeln schon, und die Mietergemeinschaft Essen rät Alg II-Empfängern, gegebenenfalls Überprüfungsanträge für ihre so genannten Kosten der Unterkunft zu stellen. Auch rückwirkend.

Nur die Stadt, die massive Mehrausgaben fürchtet, tritt verdächtig leise auf die Bremse. Man werde das Urteil in dem verhandelten Einzelfall einer Hartz IV-Empfängerin zwar umsetzen und der Essenerin die höheren Mietkosten erstatten. Eine Grundsätzlichkeit für alle anderen Bedarfsgemeinschaften sei daraus jedoch (noch) nicht abzuleiten.

Rechtsexperten richten Blick auf den 19. Mai

Letztlich ist es ein Poker um zweistellige Millionenbeträge, bei dem die Kommune meint, nicht die schlechtesten Karten im Spiel zu haben. Die Rechtsexperten richten ihren Blick hoffnungsvoll auf den 19. Mai: An diesem Tag wird ein vergleichbarer Fall vor einem anderen Senat des Essener Landessozialgerichts verhandelt, und es scheint Anzeichen dafür zu geben, dass die Richter im Gegensatz zu dem ersten Urteil eine Revision zulassen.

Sollte die Stadt dieses Rechtsmittel nutzen und erneut vor das Bundessozialgericht ziehen, würde die Entscheidung auch inhaltlich geprüft, was bei der schlicht abgelehnten Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluss des 7. Senats im ersten Fall nicht passiert ist.

Kalkül der Kommune

Und dann, so das Kalkül der Kommune, könnten die höchsten Sozialrichter in Kassel erkennen, dass die Essener Praxis nicht nur eine geübte, sondern auch eine praktikable ist: Neben einer Nettokaltmiete von 4,61 Euro die Betriebskosten in tatsächlicher Höhe zu übernehmen, wobei ein Wert von 1,30 Euro „nur selten überschritten wird“.

Das Landessozialgericht hingegen hat die Stadt verpflichtet, bei der angemessenen Mietobergrenze nicht mehr nur von einer Nettokaltmiete, sondern von Bruttokaltmiete auszugehen und dabei den NRW-Durchschnittswert von 1,94 Euro pro Quadratmeter anzusetzen. Für eine solch praxisferne Sicht der Dinge hat Sozialdezernent Peter Renzel „kein Verständnis“. Es sei vielmehr zu befürchten, dass das Urteil das Mietniveau in Essen insgesamt steigen lasse. Nun hofft die Stadt, am Ende die Wahl zwischen zwei Urteilen zu haben. Sie wird sich für das kostengünstigere entscheiden, was nicht nur für Siw Mammitzsch, die Geschäftsführerin der Mietergemeinschaft Essen ein Rückschlag wäre: „Zumindest für Ein-Personen-Haushalte ist es immer schwieriger geworden, eine angemessene Wohnung zu finden.“ Deshalb sei eine Erhöhung der Netto-Kaltmiete „dringend angezeigt“.

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