Essen. Anfassen, ausprobieren, bewerten: Wie die internationale Jury des Red Dot Award das Beste vom Besten unter 5200 Produktneuheiten herausfindet.

Design oder nicht Design, das ist an diesem Vormittag in der Lagerhalle an der Witzlebenstraße nicht die Frage. Mehr oder minder gut gestaltet sind hier alle Produktneuheiten, von der Kinderwiege bis zum Computer. Die Entscheidung, die die 41 internationalen Gestaltungsexperten treffen müssen, lautet vielmehr: Roter Punkt oder nicht Roter Punkt? Vielleicht sogar die höchste Auszeichnung: „Best of the Best“? Solche Entscheidungen trifft man nicht im Vorbeigehen, nach Computer-Sichtung oder beim Studium der Unterlagen. Solche Entscheidungen benötigen den Praxistest: Anfassen, ausprobieren, bewerten.

5200 Einsendungen aus 57 Nationen

Und deshalb verwandelt sich die riesige Industriehalle einmal im Jahr in ein großes Warenlager. Mit meterlangen Tischen voller Porzellan, Dutzenden von Flachbildschirmen, aufgereihten Küchengeräten und Fahrrädern, auf denen die Juroren auch mal quer durch die riesige Lagerhalle strampeln. Rund 5200 Einsendungen aus 57 Nationen haben sich in diesem Jahr um den Roten Punkt beworben. Und jedes Produkt, von der Zahnbürste bis zum Röntgengerät, wird einzeln präsentiert, in die Hand genommen, auf seine Funktionalität hin untersucht und am Ende benotet. Der „Red Dot“ ist schließlich das Güte-Siegel für hochwertige Gestaltungsqualität – und eine Mammutaufgabe für die Juroren. „Die begehrteste Industrieauszeichnung der Welt“, sagt Peter Zec, Leiter des Design Zentrums NRW und Initiator und CEO des Red Dot Design Awards, der Journalisten an diesem Tag erstmals einen Blick in diese Musterstube der guten Gestaltung gewährt.

Ein Jurorenteam für jede Produktgruppe

Zur Jury-Prominenz gehört auch Design-Superstar Jimmy Choo, Kult-Schuster der New Yorker „Sex and the City-“Ladies. In der Kategorie „Mode, Lifestyle und Accessoires“ hat Choo an diesem Tag ein Sortiment von Schirmen, Taschen und Koffern zu bewerten. Reißverschlüsse werden aufgezogen, Trolleys gerollt. Vor den Roten Punkt hat die Jury eine sorgsam protokollierte Debatte gestellt, und nicht immer steht am Ende die einmütige Frage: „Let’s give it a Red Dot? Yeah!“

Jede einzelne Produktgruppe hat dabei ihr eigenes Jurorenteam von der Kommunikations­- und Unterhaltungselektronik bis zu Küchengroßgeräten, der Heiz- und Klimatechnik bis zur Medizintechnik und dem Bereich Fahrzeugzubehör. Das Probeliegen im Massage-Sessel gehört dabei ebenso zu den Aufgaben wie das Probefahren des knallorangen McLaren-Flitzers, der auf dem Hof nicht nur Interesse bei den Fahrzeug-Juroren weckt, sondern so manchen Gestaltungsexperten auch mal kurz von den Kinderwagen und Kochlöffeln losreißt.

Der dänische Industriedesigner Nils Toft begleitet die Entwicklung der Bereiche „Unterhaltungselektronik, Kommunikation und Computer“ bereits seit mehreren Jahren. „Und jedes Jahr wird die Auswahl größer, anspruchsvoller und qualitativer“, schwärmt Toft. Als Red Dot-Juror habe man die spannenden Entwicklungen der Unterhaltungselektronik immer im Blick. „Eine einmalige Chance.“ Sagt’s und greift sich ein Paar Kopfhörer. Der Rote Punkt muss auch gut klingen.

„Red Dot“-Juroren im Außendienst: für den Airbus nach Toulouse

Wenn das Produkt nicht zur Jury kommen kann, dann kommt die Jury ausnahmsweise zum Produkt: Im Falle des neuen Airbus A350 machten Peter Zec und Mitglieder der Red Dot-Jury jetzt eine Ausnahme. Zur Sichtung und Bewertung des Flugzeuges mitsamt seinem zum Wettbewerb eingereichten Interieur reiste die Delegation direkt nach Toulouse. In den Airbus-Werken nahmen sie das Luftfahrzeug in Augenschein und diskutierten die zahlreichen Gestaltungsdetails, die zur komplexen Maschine gehören.

Ortstermin im Airbus A350: Für die Sichtung und Bewertung des neuen Flugzeuges reisten Peter Zec (Mitte) und seine Jury-Kollegen bis nach Toulouse.
Ortstermin im Airbus A350: Für die Sichtung und Bewertung des neuen Flugzeuges reisten Peter Zec (Mitte) und seine Jury-Kollegen bis nach Toulouse. © DOUMENJOU | Unbekannt

Ein Novum auch für Peter Zec, den Leiter des Design Museums NRW, der am 1. April in Essen sein 25-jähriges Dienst-Jubiläum feiern kann. Für den 59-Jährigen Design-Experten ist die Entwicklung des Red Dot Design Museums, das mit seinen rund 2000 preisgekrönten Objekten als das größte Museum zeitgenössischen Designs weltweit gilt, auch eine persönliche Erfolgsgeschichte. Zec hat das 1955 in Essen begründete Design Zentrum NRW 1991 übernommen und internationalisiert, mit dem Red Dot schuf er zudem eine internationale Marke. Unter dem Signet werden internationale Designwettbewerbe veranstaltet, Red Dot Design Museen gegründet, Red Dot-Jahrbücher herausgegeben sowie eine Red Dot App und mehrere Online-Portale betrieben. Im Mai wird Zec aufgrund seiner Verdienste für die Region vom Marketing Club Ruhr als „Kopf des Jahres“ ausgezeichnet.

Dass Zollverein auch in Zukunft Red Dot-Zentralstandort sein soll, steht für ihn außer Frage. Allerdings hat er in diesem Zusammenhang auch auf die Verlängerung des Miet-Vertrages und Expansionsmöglichkeiten gedrungen.