Essen. Tausende Euro für Wein und alternative Wahrheiten im Internetradio: Die AfD steht im Verdacht, Fraktionsgelder missbräuchlich genutzt zu haben.

Ein Punkt fehlt noch auf der Tagesordnung. Denn wenn sich das Ruhrparlament kommende Woche zu seiner nächsten Sitzung im Essener ChorForum trifft, steht der unangenehme Verdacht der Untreue im Raum: Er richtet sich gegen die AfD-Fraktion und ihren Vorsitzenden Wolfgang Seitz, es geht um den vermeintlichen Missbrauch von Steuergeldern für die Arbeit der Fraktion, um tausende Euro für 150 Flaschen Wein und die alternativen Wahrheiten eines Internetsenders.

Der Regionalverband Ruhr (RVR) hat inzwischen Strafanzeige gestellt. Dies bestätigte am Mittwoch die Sprecherin der Behörde, Staatsanwältin Marion Weise, auf Nachfrage dieser Zeitung: „Wir prüfen jetzt, ob wir Ermittlungen aufnehmen.“ Eine Finanz-Affäre nimmt ihren Lauf,

Ein Brandbrief von drei AfD-Ruhrparlamentariern an den Landesvorstand

Selbst wenn es nach einigen Mitgliedern der „Alternative für Deutschland“ geht, ist der Gedanke naheliegend: Schon vor gut vier Wochen schrieben die drei Ruhrparlamentarier Christian Krampitz aus Bochum, Friedhelm Rikowski aus Gelsenkirchen und Reinard Zielke aus Mülheim einen Brandbrief an den AfD-Landesvorstand, in dem sie sich Schützenhilfe bei ihren Auseinandersetzungen mit dem Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Seitz erbaten.

AfD im Ruhrparlament

Bei der ersten Direktwahl zum Ruhrparlament, der 91 Mitglieder zählenden Verbandsversammlung des Regionalverbands Ruhr, konnte die „Alternative für Deutschland“ 7,06 Prozent der Stimmen holen. Das reichte für eine siebenköpfige Fraktion, deren Vorsitzender der Dortmunder Messebau-Unternehmer Wolfgang Seitz ist. Zwei AfDler haben die Fraktion inzwischen verlassen und eine „Alternative Gruppe im RVR“ gegründet.

Diesem „mangelt es an einfachsten Kenntnissen, was Fraktions- und Parlamentsarbeit angeht“, heißt es in dem Schreiben, das der Redaktion vorliegt, und dabei gehe es nicht nur um Geschmacksfragen wie den Führungsstil oder formelle Regeln wie etwa Einladungsfristen.

Rund 9500 Euro für den Internetsender, den die Frau des Fraktionschefs betreibt

Sondern auch um die „unsachgemäße Verwendung von Fraktionsgeldern“, die man vor allem an zwei Positionen festmacht: Von den gut 110.000 Euro, die der siebenköpfigen AfD-Fraktion für ihre politische Arbeit im Ruhrparlament zugestanden sind, soll knapp ein Viertel in die Öffentlichkeitsarbeit geflossen sein. Rund 9500 Euro davon für den Internetsender „Antenne frei“, der eingebettet in die übliche Pop-Massenware Impf- und Zuwanderungs-Kritikern ebenso eine Bühne bietet wie Leuten, die Deutschland auf dem Weg zu einer Diktatur sehen.

Ein „Schwurbelsender“ sagen Spötter. Und auch das AfD-interne Kritiker-Trio sieht die Höhe der Zahlung, die für Öffentlichkeitsarbeit über „spezifische Themen des RVR“ und Interviews mit AfD-Vertretern anfallen sollte, als „absolut unverhältnismäßig“ und „Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot“ an.

„Das hat mehr als nur ein Geschmäckle“, sagt einer der Beteiligten

Und wofür eigentlich fließe das Geld? Der Sender mache „weder Werbung für die AfD noch (zulässige) Berichterstattung über die Arbeit der Fraktion“, warnen Krampitz, Rikowski und Zielke und deuten damit – wohl wissend um die stark reglementierte Zweckbestimmung von Fraktionsgeldern – mehr als nur vorsichtig an, dass hier strafrechtlich relevante Sachverhalte erfüllt sein könnten.

Dies zumal der Internet-Sender „Antenne frei“ von der Frau des AfD-Fraktionsvorsitzenden im Ruhrparlament betrieben wird. „Das hat mehr als nur ein Geschmäckle“, sagt einer der Beteiligten.

150 Flaschen für Präsente machen den Kritikern schon vorab Kopfschmerzen

Genauso wie die 150 Flaschen Wein, die sich der Fraktionschef an seine in Dortmund beheimatete Messebau-Firma liefern ließ. Wen immer die AfD da demnächst mit einem Präsent bedenken will, der darf sich schon mal auf den einen oder anderen guten Tropfen freuen: 50 Flaschen 2009er Grauburgunder sind darunter, ebensoviele Flaschen „Großer Herrgott“ des Jahrgangs 2017 und der eine oder andere Rote.

Dass kleine Geschenke die (politische) Freundschaft erhalten – gut und schön, aber 150 Flaschen bereiteten einigen AfD-Parlamentariern auch ohne mitgetrunken zu haben, arge Kopfschmerzen: Das sei ja wohl „überzogen“, heißt es in dem Brief an den AfD-Landesvorstand.

„Wichtig, dass unsere Steuergelder sinnvoll in unserer Region eingesetzt werden“

Von diesem erwartete man sich Beistand, nicht zuletzt „um Schaden von der AfD und auch der Fraktion im RVR abzuwenden“, und um die Dringlichkeit zu betonen, setzte das Trio auch gleich ein schriftliches Ultimatum: Binnen dreieinhalb Wochen, bis Ende Februar, möge man sich räuspern, ansonsten wolle man die AfD-Fraktion im Ruhrparlament verlassen.

Die Antwort, sie trudelte dem Vernehmen nach am 28. Februar, abends um 18 Uhr ein. Darin wurde ein Vermittlungsgespräch am 4. März vorgeschlagen, was den Kritikern augenscheinlich nicht genug nach klarer Kante klang. Christian Krampitz und Reinard Zielke verließen deshalb die Fraktion, nicht aber die Partei, und gründeten bereits eine neue Gruppe „Alternative Gruppe im RVR“. Friedhelm Rikowski hadert noch mit sich: „Ich hatte bis zuletzt auf ein Happy End gehofft.“

Seitz’ Anwältin spricht von „grob verleumderischen“ Anschuldigungen

Und Seitz? Der 55-Jährige war für die Redaktion nicht zu erreichen. Rechtsanwältin Verena Wester, die ihn in persönlichen Angelegenheiten vertritt, bis dato aber kein Mandat der Fraktion hat, spricht derweil von „grob verleumderischen“ Anschuldigungen und sieht bislang nirgends einen Straftatbestand erfüllt.

Wie der Fraktionsvorsitzende Wolfgang Seitz auch selber schon auf der Internetseite der AfD im RVR versichert: „Als Dortmunder Unternehmer ist es mir sehr wichtig, dass unsere Steuergelder sinnvoll in unserer Region eingesetzt werden.“