Essen. Laut dem Essener Kassenärzte-Chef haben Kollegen versucht, Verwandte bevorzugt impfen zu lassen. In Anmeldelisten fielen Unregelmäßigkeiten auf.
Ärzte aus Essen haben offenbar versucht, widerrechtlich Familienmitglieder mit in das Impf-Programm für ihre Praxen zu bekommen. Das geht aus einer E-Mail des Vorsitzenden der Kreisstelle Essen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), Ralph-Detlef Köhn hervor, die dieser Zeitung vorliegt. Köhn organisiert derzeit die Corona-Schutzimpfung für die rund 1300 niedergelassenen Ärzte in Essen sowie deren Angestellte, die in diesen Tagen über die Bühne gehen soll.
Bei der Sichtung der Anmeldungslisten fielen dem in Essen praktizierenden Internisten Köhn Unregelmäßigkeiten auf, in einer Mischung aus Ironie und Ernsthaftigkeit warnt er seine Kollegen vor den Folgen. Zitat: „Wir haben mit großer Freude feststellen können, wie viele Ehepartner, Schwiegereltern, ganze Familien offenbar in Euren Praxen beschäftigt sind!“, schreibt Köhn.
Und weiter: „Es ist nicht meine Aufgabe, das zu kontrollieren, aber Ihr solltet berücksichtigen, dass diese Liste an die KV, die Stadt, das Impfzentrum etc. geht und auch von vielen Kollegen eingesehen wird.“
Der KV-Vorsitzende ist enttäuscht: „Hätte nicht erwartet, dass sowas unter Ärzten vorkommt“
Der brisante Absatz in der E-Mail endet dann – wiederum fällt der lockere Tonfall auf – so: „Die vielfältig denkbaren Konsequenzen einer natürlich im Eifer des Gefechts rein irrtümlichen Angabe sind zu bedenken – ggf. meldet ihr formlos eine Korrekturnotwendigkeit.“ Aus der erneut unüberhörbaren Ironie darf man schließen, dass Köhn gerade nicht an „rein irrtümliche Angaben“ glaubt, sondern bewusstes Mogeln für deutlich wahrscheinlicher hält. Der insgesamt vertrauliche Ton und das Duzen sind wohl darauf zurückzuführen, dass - ähnlich wie in vielen anderen Branchen - auch Ärzte häufig einander gut kennen, wenn sie am selben Ort praktizieren.
Telefonisch darauf angesprochen, bestätigte Ralph-Detlef Köhn die Mail und den gesamten Vorgang, den er trotz der Tonlage nach eigenen Angaben nicht für ein Kavaliersdelikt hält: „Sie haben in jeder gesellschaftlichen Gruppe, also auch unter Ärzten, einige, die sich nicht an die Regeln halten.“ Gleichwohl enttäusche ihn der Versuch, Familienangehörige bevorzugt in das Impfprogramm zu bekommen, indem man sie für Praxis-Angehörige ausgibt. „Ich hätte eigentlich erwartet, dass so etwas unter Ärzten gar nicht vorkommt.“
In etwa zehn Fällen sei eingegriffen worden, so der KV-Chef
Köhn schätzt die Zahl der Fälle auf „vielleicht zehn“, bei denen er dann schließlich eingreifen musste, sich dann also doch eine Kontrollfunktion vorbehielt - obwohl er dies in der E-Mail ausgeschlossen hatte. „Wir haben die entsprechenden Personen dann diktatorisch aus der Liste der Impflinge gestrichen.“ Es muss indes wohl offen bleiben, ob Köhn bei immerhin rund 1300 Praxen und einem – wie er an anderer Stelle der E-Mail einräumt – erheblichen Zeitdruck wirklich alle schwarzen Schafe erwischt hat.
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Umgekehrt gibt es allerdings tatsächlich nicht wenige Ärzte und Ärztinnen, die ihre Ehepartner oder andere Verwandte in ihren Praxen beschäftigen. In diesem Fall wäre die bevorzugte Impfung legal. Zu den 1300 niedergelassenen Ärzten kommen nach Schätzungen von KV-Chef Köhn noch rund 4800 Praxis-Angehörige, die sich in diesen Tagen impfen lassen können. Wer da mit wem verwandt ist, dürfte im Einzelfall nicht leicht zu bewerten sein.
„Unmoralische Angebote“ erreichen auch den Chef des Impf-Zentrums
Von „unmoralischen Angeboten“ von Menschen, die bevorzugt geimpft werden wollen, hatte jüngst in einem Interview auch Dr. Stefan Steinmetz gesprochen, der im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung die Impfungen in Essen organisiert. Er hatte eingeräumt, dass mancher beim Impfen „dem eigenen Glück etwas nachgeholfen hat - das will ich nicht ausschließen“. Gemeint waren damit aber nicht betrügerische Listen bei den Praxis-Impfungen, sondern eher allgemein Leute, die mit dem Impfgeschehen zu tun haben und zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind, um im Impfzentrum eine überzählige Spritze zu ergattern, die ansonsten in den Müll wandern würde.
Systematisches Vordrängeln sei hingegen zum Scheitern verurteilt, betonte Steinmetz erst vergangene Woche. Es scheint, dass manche ärztlichen Kollegen dies beim Impf-Programm für ihre eigenen Praxen nicht ganz ernst genommen haben.
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