Essen. Ida und Olivia verloren bei einer Schlittenfahrt in Wetter die Kontrolle und wurden schwer verletzt. Essener Fachärzte operierten die Schwestern.
Kaum sind sie bei der Wiese angekommen, setzen sich Olivia und Ida auf den Schlitten. Die 4-jährige Olivia nimmt vorne Platz, ihre große Schwester (7) steigt hinter ihr auf den „Turboschlitten“, wie sie ihn nennt. Sofort nehmen sie Schwung und fahren los, erinnert sich Carsten Urban.
Seine Töchter kennen die Piste gut. Die Wiese liegt nur eine Querstraße von ihrem Haus in Wetter entfernt, jeden Winter fahren sie hier Schlitten. So auch am Sonntag, den 14. Februar. Es lag viel Schnee, erinnert sich Urban. Was die Familie nicht wusste: Die obere Schneeschicht war angefroren. Das führte dazu, dass Ida und Olivia schon kurz nach dem Start eine hohe Geschwindigkeit erreichten.
Vater Carsten Urban: „Das zieht einem als Eltern den Boden unter den Füßen weg“
„Die Piste war an dem Tag zu schnell und zu steil für das fahrerische Können der beiden“, sagt Urban rückblickend. Die Mädchen verloren die Kontrolle, schafften es weder, den Schlitten zu lenken noch zu bremsen – und prallten mit ihren Gesichtern auf den gefrorenen Wurzelteller einer Eiche. Das erklärten einige Jungen, die den Unfall beobachtet haben.
Carsten und Sabrina Urban sind sofort den Hang hinuntergelaufen. Die Mädchen kamen ihnen schon entgegen. „Als Erstes kam Olivia den Berg hoch, auf dem Arm eines Mannes. Da habe ich schon gedacht: Um Gottes willen! Sie war verdreckt, alles war geschwollen und sie hatte starkes Nasenbluten. Ein paar Meter dahinter kam Ida. Da habe ich direkt gesehen, dass es bei ihr noch viel, viel schlimmer war. Das zieht einem als Eltern total den Boden unter den Füßen weg“, erinnert sich Carsten Urban mit Tränen in den Augen.
Rettungshubschrauber flog Ida (7) nach Essen
Die 7-jährige Ida hatte „einen Cut an der Oberlippe, die untere Lippe war aufgerissen, da sprudelte das Blut raus. Auch aus der Nase lief das Blut. Die Augen waren total angeschwollen. Die Zähne hingen auf halb neun. Einige wurden von der Wucht des Aufpralls rausgesprengt“, so ihr Vater.
Sofort wurde ein Rettungswagen gerufen. Es dauerte höchstens sieben Minuten, bis er eintraf, sagt Urban: „Aber gefühlt war es eine Ewigkeit.“ Seine jüngere Tochter, deren Verletzungen weniger schwerwiegend wirkten, wurde ins Krankenhaus nach Bochum gefahren.
Ida brachte ein Rettungshubschrauber in die Uniklinik nach Essen. Eine Notärztin setzte die 7-Jährige vor dem Flug in Narkose. „Man bekommt das alles gar nicht richtig mit. Irgendwann habe ich den Hubschrauber gehört. Ida wurde vorsichtig auf einer Matratze hineingetragen. Ich bin die ganze Zeit dabei geblieben. Aber dann hebt der Helikopter ab und das Kind fliegt schwer verletzt weg“, sagt Carsten Urban.
Fünfstündige Operation notwendig
In Essen wurde sie zunächst im Schockraum untersucht. Schnell stand fest, dass sie keine Gehirnverletzungen hatte. Eine sofortige Operation war aber unumgänglich. Deshalb wurde Dr. Roman Pförtner von den Evangelischen Kliniken Essen-Mitte alarmiert. Er ist der Leitende Oberarzt der Spezialklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (MKG).
Vier Stunden setzte er für die OP an, letztendlich dauerte sie rund fünf Stunden. Gemeinsam mit seinem Team behandelte er Gesichtsschädelfrakturen, versorgte Quetschwunden an Ober- und Unterlippe und implantierte die ausgeschlagenen Schneidezähne.
Aufgrund der Schwere von Idas Verletzungen wurde beschlossen, zur Sicherheit auch ihre kleine Schwester in der Essener Uniklinik zu untersuchen. Oberarzt Pförtner stellte nach dem CT fest, dass Olivias Knochen stark abgesunken war: Ihr Gesicht war um fast einen Zentimeter nach hinten gedrückt worden. Außerdem wurde ein Augenmuskel verletzt. Ihre Operation wurde zwei Tage später in der MKG-Spezialklinik durchgeführt.
Ida (7) nach Operation: „Das bin nicht ich!“
Da hatte ihre ältere Schwester Ida den Eingriff schon hinter sich. Als sie wieder zu Bewusstsein kam, war sie relativ schnell wieder klar, erzählt ihr Vater. Eine ihrer ersten Fragen: „Wie sehe ich aus, Papa? Kannst du mal ein Foto von mir machen?“
Urban wollte seine Tochter nicht anlügen, erfüllte ihr den Wunsch. „Das bin nicht ich!“, war Idas Reaktion auf das Bild. Sie musste noch eine Nacht auf der Intensivstation verbringen. Aufgrund der Corona-Schutzmaßnahmen durfte ihr Vater nicht bei ihr bleiben. „Die Kleine hat mich gefragt: Warum gehst du jetzt? Du hast doch gesagt, du bleibst immer bei mir. Das bricht einem das Herz.“
Nach einigen Tagen wurde Ida in die MKG-Spezialklinik der Evangelischen Kliniken Essen-Mitte gebracht, wo ihre Schwester schon auf sie wartete. Hier verbesserte sich der Zustand der Mädchen von Tag zu Tag. Sie mussten nicht mehr an den Tropf, keine Infusionen mehr bekommen. Idas Augen schwollen ab. Endlich konnte sie wieder richtig sehen.
Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie
Um in der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie zu arbeiten, ist ein Doppelstudium nötig. Man muss sowohl Medizin als auch Zahnmedizin studieren. Anatomisch begrenzen sich die Ärzte mit dem Gesicht zwar auf einen Bereich, decken aber trotzdem „das ganze Spektrum“ ab, so der Leitende Oberarzt Pförtner. Er und seine Kollegen behandeln Kinder mit Fehlbildungen, Unfälle mit Knochenverletzungen, Tumore. Gemeinsam mit anderen Spezialisten nehmen sie auch Schädelbasiseingriffe vor.
Familie versucht, den Unfall zu verarbeiten
Sieben Wochen später sind ihre Narben gut verheilt. In wenigen Monaten werden die Titanplatten, die ihre Knochen zusammenhalten, bei einer Operation entfernt. „Die Knochen von Kindern sind weicher, so dass Knochenbrüche eher nicht auftreten. Es kommt eher zu Verbiegungen. Dass es bei den Schwestern tatsächlich schwere Knochenverletzungen waren, spricht dafür, dass die Gewalt erheblich war“, erklärt Pförtner. Er arbeitet seit 25 Jahren in dem Fachgebiet. Kinder müsse er zum Glück nur selten operieren, so der Oberarzt.
Familie Urban versucht, den Unfall „so gut es geht aufzuarbeiten“, sagt der Vater. Sie gehen zu einem Psychologen. Bei der 4-jährigen Olivia zeugt mittlerweile nur noch eine kleine rote Stelle unter dem Auge, die für die OP aufgeschnitten wurde, von dem massiven Eingriff. „Für Olivia ist das quasi abgehakt. Wenn wir ihr sagen, sie soll ein bisschen ruhiger und langsamer machen, fragt sie nur wieso.“