Duisburg. Die einzige Suchtberatungsstelle in Rheinhausen hat geschlossen. Für Elke ein Problem im Kampf gegen den Alkohol: „Weiß nicht, ob ich durchhalte.“
„Es ist eine Flickschusterei.“ Und das, obwohl Elke doch so dringend Hilfe braucht. Sie ist suchtkrank, leidet außerdem an psychischen Erkrankungen. Hilfe im Kampf gegen ihre Abhängigkeit vom Alkohol fand Elke lange beim Alexianer Bürgerhaus in Duisburg-Rheinhausen. Doch die Anlaufstelle machte im Frühjahr 2024 dicht. Mit Folgen für Elke – aber auch für weitere Betroffene im Duisburger Westen.
Elke fand im Bürgerhaus die Unterstützung, die sie so dringend benötigte. „Ich hatte nach einer traumatischen Kindheit und einer früheren Erfahrung mit einer sexuell übergriffigen Psychiaterin kein Vertrauen mehr in Psychiater oder Therapeuten“, gibt sie zu. Doch entgegen aller Befürchtungen konnte sie sich den Mitarbeitern der Hilfestelle anvertrauen. Fast sieben Jahre ging Elke hier in Therapie – mit Erfolg. Sie sei stabiler geworden, erzählt sie stolz. Das Bürgerhaus war für die Duisburgerin unverzichtbar.
Umso größer der Schock für Elke, aber auch für viele andere Suchtkranke aus Duisburg, als die Hilfestelle in diesem Jahr schloss. Mehrere Mitarbeitende, darunter der leitende Arzt, traten ihre Rente an. Laut Alexianer Krefeld GmbH, Träger der Beratungsstelle, sei dadurch das Angebot vor Ort „nicht mehr leistbar gewesen“.
Betroffene vermutet: Bürgerhauses in Rheinhausen musste aus finanziellen Gründen schließen
Für Elke ist dies ein vorgeschobener Grund. Sie möchte anonym bleiben, ihr Name wurde von der Redaktion geändert. „Auf mich wirkte es nicht so, als sei die Rente des Leiters Grund für die Schließung gewesen, sondern eher die Schließung Grund für die Rente“, ist sich die 45-Jährige sicher. Und selbst wenn, hätte der Betrieb weitergeführt werden können: „Ich kenne das ganze Team und ich weiß nicht, welche ominösen Mitarbeiter des Teams noch in Rente gegangen sein sollen.“ Mit der Schließung hätten die Alexianer dem Arzt den „Schwarzen Peter“ zuschieben wollen.
Elke vermutet finanzielle Interessen hinter dem Handeln der Alexianer. Schon ein Jahr vor der Schließung hätte der Träger die Suchttherapie im Bürgerhaus umgestellt, sodass Patienten seltener von Ärzten und häufiger von Sozialarbeitern behandelt wurden. Das sei günstiger gewesen, vermutet Elke.
Der Träger verweist weiterhin auf organisatorische Gründe. Man bedaure, dass „das Angebot in Duisburg“ daher „nicht mehr aufrechterhalten“ werden konnte, so Unternehmenssprecher Frank Jezierski. Nähere Angaben zu den Mitarbeitenden machten die Alexianer nicht.
Für viele Suchtkranke ist der Weg zum neuen Alexianer-Standort zu weit
Nach der Schließung bot der Träger den ehemaligen Patienten des Bürgerhauses an, ihre Behandlung im Krefelder Alexianer-Krankenhaus Maria-Hilf fortzusetzen. Dorthin wechselte auch Elke, allerdings ungern. War früher das Bürgerhaus quasi um die Ecke, dauert die Fahrt zur Therapie jetzt deutlich länger. „Von Rumeln aus fährt man mit dem ÖPNV circa zwei Stunden pro Strecke.“ Macht also vier Stunden Fahrzeit für eine halbe Stunde Therapie.
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„Gut erreichbar“, wie die Alexianer den Standort in Krefeld beschreiben, sei das nicht, behauptet Elke. „Glücklicherweise habe ich ein Auto, sodass mich – im Gegensatz zu vielen anderen – die Entfernung nicht zur Aufgabe meiner Therapie zwang.“ In ihrem Bekanntenkreis kenne sie jedoch Betroffene, die aus diesem Grund das Suchthilfeangebot der Alexianer abbrechen mussten.
Das bestätigen auch die Alexianer Krefeld GmbH. „Einige Patienten haben die Behandlung von sich aus beendet, da ihnen die räumliche Distanz zu groß war“, berichtet Unternehmenssprecher Frank Jezierski. Teilweise sei es aber auch zu einer „Anschlussbehandlung in Duisburg bei einem anderen Anbieter“ gekommen.
Für Elke wird der Besuch eines weiteren Psychiaters zum Problem
Neben der Suchtbehandlung in Krefeld geht Elke auch zu einem Psychiater in Rheinhausen, der ihr Medikamente verschreibt. Doch nach dem Rückzug des Bürgerhauses führte dies zu einem neuen Problem. „Die Alexianer erlauben nicht mehr, dass sie nur für eine Suchttherapie mit der Krankenkasse abrechnen, wenn sie nicht auch die Psychiaterpauschale zusätzlich und ganz alleine abrechnen können.“ Elkes Vorwurf: Suche man weiterhin einen externen Psychiater auf, drohe ein Ende der Beratung in Krefeld. Zu Zeiten des Bürgerhauses sei dies kein Problem gewesen, im Gegenteil: „Früher war das notwendig, da sie im Bürgerhaus keine Medikamente verschreiben konnten.“
Da Elke nun aber weder die Suchttherapie in Krefeld, noch ihre Behandlung in Duisburg aufgeben wollte, bedurfte es Kreativität. Ihr erster Plan: Sie rechnet die Pauschale quartalsweise ab. „In einem Quartal gehe ich zur Suchtbehandlung, in den anderen zu meinem bisherigen Psychiater in Rheinhausen.“ Damit verliere sie zwar niemanden vollständig, „aber es ist natürlich Flickschusterei, denn beide Anlaufstellen sind ergänzend wichtig für mich, um im Leben klarzukommen. Und ich weiß auch nicht, ob ich durchhalte, drei Monate nicht zu meinem Psychiater in Rheinhausen zu gehen.“ Unsicher sei auch, ob sie neun Monate ohne ihren Suchttherapeuten stabil bleibe.
Alexianer verweisen auf individuelle Therapiemöglichkeiten
Inzwischen habe sich eine neue Lösung ergeben. Elke kann dank Selbstkasse einmal im Quartal ihren Suchttherapeuten in Krefeld sehen. Doch es bleibt dabei, dass sie drei Monate ohne ihren Psychiater in Rheinhausen leben muss. Dieser Kompromiss sei tröstlich, „aber auch nicht das, was es eigentlich sein sollte.“
„Ich weiß nicht, ob ich durchhalte, drei Monate nicht zu meinem Psychiater in Rheinhausen zu gehen.“
Konkret auf diesen Erfahrungsbericht gehen die Alexianer Krefeld GmbH auf Nachfrage nicht ein. Man biete vielseitige Therapien an, heißt es in einer Stellungnahme: „Wenn primär eine psychologisch-sozialarbeiterische Beratung gewünscht wird, ist dies auch ohne eine ärztliche Behandlung möglich.“ Man mache den Patienten ein individuelles Angebot, was auch gerne angenommen werde.
Beratungs-Leerstelle in Rheinhausen sorgt bei Verantwortlichen für Kopfschmerzen
So oder so, das wird im Gespräch mit Elke deutlich, ist die aktuelle Situation für sie eine Belastung. Doch Alternativen in der Suchttherapie zu finden, ist im Duisburger Westen quasi unmöglich. Experten sehen nicht nur für Rheinhausen dringenden Bedarf an weiteren, niederschwelligen Beratungsstellen. Hier gebe es definitiv zu wenige Angebote, sagt etwa Mustafa Arslan vom Suchthilfeverbund Duisburg. Ohne das Bürgerhaus sind „die Wege zur ortsnahen Sucht- und Drogenberatung zu lang.“
Auch bei der Stadt ist diese Leerstelle bekannt. „Die Schließung der Beratungsstelle stellt sicherlich eine Bedarfslücke dar, die nur schwer zu kompensieren sein wird“, gibt Stadtsprecher Christoph Witte zu. Alternative Behandlungsmöglichkeiten würden Kliniken im Umkreis, der Suchthilfeverbund oder die Caritas-Beratungsstelle Nikolausburg anbieten. Klar ist aber: „Eine Einrichtung in der unmittelbaren Nähe der Szene und der Lebenswelt der Klienten und Klientinnen wäre wünschenswert.“ Von Seiten der Stadt gebe es derzeit aber keine Planungen, das Beratungsangebot zu erweitern.
Könnten Beratungsstellen im Rest Duisburg aushelfen? „Rhein ist eine magische Grenze“
Als einzige Anlaufstelle bei Suchtproblemen im Duisburger Westen verbleibt der Verein Regenbogen, die an der Werthauser Straße unter anderem Selbsthilfegruppen anbietet. Auch Elke nutzt die Gruppen, doch mehr als „Ergänzung“, wie sie sagt. Den Abzug des Bürgerhauses ebenbürtig auffangen – das könne man hier auch nicht, wie Melanie Abshagen von Regenbogen klarstellt. Dafür fehle Personal und die notwendige Kompetenz. Die Suchtberatung sei nur ein Teil der psychischen Erkrankungen, bei denen der Verein hilft.
Bezüglich der Suchtberatung stellt Abshagen aber klar: „Wir verzeichnen nach der Schließung des Bürgerhauses nicht mehr Leute.“ Wie kann das sein? Abshagen vermutet, dass sich ehemalige Patienten der Alexianer noch keine neue Hilfe gesucht haben, ihre Erkrankungen somit nicht therapiert werden. „Dadurch besteht die Gefahr, dass sich ihre Situationen verschlechtern“, führt sie fort. Nötig seien zusätzliche Hilfsangebote in Duisburg, denn die bestehenden Stellen „decken nicht den Bedarf der Stadt.“ Neben der Kommune seien auch andere Träger gefragt.
Dass sich Suchterkrankte aus Rheinhausen Hilfe im übrigen Stadtgebiet suchen, hält Abshagen dagegen für unwahrscheinlich: „Der Rhein ist eine magische Grenze.“ Das sieht auch Elke so. „Rheinhausen kippt“, sagt sie. Sie hofft, dass in Zukunft mehr in den Stadtteil investiert wird.