Duisburg. Der Täter-Opfer-Ausgleich steht vor dem Aus. Mit einer Demo wird für den Erhalt sozialer Einrichtungen gekämpft. Was Duisburg verlieren würde.
- Der Täter-Opfer-Ausgleich hilft, Straftaten außergerichtlich zu klären und dabei kreativ die Bedürfnisse beider Seiten im Blick zu behalten.
- Der Landtag will im Dezember die Mittel dafür drastisch kürzen, wie für viele andere soziale Bereiche auch. Deshalb ruft die Freie Wohlfahrtspflege NRW für Mittwoch zu einer Demo in Düsseldorf auf (12.05 Uhr auf den Rheinwiesen zwischen Rheinkniebrücke und Oberkasseler Brücke).
- Parallel wird mit Petitionen für den Erhalt der Fachstellen gekämpft, auch das Opfer der Messerattacke im John-Reed-Fitnesstudio in Duisburg ist dafür aktiv geworden.
Viele stoßen erst auf sie, wenn etwas Schlimmes passiert ist: Eine Körperverletzung, Beleidigung oder Bedrohung, eine Straftat, die bei der Staatsanwaltschaft landet und außergerichtlich geklärt werden könnte. Seit 28 Jahren kümmert sich in bestimmten Fällen der Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) darum, einen angemessenen Umgang für Opfer wie Beschuldigte zu finden.
Doch das steht wegen des prekären Landeshaushaltes Ende des Jahres vor dem Aus. Weil der Landtag im Dezember die Gefährdetenhilfe von 4 auf 1,7 Millionen Euro herunterschrauben will und so die Fachstellen kassieren könnte, musste der Pari Sozial als Träger den Mitarbeiterinnen des Duisburger TOA vorsorglich kündigen. Doch die Juristinnen und Fachkräfte sind zuversichtlich: „Es muss weitergehen!“, sagt Dr. Silke Fiedeler.
Täter-Opfer-Ausgleich: Fachstelle kümmert sich um aktiven Opferschutz
Die Staatsanwaltschaft habe bei leichteren bis mittleren Kriminalitätsfällen nur drei Möglichkeiten: Verfahren einzustellen, Strafbefehle zu erteilen oder vor Gericht zu ziehen. Beim Täter-Opfer-Ausgleich können außergerichtlich weitere Wege beschritten werden: In einem Nachbarschaftsstreit beispielsweise, bei dem ein Mann einen anderen sogar mit einer Stichwaffe verletzte, habe sie vermitteln können, dass der Beschuldigte sich eine neue Wohnung sucht. „Vor Gericht wäre das nicht möglich gewesen, es gibt keinen Zivilanspruch auf Wegzug“, verdeutlicht sie.
Die Juristinnen führen als Mediatoren Gespräche, sondieren die Möglichkeiten und vereinbaren Regelungen. Geht es etwa um Schmerzensgeldzahlungen, landen diese zunächst auf dem TOA-Konto und dann beim Opfer. „Das ist aktiver Opferschutz“, sagt Fiedeler, sensible Daten gehörten nicht in Täterhände, außerdem überwache sie den regelmäßigen Geldeingang. Manche Beschuldigte stottern über viele Jahre das Geld ab. Fließt es nicht mehr, kann die Juristin weitere Schritte erwägen.
Welche Art der Wiedergutmachung könnte den Opfern helfen?
Auch für Rettungskräfte, Jobcenter-Mitarbeiter oder Polizisten, die im Dienst angegangen wurden, habe das Team Lösungen finden können. Reguläre Verfahren hätten selten die Opfer im Blick, hier könnte man schauen, was ihnen wichtig ist zur Wiedergutmachung, ideell oder finanziell. Mal mit, mal ohne persönliche Begegnung der Betroffenen. Menschen, die sich in den sozialen Netzwerken wüst angehen, bis einer eine Anzeige absetzt, begegnen sich hier mitunter zum ersten Mal analog.
Die Opfer wünschen manchmal eine Entschuldigung oder eine Spende an Einrichtungen wie das Frauenhaus, auch ehrenamtliche Arbeit etwa bei der Tafel werde als Sühne gewünscht. „Wir können innerhalb des Rechtsrahmens kreativer sein“, sagt Fiedeler. Jemand, der eine Autofahrerin anschrie, zahlte am Ende ein Taschengeld an die Tochter, die auf dem Rücksitz gesessen hatte und alles mit ansah. Auch ein kindgerechtes Entschuldigungsschreiben wurde formuliert.
Hohe Fallzahlen in Duisburg
Wenn die Täter bereit sind, sich auf das TOA-Verfahren einzulassen, komme es in 65 Prozent der Fälle zu einem positiven Abschluss, bilanziert die Juristin. Die Fachstelle Duisburg bewältige mit drei Kräften rund 500 Fälle jährlich und habe damit vergleichsweise die höchsten Fallzahlen in NRW. Die Staatsanwaltschaft fördere das, weise ihnen viele Fälle zu.
Schon allein deshalb könne die Idee des Justizministeriums, ihre Arbeit an den Ambulanten Sozialen Dienst der Justiz zu verlagern, „faktisch nicht aufgehen, außerdem sind wir darauf spezialisiert, der ASD hat mit der Gerichts- und Bewährungshilfe ganz andere Aufgaben.“ Zudem ist die Fachstelle in Trägerschaft des Pari Sozial per se neutral.
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Steht auch das Dialoghaus auf der Kippe?
Um Menschen, die Opfer einer Straftat wurden, in Duisburg künftig besser helfen zu können, hat Fiedeler ein Dialoghaus konzipiert. Niederschwellig soll es zu verschiedenen Hilfsangeboten vermitteln helfen. Die Stadt hat bereits zugesagt, die Kosten für die Räume für fünf Jahre zu tragen, berichtet Fiedeler. Ohne die Fortführung ihrer Stelle wäre die Umsetzung aber schwierig. „Ich hoffe, dass das Netzwerk auch ohne mich weitermachen würde.“
Noch lieber würde sie ihr Baby natürlich selbst zum Laufen bringen. Gründungsmitglied des Fördervereins ist Yasin Güler, der junge Mann, der 2023 im Fitness-Center John Reed Opfer einer Messerattacke wurde. Gesellschaftlichen Frieden zu schaffen durch aktiven Opferschutz, durch präventive Täterarbeit seien auch seine Anliegen, so Fiedeler. Er hatte bereits im September eine Petition für den Erhalt des TOA beim Landtag eingereicht, weil er die Arbeit der Fachstelle wichtig findet.
Einen Plan B für das tatsächliche Ende der Fachstelle hat Silke Fiedeler jedenfalls nicht. Die Anwältin würde nicht ins Bergfreie fallen, aber „ich bin ja bewusst hier, habe es mit aufgebaut, ich verdiene mein Geld damit, Frieden zu schaffen, das ist eine Gnade“. Früher habe sie als Anwältin Menschen beim Streiten geholfen, jetzt könne sie Gutes für die Gesellschaft tun und allen Seiten helfen.
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Hohe Arbeitsbelastung bei der Staatsanwaltschaft könnte noch steigen
Die Duisburger Staatsanwaltschaft gehört landesweit zu den Behörden mit den meisten offenen Fällen. Alles, was ausgelagert werden kann, dürfte die Mitarbeiter also erleichtern. Noch mehr Ungemach droht, weil Referendarstellen gestrichen werden sollen und das den Personaldruck erhöhen wird, befürchtet Fiedeler. Sie hat mit Vertretern aller Parteien gesprochen, spürt Unterstützung von der Opposition, erlebt Bedauern bei den Regierungsparteien wegen der Schuldenbremse.
In einem Brandbrief an die Landesregierung betonte sie: „Die Vermittlung zwischen Opfern und Tätern von Straftaten ermöglicht Dialog und trägt zu Verständigung, zu Versöhnung und Frieden bei, wo zuvor Sprachlosigkeit, Hass, Ablehnung und Angst zwischen den Beteiligten dominierten.“
Online-Petition für den Erhalt des Täter-Opfer-Ausgleichs
Jetzt kämpft Dr. Silke Fiedeler auch mit einer Online-Petition für den Erhalt und den Ausbau des Täter-Opfer-Ausgleichs. Im Begleitschreiben erklärt sie, dass ein junger Mann den Ausschlag gab. Er sagte, dass er nach erfolgreicher Beilegung des Konflikts nun endlich wieder essen und schlafen könne, sich fühle „wie ein neuer Mensch“. Dass er selbst anfing, Unterschriften für den Erhalt zu sammeln, habe sie sehr berührt.
Auf der Webseite https://www.openpetition.de/petition/online/fuer-den-erhalt-und-ausbau-des-taeter-opfer-ausgleichs-und-fuer-mehr-dialogangebote-in-nrw kann man mit einer Unterschrift die Petition unterstützen.
Dieser Artikel erschien erstmals am 30.10.2024.