Duisburg. Hunderte Kinder kommen in Duisburg nur noch sporadisch in die Schule, manche fehlen ganze Schuljahre. Was über die Schulschwänzer bekannt ist.
Hunderte Kinder in Duisburg kommen nur noch sporadisch in die Schule, manche sehen sie über Monate oder ganze Schuljahre nicht von innen: Die Zahl der Schulverweigerer bleibt auf einem „hohen Niveau“, sagt Bildungsdezernentin Astrid Neese.
Allein an den Grund- und Förderschulen gab es im letzten Halbjahr, also zwischen Januar und Juli 559 Verfahren, mit denen die Schulpflicht per Ordnungsmaßnahmen oder Bußgeldverfahren eingefordert wurde. Neese betont, dass es ihr um jedes einzelne Kind gehe: „Wo ist es, wenn es nicht in der Schule ist? Das macht mir Sorgen.“
Schulverweigerer in Duisburg: Steigende Zahlen vermutlich im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie
Für die anderen Schulformen gibt es heruntergebrochen auf Duisburg keine verlässlichen Zahlen. Die Bezirksregierung erhebt sie nur gebündelt für den Regierungsbezirk. Demnach stieg die Zahl der Verfahren in ihrer Zuständigkeit von 2043 im Jahr 2020 auf 3242 im vergangenen Jahr.
Ob es einen Zusammenhang mit den Folgen der Corona-Pandemie und den steigenden Zahlen für Schulverweigerer gibt, könne nur vermutet werden, erklärt eine Sprecherin der Bezirksregierung. Die genauen Hintergründe für Schulabsentismus würden nicht in jedem Verfahren genannt, weshalb keine verlässlichen Aussagen möglich seien.
Fragt man Lehrkräfte oder Schulleiterinnen und Schulleiter, ähneln sich die Aussagen: Inzwischen gibt es offenbar kaum noch eine Klasse ohne fehlende Kinder, Tendenz krass steigend seit der Pandemie.
Psychische Probleme, Stress in der Familie, Mobbing: Viele Gründe fürs Schulschwänzen
Welche Folgen das haben wird, lässt sich perspektivisch an der Absolventen-Statistik ablesen. In den vergangenen Jahren haben in Duisburg im Schnitt jeweils sieben bis acht Prozent der Schüler am Ende der zehnjährigen Schulpflicht keinen Schulabschluss in der Tasche gehabt, schreibt die Stadtverwaltung. Schulabsentismus ist einer der Hauptgründe dafür.
Verantwortlich für die Einhaltung der Schulpflicht sind eigentlich die Erziehungsberechtigten. Sie müssen dafür sorgen, dass ihr Kind „am Unterricht und an den sonstigen verbindlichen Veranstaltungen der Schule regelmäßig teilnimmt“, schreibt das Schulgesetz vor.
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Manchen Eltern gelingt das aber nicht, einigen ist es auch egal. Der Einstieg in den Ausstieg aus dem Schulsystem läuft nach Beobachtung von Pädagogen oft so, dass die Kinder zunächst Randstunden „abhängen“ oder bestimmte Fächer meiden. Auch Ärger mit Lehrkräften oder Mitschülern, Probleme durch einen Schulwechsel sowie Lernschwierigkeiten befördern das Blaumachen, das sich in Etappen zur Schulverweigerung auswachsen kann.
Die schulpsychologische Beratungsstelle der Stadt Duisburg hat unterschiedliche Gründe für Schulabsentismus identifiziert:
- Gesundheitliche und psychische Gründe: Schüler fehlen häufig aufgrund von chronischen Erkrankungen oder psychischen Belastungen, die den regelmäßigen Schulbesuch erschweren, etwa Depressionen, Angststörungen oder psychosomatische Beschwerden.
- Familiäre Gründe: Manche Schüler fehlen in der Schule, weil sie Angehörige pflegen, wegen finanzieller Schwierigkeiten, Konflikten im Elternhaus oder fehlender Unterstützung.
- Soziale oder leistungsmäßige Gründe in der Schule: Die Beratungsstelle berichtet, dass Schulabsentismus auch durch schulische Faktoren wie Mobbing, soziale Isolation oder Leistungsdruck entstehen kann, weil Schüler sich in der Schule unsicher oder überfordert fühlen können.
- Motivationsverlust und klassische Schulverweigerung: Auch das gibt es: Klassisches Schulschwänzen, weil die jungen Menschen keinen Bock haben und sich nicht mehr motivieren können.
Die Beratungsstelle berichtet außerdem von schulischen Problemen, die sich nach den coronabedingten Schulschließungen ergaben. „Durch Corona entstandene Lernlücken wirken für viele Schülerinnen und Schüler so groß, dass sie diese als kaum überwindbar empfinden“, schreibt Stadtsprecher Falko Firlus. Darüber hinaus habe sich das Klassengefüge durch die lange Zeit der Schulschließungen teilweise verändert, Freundschaften gingen auseinander. All das beeinträchtige den regelmäßigen Schulbesuch zusätzlich.
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Hilfe für Kinder und Eltern an Schulen und in Beratungsstellen
Um Probleme frühzeitig auffangen zu können, bietet das Institut für Jugendhilfe an den eigenen Standorten und an einigen Schulen Sprechstunden für Schüler und Beratungen für Eltern an. Außerdem sind individuelle Hilfeleistungen möglich, ambulant und stationär, sagt Firlus. „Ein Angebot könnte beispielsweise eine Integrationshilfe für den Schulbesuch sein, wenn das Schulsystem (phasenweise) eine Überforderung für die Schülerin oder den Schüler darstellt.“
Wenn Familien (kurzfristig) überlastet sind, können stabilisierende Familienhilfen den Alltag insoweit unterstützen, damit ein regelmäßiger Schulbesuch wieder möglich wird.
Grundsätzlich werde bei Schulabsentismus jeder Fall individuell betrachtet. Welche Maßnahme ergriffen werde, hänge vor allem vom Alter der Kinder ab. Vorrangiges Ziel sei, „den Kindern und Jugendlichen Zugang zu Bildung zu ermöglichen“.
Wenn ein „normaler“ Schulbesuch gar nicht mehr geht: Diese Alternativen gibt es
Wenn Schüler lange Zeit keine Schule mehr besucht oder sogar auf der Straße gelebt haben, kann für sie eine Distanzbeschulung infrage kommen. Das übernimmt der Förderschulverbund des Neukirchener Erziehungsvereins an der Sonneck- und der Hans-Lenhard-Schule.
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Der Verbund „konzentriert sich auf die Förderung von Schülerinnen und Schülern mit emotionalen und sozialen Entwicklungsproblemen und richtet sich insbesondere an Kinder und Jugendliche, die durch ihr aggressives oder delinquentes Verhalten und Schulverweigerung auffallen“, erklärt Firlus. „Die Kinder und Jugendlichen sollen durch individuelle pädagogische Maßnahmen lernen, Verantwortung für ihr Handeln und ihr Leben zu übernehmen, Schulmotivation und Leistungsfähigkeit aufzubauen, sowie Lernrückstände aufzuholen.“ Die Schüler werden dabei durch persönliche Lernbegleiter unterstützt.
Schulschwänzen für den billigen Urlaub oder Kindergeldbetrug
In die Duisburger Zahlen fließen übrigens nicht nur dauerhafte Schulschwänzer. Es zählen auch jene Familien, die Kinder an Schulen anmelden, weil sie Kindergeld kassieren möchten (wir berichteten). Um solche Fälle von Sozialleistungsbetrug möglichst schnell zu identifizieren, gibt es jetzt ein neues Projekt, dass es den Schulen ermöglicht, Verdachtsfälle zu melden.
Auch jene Familien, die verbotenerweise aus Kostengründen vor Beginn der Ferien schon in den Urlaub fahren, zählen dazu. Barbara Laakmann (Linke) erklärte im letzten Schulausschuss, dass manche die dann fälligen Bußgelder einpreisen, weil der vorzeitig angetretene Urlaub dann immer noch billiger sei. Eine Sprecherin der Bezirksregierung schreibt, dass pro unentschuldigtem Fehltag mit einem Bußgeld von zehn bis 80 Euro zu rechnen ist. „Die Höchstgrenze für ein Bußgeldverfahren wegen unentschuldigten Fehlens liegt bei 1000 Euro.“
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Im Zusammenhang mit vorzeitig angetretenen oder unerlaubt verlängerten Ferien wurden im Regierungsbezirk Düsseldorf 2020 genau 322 Verfahren angestoßen, nach einer coronabedingten Delle 2021 (189 Fälle) stieg die Zahl der Urlauber mit Bußgeldverfahren 2022 auf 419, 2023 waren es 410.
>>Hilfe für Schulen mit dem Guide „Schulische Problemlagen“
- Suchtprobleme oder Mobbing, Extremismus oder Armut, Gewalt oder Schulabsentismus: Lehrerinnen und Lehrer sind mit vielen Problemlagen konfrontiert.
- Damit die Pädagogen frühzeitig gegensteuern können, gibt es seit 2018 einen Guide der Stabstelle Bildungsregion Duisburg, der Handlungsanregungen gibt, Systematiken durchspielt und an städtische Partner vermittelt.
- Weitere Infos und Hilfsangebote stehen auf der Webseite der Stadt Duisburg, Stichwort Bildungsregion