Duisburg. Duisburg und die Hüttenwerke Krupp-Mannesmann: Die Geschichte zeigt, warum diese Bindung so eng ist. Mit bislang unveröffentlichten Bildern.
Wie geht es weiter mit den Hüttenwerken Krupp-Mannesmann (HKM) in Duisburg? Diese Frage treibt im Herbst 2024 nicht nur die Beschäftigten um. Eine ganze Stadt zittert, bangt und hofft mit der „Hütte“. Was den Standort so besonders macht, zeigt ein Blick in die Geschichte.
Wie man ein Stahlwerk erfolgreich durch die Stürme der Zeit führt, dafür ist die 115-jährige Geschichte der Hüttenwerke Krupp-Mannesmann ein gutes Beispiel. Das Erfolgsrezept: der Konkurrenz technisch immer eine Nasenlänge voraus sein, bei allen Einsparungen den sozialen Ausgleich im Auge behalten und durch Kooperationen die Anlagen möglichst auslasten.
Hüttenwerke Krupp-Mannesmann in Duisburg: Mit dem Blechwalzwerk fing es an
Der Vor-Vorgänger, Schulz-Knaudt in Essen, konnte dort nicht mehr wachsen. 1908 verlegte man zunächst das Blechwalzwerk in die damalige Gemeinde Huckingen. Das anfangs 600.000 Quadratmeter große Gelände bot beste Voraussetzungen: Es war hochwasserfrei, konnte erweitert werden, ließ den Bau eines Hafens zu.
Die gut eingearbeitete Belegschaft brachte man gleich mit. Ein Pendeln von Essen nach Huckingen kam bei den damaligen Zwölf-Stunden-Schichten nicht in Frage. So entstand ab 1911 die Siedlung Hüttenheim, seit 1929 ein Stadtteil von Duisburg.
Freilich übernahm sich Schulz-Knaudt, als es bis 1912 das ganze Werk an den Rhein verlegte und ausbaute. 1913 beschäftigte man schon 1051 Menschen. Als 1914 die Preise für Blech einbrachen, benötigte man einen Partner. Die Mannesmann-Röhrenwerke aus Düsseldorf übernahmen.
Nach der Krise wurde expandiert – dann folgte das nächste Tief und der Zweite Weltkrieg
Erster Weltkrieg (1914 bis 1918), Ruhrbesetzung durch Belgien und Frankreich (1921 bis 1923) und extreme Geldentwertung bis 1923 schränkten das Werk lange ein. Als das vorbei war, standen die Zeichen auf Expansion.
In den 1920er Jahren wurde das Werk so modernisiert, dass auch aus billigem phosphorhaltigen Eisenerz hochwertiger Stahl hergestellt werden konnte (Thomaswerk). Die Bandbreite der Produkte reichte nun von einfachem Stahl für Schiffsbleche über Handels- und Schweißrohrbleche bis hin zu nahtlosen Röhren, Kesselblechen, Turbinenleitungen, Trafo- und Karosserieblechen. 1925 beschäftigte die Hütte 1500 Menschen. Ende der 1920er-Jahre lag die Jahreskapazität bei 240.000 Tonnen Rohstahl.
In der Weltwirtschaftskrise (1929 bis 1933) musste man Personal entlassen, der zweite Hochofen stand still. Aber man entdeckte eine Marktlücke: Spezialstähle. Für ihre Herstellung eignete sich das neue Elektrostahlwerk von 1932, in dem Schrott eingeschmolzen wurde. Im neuen Forschungsinstitut wurde ab 1934 das Wissen über Legierungen gebündelt. 2017 waren mehr als 2800 Stahlsorten im Angebot.
Vor dem Zweiten Weltkrieg (1939 bis 1945) konnte expandiert werden. Im neuen Profilstahlwalzwerk von 1936 wurden auch Eisenbahnschienen hergestellt. 1939 liefen vier Hochöfen. Die Belegschaft stieg auf 4812 Personen. Im Krieg machten Zwangsarbeiter bis zu 650.000 Tonnen Rohstahl pro Jahr möglich. Von Zerstörungen blieb das Werk ebenso fast verschont wie danach von Demontagen der britischen Besatzungsmacht. Nur im Sommerhalbjahr 1945 stand es still.
Zweiter „Mannesmann“-Stadtteil entstand
1947 kam eine Neuerung: die Mitbestimmung der Betriebsräte im Aufsichtsrat. 1951 waren wieder vier Hochöfen in Betrieb. 6700 Beschäftigte erzeugten über 1,1 Millionen Tonnen. Schneller zu produzieren, aber mit weniger Material, Energie und Kosten bessere Qualität zu erzielen, das war die Maxime in den Wiederaufbaujahren. Das Einblasen von Sauerstoff statt Luft im Thomaswerk (1952) und, erstmals im Ruhrgebiet, das kontinuierliche Gießen im Strang (1954) waren wichtige Voraussetzungen dafür.
Um weiteren Wohnraum zu schaffen, baute Mannesmann ab 1952 in Ungelsheim 1500 Wohnungen. Ein zweiter „Mannesmann“-Stadtteil mit 6000 Einwohnern (1961) entstand.
Ab Mitte der 1950er Jahre richtete sich der Blick auf den Export. Dazu waren neue Kapazitäten nötig, Kooperationen wurden eingegangen. Wichtige Etappen waren das neue Großrohrwerk in Ehingen mit Hoesch (1956), ein fünfter Hochofen (1957), Zusammenarbeit mit Hoesch bei der Blechherstellung (1958), der Bau der ersten Kokerei (1958) in Ehingen, bei Ungelsheim das neue Grobblechwalzwerk für Druckbehälter und Rohre im Maschinen- und Anlagenbau (1964) sowie die Zusammenarbeit auch mit Thyssen bei Blechen (1965). Mannesmann beschäftigte über 10.000 Menschen und erzeugte 1960 1,7 Millionen Tonnen Rohstahl.
Um im Export zu bestehen, mussten Stähle von höchster Güte erzeugt werden. Ein Meilenstein dabei war das neue Blasstahlwerk I 1966, bei dem Sauerstoff im Konverter eingeblasen wird. Damit verschwanden die braunen Stäube im Umfeld der Hütte. 1967 folgte die zweite, damals weltweit größte Stranggussanlage.
Thyssen und Mannesmann rückten 1970 zusammen
Die hohen Investitionen machten sich schon 1969 mit einem Rekordertrag bezahlt. Weil der Arbeitsmarkt leergefegt war, wurden weitere Gastarbeiter angeworben, nur noch Türken, um mit zweisprachigen Sicherheitshinweisen auszukommen.
1970 rückten Mannesmann und Thyssen zusammen: Mannesmann übernahm die Röhrenherstellung von Thyssen, gab dafür die Blecherzeugung an Thyssen ab. Mit 13.000 Personen wurde der Höchststand der Beschäftigten erreicht. Der erste Großhochofen und ein wilder Streik im Profilwalzwerk waren Besonderheiten des Jahres 1973.
Dann verteuerte die erste Ölkrise die Energie und eine 20 Jahre lange Stahlkrise begann. Die Nachfrage brach ein. Im Winter 1975/76 gab es erstmals Kurzarbeit. Ein mit RWE betriebenes neues Kraftwerk reduzierte zwar die Energiekosten. Aber Bevölkerung und Behörden forderten mehr Umweltschutz. 1976 entfiel schon die Hälfte der Investitionen darauf.
Wichtige technische Beiträge zur Kostensenkung waren die Stahlentschwefelung im Blasstahlverfahren ab 1977, ein zweiter Großhochofen 1981 und 1982 der weltgrößte Wechselkonverter. Erstmals wurden Vormaterialien wieder an Fremde geliefert, an Vallourec. Das Werk schrieb über Jahre rote Zahlen. Deshalb wurde auch bei der Lagerhaltung und durch die Aufgabe von Werkswohnungen gespart. Denn die Stammbelegschaft war ohne betriebsbedingte Kündigungen 1988 gegenüber 1974 um 60 Prozent verringert.
Kruppianer wechselten aus Rheinhausen nach Hüttenheim
Den Spitzen von Thyssen, Krupp und Mannesmann war Ende 1987 klar: Bei nur 60 Prozent Auslastung ihrer Anlagen war in Duisburg ein Werk zu viel. Es traf Krupp in Rheinhausen. Eine Kooperation mit Krupp war in Hüttenheim rentabler. Am Ende wechselten 1100 Kruppianer dorthin. Anfang 1990 gingen beide in den Hüttenwerken Krupp-Mannesmann (HKM) auf.
Zwar brachten die deutsche Wiedervereinigung und der Erste Golfkrieg 1990/91 einen kurzen Aufschwung. Aber bis 1994 wurde die Belegschaft weiter von 5000 auf 3700 Beschäftigte verringert, sozial abgesichert auch durch öffentliche Gelder. Dann war die Stahlkrise überwunden und die Hütte erreichte mit 4,5 Millionen Tonnen Rohstahl einen Rekord. 1995 wurde die 35-Stunden-Woche eingeführt.
1999 lautete die Bilanz zum Zehnjährigen bei HKM: Produktivität um 100 Prozent gesteigert, Emissionen um 20 Prozent und Energieverbrauch um zehn Prozent gesenkt.
HKM stellt elf Prozent des in Deutschland produzierten Stahls her
Technisch wurden in den 2000er Jahren die Voraussetzungen für sechs Millionen Tonnen Rohstahl im Jahr geschaffen. Für ein 100-Millionen-Euro-Einsparprogramm wurden ab 2005 rund 1800 Beschäftigte umgesetzt. Das Einsparziel wurde 2008 erreicht. Wegen der Finanzmarktkrise fiel die Produktion Anfang 2009 aber auf das Niveau der 60er Jahre zurück. 50.000 Kurzarbeitstage mussten angesetzt werden.
Bis 2013 stand die größte Einzelinvestition der Hütte an: 275 Millionen Euro für eine zweite Koksbatterie. Das erspart den Zukauf von Koks. HKM stellt heute elf Prozent des in Deutschland produzierten Stahls her.