Duisburg. Ein Ex-Bewohner will mit einer Petition gegen das Kinderdorf Duisburg vorgehen. Der Rechtsweg ist längst abgeschlossen. Was er jetzt fordert.
Mit einer Petition fordert ein ehemaliger Bewohner, Missstände im Kinderdorf Duisburg e.v. aufzuklären, „für eine sichere Zukunft aller Kinder!“ Illustriert wird die Petition mit einem Zeitungsausriss und der Schlagzeile, dass „Schwere Vorwürfe gegen Erzieher des Kinderdorfs“ erhoben werden.
Der Artikel aus der WAZ ist fast zehn Jahre alt. Beklagt wurde damals, dass Disziplinarmaßnahmen durch drei Erzieher eingesetzt worden sein sollen, die der schwarzen Pädagogik angehören. Es seien Zwangsarbeiten und kalte Duschen angeordnet worden, Essensrationierungen und Erniedrigungen. Das Sprechen nach der Schlafenszeit sei mit stundenlangem „Nachliegen“ am Wochenende bestraft worden.
Klage vor zehn Jahren erfolglos, jetzt läuft eine Petition gegen das Kinderdorf Duisburg
Juristisch ist der Fall eigentlich längst abgeschlossen. Der Petetent bestätigt auf Nachfrage, dass sein Fall verjährt ist. Geklagt hatte er zu Beginn seiner Volljährigkeit vor zehn Jahren, während der anderthalb Jahre dauernden Ermittlung lebte er weiterhin in einer Einrichtung des Kinderdorfs. Die Staatsanwaltschaft habe schließlich von einer öffentlichen Klageerhebung abgesehen, die Beschuldigten seien zuvor in keiner Weise strafrechtlich in Erscheinung getreten und durch die lange Verfahrensdauer hinreichend gemahnt. Für den Betroffenen ist das „ein Versagen der Justiz“.
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Ein Anwalt prüfe derzeit, ob es eine Möglichkeit für eine seiner Schwestern gebe, erneut zu klagen. Der Weiße Ring habe für ihn selbst allerdings keine rechtlichen Möglichkeiten mehr gesehen.
Petition: Kinderdorf soll Verantwortung übernehmen
Der 28-Jährige leidet nach eigenen Angaben unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung und befürchtet, dass auch andere Kinder leiden könnten. Deshalb sei die Aufarbeitung seiner Geschichte und die Neugestaltung des Heimwesens insgesamt sein „Lebensthema“. Dafür müsse er in die Öffentlichkeit gehen, wolle auch einen Verein gründen. Er sagt: „Ich finde, dass sich das Kinderdorf entschuldigen muss für das, was es uns angetan hat, dass es Verantwortung übernehmen muss.“ Und dass es sich hinter ihn stellen könnte zur gemeinsamen Aufarbeitung, denn am Ende sei das Kinderdorf als Institution „eine wertvolle Einrichtung, die vielen Kindern und Jugendlichen Schutz, Geborgenheit und eine Zukunftsperspektive bietet“.
Zu seinem eigenen Schutz nennen wir seinen Namen hier nicht. Seine Therapie hat er nach eigenen Angaben abgebrochen, wegen der Gefahr der Retraumatisierung habe man ihm von öffentlichen Aktionen abgeraten. „Seit zwei Jahren bin ich krankgeschrieben, aber wegducken will ich mich nicht, ich will Missstände angehen.“
Der Geschäftsführer des Kinderdorfes hebt Hausverbot auf
Diese beklagten Missstände waren vor der Zeit von Geschäftsführer Andreas Wieck, der seit 2018 die Geschicke des Kinderdorfs leitet. Dennoch habe er sich mit dem ehemaligen Kinderdorf-Bewohner kürzlich zu einem längeren persönlichen Gespräch getroffen. Wieck bedauert, dass er ihm nicht helfen konnte. Offenbar treibe diesen „aus der Ferne die Sorge um, dass die Kinder hier unter die Räder kommen“.
Der Leiter des Kinderdorfs betont jedoch: „Diese Sorgen können wir ihm nehmen, wir sind hier auf dem höchst möglichen Standard.“ Es sei ihm zu wünschen, dass er zum Verbund der Ehemaligen gehört, die regelmäßig zu den Sommerfesten kommen. Diese „Kinderdorf-Familie“ trage viele durchs Leben. „Ich habe ihn herzlich eingeladen, gucken zu kommen, wie die Kinder hier heute leben. Wir haben nichts zu verbergen.“ Es sei bedauerlich, dass er kein vorwärtsgerichtetes und schönes Leben führen könne.
Der Petetent sagt, dass nach dem Gespräch sein Entschluss gereift sei, öffentlich zu agieren. Immerhin habe der Geschäftsführer für ihn das Hausverbot aufgehoben, das ihm nach seinem Auszug und dem juristischen Konflikt erteilt wurde.
Beschuldigte waren während der Ermittlungen anderthalb Jahre freigestellt
Laut Wieck geht aus den Akten hervor, dass die damalige Leiterin des Kinderdorfs die Beschuldigten anderthalb Jahre freigestellt hatte, bis die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen einstellte, weil sich keine vorsätzliche Kindesmisshandlung nachweisen ließ.
Wieck betont, dass er keinen Kontakt zu den beiden Hauptbeschuldigten habe. Die „massiven Vorwürfe haben die Mitarbeiter so belastet, dass sie therapeutische Hilfe benötigten“, sie seien am Ende nicht in den pädagogischen Beruf zurückgekehrt, sagt Wieck. Eine Mitbeschuldigte sei ein paar Jahre nach der Verfahrenseinstellung ins Kinderdorf zurückgekehrt, arbeite nur mit Jugendlichen.
Ob die Vorwürfe berechtigt waren oder nicht, eine Art von Sühne habe es auf jeden Fall gegeben. Auch für das Kinderdorf sei die Zeit nicht ohne gewesen, manche Spender hätten sich zurückgezogen. Das Vertrauen vollends wieder herzustellen, habe lange gedauert.
Kinderschutz ist im Kinderdorf das oberste Gebot
Der Schatten, der laut Petition über dem Kinderdorf liegen soll, ist nicht präsent, sagt Thomas Faust, der seit 2022 pädagogischer Leiter ist. Erst die neuerliche Thematisierung könnte es wieder dunkler machen in Großenbaum. Für die Kinder sei es nicht schön, damit verbunden zu werden.
Faust erklärt, dass die Ansprüche an pädagogische Arbeit kontinuierlich steigen, deshalb werde permanent nachjustiert. Heute gebe es eine höhere Präsenz in den Gruppen, man arbeite partizipativ mit den jungen Bewohnern, etwa über das Kinderparlament.
Der Kinderschutz sei oberstes Gebot, dafür seien Kinderschutz-Fachkräfte im Team, ein Ombudschafts-Meldeweg eingerichtet. Fünf Leitungskräfte hätten mindestens wöchentlich Kontakt zu den Wohngruppen. „Auch wenn für die Kinder ihr zu Hause die erste Wahl ist, leben sie gerne im Kinderdorf“, sagt Faust. „Wir investieren viel Zeit und Kraft, ihnen hier ein schönes Leben zu bieten.“
>>DAS KINDERDORF DUISBURG e.V
- Das Kinderdorf e.v. in Duisburg-Großenbaum hat eine Zentrale und verschiedene Außenwohngruppen, darunter auch den Verselbstständigungsbereich für junge Erwachsene sowie Tagesgruppen.
- 110 Mitarbeiter kümmern sich um 130 Kinder und junge Erwachsene zwischen 3 und 21 Jahren.
- Weitere Infos: https://kinderdorf-duisburg.de