Duisburg. DHL will hier keine Pakete mehr ausliefern, aber das Spielmobil Schnelle Schnecke kommt jede Woche nach Duisburg-Hochheide. Was das Team erlebt.

So kann ein sozialer Brennpunkt auch aussehen: Dutzende Kinder springen Seilchen, spielen mit Lego oder belagern eine Tischtennisplatte. Erwachsene sitzen auf Bänken und quatschen miteinander. Kids, die vielleicht nicht die gleiche Sprache sprechen, aber die Regeln des Fangenspielens meisterhaft beherrschen, verausgaben sich total, haben rote Wangen, gibbeln herum.

Jeden Donnerstag ist Spielmobiltag in Duisburg-Hochheide, zu Füßen der „Weißen Riesen“, die sonst nur Schlagzeilen produzieren, weil die Hochhäuser mit hunderten Wohneinheiten und das Drumherum Kriminalitäts-Hotspot sind, weil es Ärger in den Häusern gibt, Wohnungen als Taubenschlag verdrecken und ein Paketzulieferer die Zustellung verweigert nach „bedrohlichen Zustellsituationen“.

Das Spielmobil mit Natascha Hassan und Markus Hamscher an der Schnellen Schnecke in Duisburg
Riesen-Legos zu Füßen eines der „Weißen Riesen“ in Duisburg-Hochheide. Das Spielmobil Schnelle Schnecke bringt jeden Donnerstag Farbe und Spielfreude auf den Marktplatz. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Spielmobil an den Weißen Riesen: „Wir fühlen uns sicher!“

Natascha Hassan und Markus Hamscher scheren sich nicht darum. „Wir fühlen uns sicher“, sagen sie, passiert sei in all den Jahren nichts. Im Gegenteil: „Als letztens ein Bobbycar fehlte, brachte es eine Familie, die in den ‚Weißen Riesen‘ wohnt, prompt zurück“, erzählt Hamscher, „wir haben praktisch keine Verluste.“

Er ist qualifizierter Spielmobil-Pädagoge, sie Sozial- und Heilpädagogin, seit über einem Dutzend Jahren machen sie wetterfeste Spiel-Angebote, sagen nur bei starkem Sturm ab oder ziehen bei Eiseskälte in Räume in der Nähe. Sie betonen: „Die meisten sind friedlich und sie stärken wir.“

Das Spielmobil mit Natascha Hassan und Markus Hamscher an der Schnellen Schnecke in Duisburg
Markus Hamscher vom Spielmobil Schnelle Schnecke in Duisburg spielt mit (v.li.) Ahmed, Omar, Alma, und Lara. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Gezielt machen sie Angebote, bauen Bewegungs-Parcours auf und achten darauf, dass die Kinder regelmäßig wechseln zwischen Kreativität und Sport, zwischen Hirn anstrengen und sich austoben können. Die Nachmittage bekommen einen Rahmen mit Anfangs- und Endspielen: Mit den jüngeren Plumpssack, mit den älteren Zombieball, das „sind echte Highlights, das schafft Gemeinschaftsgefühl“, sagen die beiden Pädagogen.

Deutsch lernen beim Spiel mit dem Schnecken-Mobil

Mara ist jeden Donnerstag dabei. Die Neunjährige besucht die Ottoschule und mag am liebsten Tischtennis. Bis die Platte frei ist, klebt sie aus bunten Punkten ein Auto, zeigt stolz ihr Kunstwerk. Evelyn (6) gestaltet einen Schmetterling. Mama Raluca sitzt in der Nähe. „Es ist toll, dass es das gibt, in der Nähe ist ja sonst nicht viel“, bedauert sie.

Die Familie wohnt in den „Weißen Riesen“. Tochter Evelyn, die jetzt eingeschult wurde, habe durch die Schnecke auf der Platte in den vergangenen Jahren Deutschkenntnisse sammeln können, einen Kitaplatz habe sie nur wenige Monate gehabt. „Zuhause sprechen wir kein Deutsch“, sagt Raluca, deshalb sei das Angebot so wichtig, die Schnecke komme „immer, auch in den Ferien!“

Das Spielmobil mit Natascha Hassan und Markus Hamscher an der Schnellen Schnecke in Duisburg
Natascha Hassan vom Spielmobil Schnelle Schnecke in Duisburg ist für die künstlerisch-kreativen Angebote verantwortlich. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Die Kinder folgen dem Prinzip Dorfeiche und laufen beim Spielmobil zusammen

Fünf Tage die Woche ist das Team unterwegs, montags besuchen sie die Unterkunft für Geflüchtete an der Memelstraße, dann folgen zentrale Orte und Märkte in Untermeiderich und Beeck, Neuenkamp, Angerhausen.

Und jeden Donnerstag Hochheide. Hier sind es vor allem rumänische Kinder, „aber auch arabische und afrikanische folgen dem Prinzip Dorfeiche und laufen hier zusammen“, sagt Hassan. „Deutsch lernen sie dann schneller als ihre Eltern.“ Eine große Motivation sei, die Regeln der Spiele verstehen zu können.

Um den bis zu 100 Kindern gerecht zu werden und den Überblick zu behalten, werden die beiden Pädagogen oft von Honorarkräften unterstützt. Sie helfen, Spielregeln zu erklären, Matchboxautos aus dem Wagen zu holen und immer wieder zu neuer Ausgelassenheit anzuregen.

Nur selten wird einem Kind ein Platzverbot erteilt

Viele der Kinder kennen sie schon über Jahre, irgendwann bringen sie als Jugendliche die kleinen Geschwister. „Sie schätzen das sehr, dass etwas für sie angeboten wird“, sagt der Pädagoge. Deshalb gebe es auch kaum Gewalt-Probleme. Das Team setzt klare Regeln für das Miteinander. Dass mancher die Faust in der Tasche hat, mitunter auch einen Böller, wissen sie. Donnerstags spielt das keine Rolle. Meistens jedenfalls.

Ganz selten müssen sie mal ein Platzverbot aussprechen, „der Ausschluss aus der Gemeinschaft ist für sie das härteste“, beobachten Hassan und Hamscher, „bei uns treffen sie auf Strukturen, an denen sie sich reiben können, das führt zu Verhaltensänderungen“. Das könnten sie in der Folgewoche oft direkt beobachten.

Finanziert wird ihre Arbeit aus Töpfen für die Stadtteilarbeit, „wir fahren gezielt in die Stadtteile, in denen es nicht so viele Angebote gibt“. Seit 2016 sind sie zusätzlich auch eine Mobile Kita: Kinder ohne Kita-Platz können bei ihnen niederschwellig vorschulische Lernangebote wahrnehmen. Soziales Miteinander üben, klassische Spiele aus deutschen Kindergärten kennenlernen, Lotti Karotti zum Beispiel oder Halligalli, mit der Schere umgehen und mit Kleber, und natürlich malen, malen, malen: Auf jedes Bild schreibt Hassan Namen und Alter, manche Kunstwerke bekommt sie am Ende geschenkt. Und was machen Sie damit? „Ein klares Zeichen der Wertschätzung: Wir heben sie alle auf!“

Das Spielmobil mit Natascha Hassan und Markus Hamscher an der Schnellen Schnecke in Duisburg
Für Brettspiele wie „Mensch ärger dich nicht“ finden sich in Hochheide immer kleine Grüppchen zusammen. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

>>40 JAHRE SPIELMOBIL SCHNELLE SCHNECKE IN DUISBURG

1984 war die Geburtsstunde des Spielmobils. Damals zog ein Trecker den Wagen, gelbstichige Bilder in einem Fotoalbum zeugen von diesen Anfängen.

Der bekannte rote Laster kam 1992 und hat inzwischen schon ein „H“ im Kennzeichen, so alt ist er. Kinder gaben ihm bei einem Wettbewerb den Namen „Schnelle Schnecke“. Mit einem zusätzlichen Sprinter können parallel zwei Orte pro Tag angesteuert werden.

Zum Angebot gehören auch Verleihaktionen an Wochenenden, etwa für Feste an Schulen. Beim Weltkindertag im Innenhafen und anderen Events ist das Team ebenfalls präsent. Angedockt ist die Schnecke an den Verein für Kinderhilfe und Jugendarbeit.

Weitere Spielmobile schicken der BDKJ, das Evangelische Jugendforum und die Falken auf Tour. So sollen alle Stadtteile abgedeckt werden.