Duisburg. Vorbild Düsseldorf: Warum diese Duisburgerin (29) über 15.000 Unterschriften sammelt, um DVG-Strafanzeigen für „Schwarzfahren“ zu verhindern.

Zwischen 2500 und 3500 Strafanzeigen stellt die Duisburger Verkehrsgesellschaft (DVG) nach eigenen Angaben pro Jahr, weil Fahrgäste wiederholt ohne gültiges Ticket Bus oder Bahn gefahren sind. Dies soll die DVG in Zukunft nicht mehr dürfen. Eine entsprechende Online-Petition an den Rat der Stadt Duisburg hat Nadine Bendahou (29) am 27. Juni 2024 gestartet und binnen kürzester Zeit 15.228 Unterschriften (Stand Montag, 22. Juli, 15.40 Uhr) gesammelt.

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Die Kreissprecherin der Duisburger Linken, die als Pflegefachkraft in Ruhrort arbeitet, freut sich über so viel Zuspruch und plädiert dafür, es bei „Schwarzfahren“ bei einem erhöhten Beförderungsentgelt von 60 Euro zu belassen. „Langfristig fordern wir Linken einen kostenlosen ÖPNV, aber dies wäre ein erster Schritt“, so Bendahou. Sie erklärt den Hintergrund ihrer aktuellen Online-Petition: „Die Kriminalisierung des Fahrens ohne Fahrschein schafft und verstärkt Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft.“

Forderung: DVG soll keine Strafanzeigen mehr wegen Fahrens ohne Ticket stellen

Wer die Straftat der „Beförderungserschleichung“ begeht, könne sich oft einen Fahrschein nicht leisten – und in der Folge auch nicht die mit einer Strafanzeige verbundenen Geldstrafen, die unabhängig von den 60 Euro zu zahlen sind. Bendahou spricht von einer weiteren Schikane und einer nicht stemmbaren finanziellen Belastung. „Bei Nicht-Zahlung werden die Betroffenen zur Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt“, sagt die 29-Jährige. „Diese Strafe steht offensichtlich in keinem Verhältnis zur sogenannten ,kriminellen Handlung‘, die durch das Fahren ohne Fahrschein begangen wurde. Armut darf nicht ins Gefängnis führen.“

Wie oft kommen „Schwarzfahrer“ ins Gefängnis, die von der DVG eine Strafanzeige erhalten haben und eine Geldstrafe nicht zahlen können? Felix Bachmann, Sprecher der Duisburger Staatsanwaltschaft, hat sich zu dieser Frage geäußert.
Wie oft kommen „Schwarzfahrer“ ins Gefängnis, die von der DVG eine Strafanzeige erhalten haben und eine Geldstrafe nicht zahlen können? Felix Bachmann, Sprecher der Duisburger Staatsanwaltschaft, hat sich zu dieser Frage geäußert. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Doch wie häufig kommt dies tatsächlich vor? „Nur in ganz, ganz wenigen Fällen – und oft auch nur dann, wenn andere Vorstrafen vorliegen“, erklärt Felix Bachmann, Sprecher der Staatsanwaltschaft Duisburg auf Nachfrage der Redaktion. Es gebe dazu keine explizite Statistik, „aber beim ganz großen Teil der Strafanzeigen werden die Verfahren wegen Fahrens ohne gültiges Ticket entweder eingestellt oder nur kleine Geldstrafen verhängt“, so Bachmann.

Weisung: Rheinbahn in Düsseldorf verzichtet bereits auf Strafverfolgung von „Schwarzfahrern“

Nadine Bendahou sagt, dass ihr Vorstoß auch zu einer Entlastung der Justiz führe und andere Städte ihre Forderung bereits umgesetzt haben – Düsseldorf zum Beispiel. Dort hatte der Stadtrat in seiner Sitzung im Juni 2023 mit den Stimmen von Partei-Klima-Fraktion, Grünen, SPD, Linken und FDP beschlossen, dass die Rheinbahn auf Basis einer offiziellen Weisung auf die Strafverfolgung von „Schwarzfahrern“ verzichten solle.

„Folglich stellen wir seitdem keine Strafanzeige mehr, verfolgen bei Verstößen jedoch weiterhin die zivilrechtlichen Forderungen in Form eines erhöhten Beförderungsentgeltes in Höhe von 60 Euro“, betont Katharina Natus, Sprecherin des Verkehrsunternehmens. „Wird das nicht fristgerecht gezahlt, geben wir diese Forderung nach wie vor an ein Inkasso-Unternehmen weiter. An diesem Vorgehen hat sich nichts geändert.“

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Außerdem habe der politische Beschluss bisher keine erkennbaren Auswirkungen auf die Zahl der Fahrgäste, die seitdem ohne Ticket erwischt worden sind. „Die Beanstandungen liegen auf einem konstanten Niveau“, sagt die Rheinbahn-Sprecherin. Die Quote liege, bezogen auf die Gesamtzahl der Fahrgäste, jedes Jahr um zwei Prozent und habe sich nur aufgrund einer Aufstockung der Ticket-Prüfer nach Ende der Corona-Pandemie erhöht.

Rheinbahn und DVG: Schaden von mehreren Millionen Euro

Gleichwohl betont die Rheinbahn, dass ihr im Jahr geschätzte vier Millionen Euro an Einnahmen durch Fahrgäste ohne gültiges Ticket entgehen. „Diese Kosten müssen dann von der Gemeinschaft über Steuergelder ausgeglichen werden“, so Natus.

Bei der DVG liegt der Schaden bei etwa 1,5 bis zwei Millionen Euro im Jahr. „Allgemeine Untersuchungen sowie die Erkenntnisse aus unseren Kontrollen ergeben, dass im Schnitt drei Prozent der Fahrgäste ohne gültiges Ticket unterwegs sind“, sagt Kathrin Naß, Sprecherin der Verkehrsgesellschaft. 2022 waren es demnach coronabedingt „nur“ 15.475, die erwischt worden sind, 2023 insgesamt 26.980 und in diesem Jahr bisher 14.622 (Stand 10. Juli 2024).

Bei der DVG liegt der Schaden durch Fahren ohne Ticket bei etwa 1,5 bis zwei Millionen Euro im Jahr, sagt Sprecherin Kathrin Naß.
Bei der DVG liegt der Schaden durch Fahren ohne Ticket bei etwa 1,5 bis zwei Millionen Euro im Jahr, sagt Sprecherin Kathrin Naß. © Daniel Tomczak / DVV | Daniel Tomczak

Das wiederholte Vergehen, betont Naß mit Blick auf die aktuelle Petition, müsse eine Straftat bleiben. So sieht das grundsätzlich auch der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Durch das Herabstufen zu einer Ordnungswidrigkeit werden laut DVG vor allem die ehrlichen Fahrgäste bestraft, „die das Fahren ohne Ticket am Ende über die Ticketpreise mitbezahlen müssen“, argumentiert die Sprecherin. „Dies belastet dann überwiegend Haushalte, die mit wenig Einkommen auskommen müssen sowie den kommunalen Haushalt.“

„Die abschreckende Wirkung einer drohenden Freiheitsstrafe darf nicht verloren gehen.“

Kathrin Naß, Sprecherin der DVG.

Sie betont: „In der Regel werden zwischen 70 und 90 Prozent der Strafen direkt bei der DVG beglichen.“ Allerdings dürfe die abschreckende Wirkung einer drohenden Freiheitsstrafe als letzte Konsequenz nicht verloren gehen.

Fahrgastverband Pro Bahn plädiert für befristeten Test

Lothar Ebbers, Pressesprecher des Fahrgastverbands Pro Bahn NRW, kennt die aktuelle Petition von Nadine Bendahou. „Man sollte einmal genau überprüfen, wie effizient Strafanzeigen bei wiederholtem Fahren ohne Ticket sind“, so Ebbers. „Außerdem: Haben Sie schon mal einen notorischen Falschparker ins Gefängnis wandern sehen? Da sollte ein ,Schwarzfahrer‘ nicht härter bestraft werden. Vielleicht wäre es gut, wenn die DVG mal zunächst für einen befristeten Zeitraum auf Strafanzeigen verzichtet.“

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Darüber hinaus betont er, dass „Schwarzfahren“ nicht nur mit dem Einkommen, sondern auch mit der Zufriedenheit mit dem Verkehrsunternehmen zusammenhänge. Grundsätzlich sei es erstaunlich, wie viele Fahrgäste ohne Ticket bei den Schwerpunktkontrollen in Duisburg erwischt werden.

Antrag der Linken im Rat

Nadine Bendahou rührt derweil weiter die Werbetrommel für ihre Petition, die online auf www.change.org zu finden ist. Kürzlich hat sie an der Haltestelle „Hamborner Rathaus“ mit Unterstützern öffentlichkeitswirksam Flyer und 180 Fahrscheine gratis an ÖPNV-Nutzer verteilt. Die 29-Jährige will noch so viele Unterschriften wie möglich sammeln. Sie sollen dann Teil eines entsprechenden Antrags der Linken in der September-Sitzung des Rates der Stadt Duisburg sein. „Ich hoffe, dass sich möglichst viele Fraktionen der Forderung anschließen.“