Duisburg/Moers. Felix van Kluth hat einen Schlaganfall überlebt. Jetzt spricht er ganz offen über dramatische Momente – auch wenn es immer noch weh tut.

Es ist der 16. Dezember 2023, ein ganz normaler Wintermorgen. Das Weihnachtsfest steht vor der Türe, das erste als kleine Familie: Nur wenige Monate zuvor sind Felix van Kluth und seine Lebensgefährtin Anna Burchert Eltern geworden.

Söhnchen Wim sitzt brabbelnd in seinem Hochstuhl, der Frühstückstisch ist noch gedeckt. Van Kluth steht auf, um abzuräumen. Er hat viel vor an diesem Tag, seinem ersten Urlaubstag, will zuerst das Kinderzimmer renovieren, abends noch auf eine Feier. Doch zu all dem kommt es nicht mehr. Alles Leichte, alles Selbstverständliche – an diesem Dezembermorgen ist es vorbei, mit einem Schlag.

Schlaganfall zerreißt Leben in ein „Davor“ und „Danach“

Für das Interview mit der Redaktion ist Schlaganfall-Patient Felix van Kluth für einen kurzen Besuch in die Sana-Kliniken Duisburg zurückgekehrt – dorthin, wo er vier Wochen lang auf der Intensivstation lag.
Für das Interview mit der Redaktion ist Schlaganfall-Patient Felix van Kluth für einen kurzen Besuch in die Sana-Kliniken Duisburg zurückgekehrt – dorthin, wo er vier Wochen lang auf der Intensivstation lag. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Es ist nur ein Moment, doch er zerreißt das ganze Leben, unterteilt es in ein „Davor“ und ein „Danach“. Anna Burchert kann sich noch gut erinnern an diesen einen Augenblick, wenige Tage vor dem Fest. „Felix fasste sich an die Stirn, ich fragte ihn, was los sei, aber er antwortete nicht.“

Motorisch sei da plötzlich etwas nicht in Ordnung gewesen, beschreibt die Grundschullehrerin. Instinktiv war ihr klar: Das hier ist keine der Migräneattacken, die ihren Partner schon seit langem quälten. Das hier ist ernst. Tatsächlich hatte Felix van Kluth einen Schlaganfall erlitten – mit gerade mal 39 Jahren.

Familienvater war die ganze Zeit bei Bewusstsein

Niemand rechne damit. Aber ein Schlaganfall könne jeden treffen, in jedem Alter, in jeder Lebenssituation, sagt van Kluth. Deswegen will er seine Geschichte erzählen, auch wenn sie immer noch weh tut. Denn auch er kann sich noch gut an diesen Morgen erinnern: Er war die ganze Zeit bei Bewusstsein, erlebte alles mit.

Wie er die Butter in den Kühlschrank stellen wollte, aber ins Taumeln geriet. Wie er es gerade noch auf die Couch schaffte. Wie die Rettungssanitäter eintrafen, man ihn in den Krankenwagen trug. Wie er dachte, jetzt sei er gerettet, aber sich zunächst kein Krankenhaus fand, das ihn versorgen konnte. Wie er schließlich nach Duisburg gefahren und – endlich – auf der „Stroke Unit“ der Sana-Kliniken aufgenommen wurde, in einer Abteilung, die auf Fälle wie ihn spezialisiert ist. Die Ankunft habe er noch mitbekommen, erzählt van Kluth rückblickend. Dann sei es schwarz um ihn herum geworden.

„Vom Scheitel bis zur Sohle, alles war taub“

Es folgte eine „lebensrettende Operation“, wie die Ärzte betonen, darauf ein mehrtägiges „Schlafenlassen“. Irgendwann wachte van Kluth wieder auf, aber sein Alptraum war nicht vorbei. „Ich fühlte mich dumpf, wie in einem falschen Film“, beschreibt der Schlaganfall-Überlebende, der Worte zwar noch verstehen, aber nicht mehr artikulieren konnte. „Kein rechtes Bein, kein rechter Arm, keine Sprache, vom Scheitel bis zur Sohle, alles war taub.“

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Der 39-Jährige spricht langsam, teils wie mechanisch, stets hoch konzentriert. „Mir fehlen oft die Begriffe, dann muss ich umstrukturieren und habe sofort das nächste Problem.“ Denn nicht für alles, was er sagen wolle, reiche seine Mundmotorik aus. Und auch beim Schlucken sei „noch nicht alles wieder im Lot“.

Gespräche seien deswegen „maximal anstrengend“, erklärt van Kluth, der vier Wochen auf der Intensivstation bleiben musste. Heute, etwas mehr ein halbes Jahr nach dem Schlaganfall, ist ihm die Anstrengung immer noch anzusehen: Wiederholt schließt van Kluth die Augen, durchsucht seinen Kopf nach den richtigen Ausdrücken. Dann bricht er ab und setzt von vorne an, den linken Zeigefinger an die Oberlippe gelegt.

Dass Felix van Kluth wieder sprechen kann, ist großes Glück

Felix van Kluth mit seinen Ärzten: Oberärztin Dr. med. Martina Nolden-Koch, Neurologin, und Prof. Dr. med. Wilhelm Nacimiento, Chefarzt der Klinik für Neurologie.
Felix van Kluth mit seinen Ärzten: Oberärztin Dr. med. Martina Nolden-Koch, Neurologin, und Prof. Dr. med. Wilhelm Nacimiento, Chefarzt der Klinik für Neurologie. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Es ist etwas Berührendes in diesen Gesten, in diesen inneren Kämpfen, denen sich der junge Familienvater stets aufs Neue stellen muss. Von außen ist nur zu erahnen, wie viel Willen er dafür braucht. Wie viel pure Lebenskraft ihn antreibt. Auch wenn er Zeit braucht beim Sprechen – dass der junge Moerser sich inzwischen überhaupt wieder artikulieren kann, ist ein großes Glück.

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Denn direkt nach dem Schlaganfall setzten ihm die Ärzte des Sana-Klinikums drei Stents ein, hielten ihn damit im Leben. Die Beweglichkeit in der rechten Körperhälfte und seine Stimme konnte ihm die OP aber nicht wiedergeben. Durch den Schlaganfall verlor van Kluth seine Stimme „zu einhundert Prozent“.

Eine „tägliche Vorführung des falschen Films“

Nach dem Aufwachen auf der Intensivstation musste der Moerser mit einem Logopäden jedes noch so winzige Wörtchen neu lernen, übte tagelang, um nur einen einzigen Ton herauszubringen. Gleichzeitig arbeitete er mit Ergo- und Physiotherapeuten hartnäckig daran, seinen Körper wieder unter Kontrolle zu bekommen.

Als „tägliche Vorführung des falschen Films“, beschreibt der Patient die Zeit, in der er eingesperrt war in sich selbst. Die Hoffnung aber gab er nie auf, dachte stets nur von Augenblick zu Augenblick. Immer weitermachen und die kleinen Erfolge feiern, das wurde van Kluths Motto.

Ein Bild aus dem Krankenhaus: „Das war Heiligabend, ich begrüße meine Familie nebst Sohn“, erinnert sich Felix van Kluth. Seinen rechten Arm habe er nicht bewegen können. „Hing wie ein nasser Sack nach vorne. Mein rechtes Bein ebenso, vom Gesicht ganz zu schweigen.“ Aber er habe sich unerlaubterweise von den Geräten losgemacht. „Das hätte leicht in die Hose gehen können, aber ich wollte meiner Familie und nicht zuletzt mir selbst zeigen, dass es mir besser geht.“
Ein Bild aus dem Krankenhaus: „Das war Heiligabend, ich begrüße meine Familie nebst Sohn“, erinnert sich Felix van Kluth. Seinen rechten Arm habe er nicht bewegen können. „Hing wie ein nasser Sack nach vorne. Mein rechtes Bein ebenso, vom Gesicht ganz zu schweigen.“ Aber er habe sich unerlaubterweise von den Geräten losgemacht. „Das hätte leicht in die Hose gehen können, aber ich wollte meiner Familie und nicht zuletzt mir selbst zeigen, dass es mir besser geht.“ © privat | Felix van Kluth / Anna Burchert

Heute sagt er, genau das habe ihn stark gemacht. Diese Fähigkeit, Probleme zerlegen zu können und immer nur den nächsten Schritt anzugehen. „Repariere zuerst, was repariert werden kann, und bau dann darauf auf“, zitiert van Kluth. Sein Ziel sei also nicht gewesen, die rechte Körperseite „komplett wieder in Ordnung“ zu bringen. „Sondern erstmal, irgendwie wieder selbstständig laufen zu können.“

Und tatsächlich: Nicht nur das Laufen klappt inzwischen wieder. „Ich kann wieder Rad fahren und Auto und habe viele Freiheiten zurück“, resümiert van Kluth. Er hat sich ins Leben zurückgekämpft, auch wenn es oft nicht einfach war. Denn Rückschläge gab es immer wieder. Aber der 39-Jährige gab nicht auf. Dafür sorgte auch der kleine Wim, den van Kluth „seinen größten Motivator“ nennt.

„Ich möchte für ihn da sein, ich möchte ein guter Vater sein“, sagt der Moerser. Sein Gesicht wird weich, wenn er von seinem Sohn spricht. Kraft gibt ihm aber auch seine Lebensgefährtin. Von Anfang an war sie an seiner Seite, hat sich in ihrer Elternzeit nicht nur um den kleinen Wim gekümmert, sondern auch ihren Mann unterstützt.

„Dieses Denken von Tag zu Tag habe ich verinnerlicht“

Dabei musste auch sie vor allem eines lernen: Die anfängliche Panik zu überstehen und geduldig zu sein, mit sich, mit ihrem Partner und vor allem mit dessen einzelnen Körperfunktionen. Denn die kommen – wenn überhaupt – erst nach und nach wieder zurück. „Dieses Denken von Tag zu Tag, das habe ich total verinnerlicht“, sagt Anna Burchert.

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Zum Glück sei ihr Mann schon immer ein Mensch gewesen, der sich auch an kleinen Dingen freuen könne. „An einem schönen Lied zum Beispiel“, sagt sie. „Oder einem Bauwerk mit technischer Raffinesse, von so was kann ich stundenlang schwärmen“, fügt van Kluth hinzu, und beide lachen.

In diesen Momenten scheinen die Mühen der vergangenen Monate weit weg zu sein. Und doch, das weiß das Paar: Vor der Familie liegen noch weitere Herausforderungen. Gemeinsam werden sie sie annehmen und angehen. Van Kluth hat sich klare Ziele gesetzt, will seine Ausbildung zum Heilerziehungspfleger abschließen, irgendwann in den Job. So viel wie möglich zurückbekommen vom Leichten, Selbstverständlichen. Denn der Schlaganfall hat ihn getroffen. Aber nicht gebrochen.

„Time is brain“: Das rät ein Überlebender im Falle eines Schlaganfalls

„Diese Nahaufnahme kam in den ersten Tagen zustande, die ich bewusst erlebte. Nährsonde inklusive“, beschreibt Felix van Kluth.
„Diese Nahaufnahme kam in den ersten Tagen zustande, die ich bewusst erlebte. Nährsonde inklusive“, beschreibt Felix van Kluth. © privat | Felix van Kluth / Anna Burchert
  • Felix van Kluth möchte andere über das Thema Schlaganfall aufklären. Wichtig ist ihm dabei vor allem der Satz „Time is brain“, also „Zeit ist Gehirn“.
  • Denn je schneller ein Schlaganfall-Patient Hilfe bekommt, umso größer ist die Chance, ohne oder nur mit verhältnismäßig wenigen Behinderungen zu überleben.
  • Van Kluth appelliert deshalb an alle: Bei einem Schlaganfall gehe es nicht darum, dass etwas, „das von alleine gekommen“ sei, auch „von alleine wieder weggehe“. „Sofort einen Rettungswagen rufen“ laute die Devise.
  • Patienten, die beim akuten Anfall alleine seien, rät er, Notrufnummern ins Handy einzutragen und eine Smartwatch zu tragen. „Am besten sollte jeder für sich schon im Vorfeld einen Plan gemacht haben, wie man sich Hilfe holen kann.“

Schlaganfall in jungen Jahren ist oft nicht vorhersehbar

  • Den „einen“ typischen Schlaganfall-Patienten gibt es nicht. Zwar gehört ein ungesunder Lebensstil mit Bewegungsmangel, Rauchen oder Fehlernährung zu den klassischen Risikofaktoren. Aber ein Schlaganfall kann grundsätzlich jeden treffen, auch in jungen Jahren.
  • Dabei lässt sich der sogenannte „juvenile Schlaganfall“, also der Schlaganfall bei Menschen unter 55 Jahren ohne erkennbare Risikofaktoren, nicht vorhersehen.
  • Auch bei Felix van Kluth entwickelte sich der Schlaganfall spontan: Es kam unbemerkt zu einer kleinen Verletzung in der Gefäßinnenwand der Halsarterie (eine sogenannte Dissektion). Diese wiederum führte zu einem Blutgerinnsel, das schließlich die Durchblutungsstörung im Gehirn auslöste.