Duisburg/Oberhausen. Der Kronzeuge der Staatsanwaltschaft ändert vor dem Landgericht zentrale Punkte seiner bisherigen Aussage. Vor dem Saal klicken die Handschellen.
Paukenschlag im Rocker-Prozess um die Ermordung des Hells Angels Kai M. am Landgericht Duisburg: Die Polizei hat den Kronzeugen nach dem letzten Verhandlungstermin am Donnerstag noch vor dem Saal festgenommen und in Handschellen abgeführt. Ramadan I. wird eine Falschaussage vorgeworfen. Vor seiner Festnahme hatte der Kronzeuge entscheidende Passagen seiner bisherigen Aussage noch einmal korrigiert.
Es geht konkret um die Rolle von Francesco G., dem verbliebenen Hauptangeklagten, bei der Erschießung von Kai M. und der anschließenden Zerstückelung und Beseitigung von dessen Leiche. Bislang galt G. als rechte Hand des eigentlichen Schützen Ramin Yektaparast. Er sollte dem früheren Hells Angels-Boss die Waffe gereicht haben und beim Mord anwesend gewesen sein, hieß es. Nun berichtet der Kronzeuge, der Angeklagte sei mit ihm und weiteren Beteiligten vor der eigentlichen Tat davon gegangen. Nicht G. habe ihm anschließend berichtet, dass mehr als ein Dutzend Schüsse auf das Opfer eingeprasselt sein sollen, sondern Yektaparast. Nicht von G. wisse er, dass Kai M. mehrfach aufgestanden und wieder zu Boden gestürzt sei, sondern von Yektaparast.
Mutmaßlicher Schütze Yektaparast im Iran getötet
G. schweigt seit Prozessbeginn, Yektaparast wurde Ende April wohl im Iran getötet, in den er sich abgesetzt hatte. „Er hat seine gerechte Strafe bekommen“, sagt I. am Donnerstag. Die Aussagen des Kronzeugen sind das entscheidende Beweismittel der Staatsanwaltschaft, deshalb sind seine nun gemachten Korrekturen so bedeutend. Seine Glaubwürdigkeit stand schon öfter im Fokus des Prozesses, der im Juli vor zwei Jahren begann und nun auf die Zielgerade geht. Das in Duisburg lebende Opfer war vor zehneinhalb Jahren in Mönchengladbach in einen Hinterhalt gelockt und getötet worden. Die Leichenteile tauchten später getrennt auf. Auf die Spur der mutmaßlichen Täter kamen die Behörden erst nach Jahren, nachdem der Kronzeuge sich offenbart hatte.
Kronzeuge I. hatte sich von sich aus noch mal an das Gericht gewandt, um seine Korrekturen öffentlich zu machen. Dass er G. zunächst schwer belastet habe, erklärt I. mit „persönlichen Gründen“. Er habe sich von dem Angeklagten, den er seit der Kindheit kenne und der sein Trauzeuge sei, im Stich gelassen gefühlt, als er Stress im Milieu gehabt habe und Verwandte bedroht worden seien. Vor allem aber habe er gehofft, dass auch G. „einknickt und auspackt“ - gegen Yektaparast. Vor dem hätten sie alle gleichermaßen Angst gehabt und sich nach der Ermordung von Kai M. gefragt: „Wer ist der nächste?“ „Ramin war der Kopf“, sagt I., „der war der, der das letzte Wort hatte und den Ton angegeben hat.“
Kronzeuge: „Die Gerichtigkeit soll für alle siegen“
I. sagt, der Tod Yektaparasts sei ein entscheidender Anstoß gewesen, seine Angaben zu korrigieren und G. damit zu entlasten. Aber selbst wenn der Rocker-Boss noch lebte, hätte er sich zum Ende des Prozesses noch mal äußern wollen: „Die Gerechtigkeit soll für alle siegen.“
Alle anderen Angaben, die er gemacht habe, seien die Wahrheit, sagt der Kronzeuge: „Die Geschichte stimmt komplett bis auf den Punkt, wo ich den belaste.“ Das gelte auch mit Blick auf den Tatbeitrag des zweiten verbliebenen Angeklagten, der die Leiche des Opfers nach der Tat zerteilt haben soll.
Ob er vor seinen Korrekturen bedroht worden sei, will das Gericht wissen. „Nein“, antwortet der Kronzeuge. Ob ihm Belohnungen oder Versprechungen für die geänderte Aussage gemacht worden seien? „Nein.“
Gericht will Haftbefehl gegen Angeklagten aufheben
Der Mutter des Opfers, die Nebenklägerin ist, hat I. am Telefon auch schon mal erzählt, dass nicht Yektaparast, sondern G. der Schütze gewesen sein soll. Sie konfrontiert den Kronzeugen emotional angefasst damit. Auch diese Aussage sei dagegen nur von Ärger über G. getrieben gewesen, antwortet der. Die Mutter plagt eine große Sorge. „Ich werde nie erfahren, wer abgedrückt hat.“ Und schlimmer noch - in Gedanken an ihren getöteten Sohn: „Ich konnte ihn nicht vollständig beerdigen. Es kam alles kleckerweise bei mir an. Der Kopf ist immer noch in der Gerichtsmedizin.“ Der Angeklagte G. verfolgt all das mit einem regungslosen Gesicht.
Die Staatsanwaltschaft glaubt, dass die zuerst bei den Ermittlungsbehörden gemachten Aussagen den Kronzeugen die korrekten sind. Am Freitag soll gegen I. ein Haftbefehl erwirkt werden, wegen zahlreicher vor allem Drogen- und Vermögensdelikte ist der Kronzeuge selbst kein unbeschriebenes Blatt. Der Haftbefehl gegen G. soll nach der angepassten Aussage nun aufgehoben werden. Direkte Konsequenzen hat das erstmal nicht. G. verbüßt wegen bandenmäßigen Drogenhandels derzeit ohnehin eine mehrjährige Haftstrafe.
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Die Körpersprache und das Verhalten von I. vor Gericht tragen wenig dazu bei, seine Glaubwürdigkeit zu erhöhen. Störrisch wirkt er, wiederholt Formulierungen oft, mal schweift er aus, mal will er nicht so recht antworten - so war es schon bei den letzten Vernehmungen im vergangenen Sommer. Es ist bisweilen schwer, ihm zu folgen. Auch am Donnerstag hält er seine Hände keine Sekunde still, streicht sich durchs Gesicht, verrenkt den Körper, dreht das Mikro vor ihm hin und her, knetet fortwährend eine FFP-Maske und fummelt einer Wasserflasche. „War es das?“, fragt er, als er aus dem Zeugenstand entlassen wird. Die Antwort bekommt er auf dem Flur.