Duisburg. Manche Venator-Mitarbeiter wissen schon, dass sie das Duisburger Werk verlassen. Andere bangen um ihre Jobs: „Heute ist kein Tag zum Jubeln.“
Die Essenberghalle an der Bruchstraße ist ein Ort der schlechten Nachrichten für viele Beschäftigten von Venator in Duisburg-Homberg. Im Februar hörten sie dort in einer Betriebsversammlung, dass der Konzern über die Hälfte der Stellen im Werk abbauen will. Und nun, dass der Stellenabbau besiegelt ist – wenn auch mit einem Sozialplan, auf den sich Konzern und Betriebsrat geeinigt haben.
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„Heute ist kein Tag zum Jubeln“, sagt Nathalie Niemuth, als sie die Halle über den Hinterausgang verlässt. Sie arbeitet seit 39 Jahren im Kraftwerk und ist sich schon jetzt sicher: „Ich werde das Werk schweren Herzens verlassen und mir eine neue Stelle suchen.“
Stellenabbau bei Venator in Duisburg: „Es bleibt ein totales Scheiß-Gefühl“
Mit 59 Jahren sei sie die älteste Mitarbeiterin im Kraftwerk. Entsprechend schwer sei es für sie, noch eine neue Stelle zu finden. „Aber die Abfindung ist nicht so hoch, dass ich jetzt einfach in den Ruhestand gehen könnte. Ich brauche auf jeden Fall eine neue Stelle.“ Sie habe bereits erste Angebote, aber nicht in der Region und für ganz andere Tätigkeiten.
Sie ist ein wenig erleichtert darüber, dass es nun einen Sozialplan gibt, mit dem Beschäftigte das Werk bis zum 5. Juli gegen eine Abfindung freiwillig verlassen können. „Ich will mir nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn 462 Mitarbeiter einfach gekündigt worden wären.“ Dennoch bleibe für sie „ein totales Scheiß-Gefühl“.
Viele Venator-Mitarbeiter bangen um ihre Jobs
Solche Worte sind von vielen Beschäftigten zu hören, die nach der Betriebsversammlung am Donnerstagmittag noch kurz an der Halle bleiben, um die gehörten Infos zu verdauen. Eine Frau schmeißt ihre blaue Arbeitsjacke über die Schulter, klammert sich an ihrer Zigarette fest und sagt: „Ich bin verwirrt und muss das alles erst einmal verarbeiten.“
Ein Mitarbeiter im Labor, der anonym bleiben möchte, erklärt, dass die Arbeitsplätze seiner ganzen Gruppe mit bislang zwölf Mitarbeitern gestrichen würden. „Mich wird es dann wohl auch treffen, dann müsste ich das Werk nach 36 Jahren verlassen.“ Dabei denkt er auch an seine Kollegen: „Es ist hart, dass es so viele Mitarbeiter trifft.“
Selbst diejenigen, die nicht um ihren Arbeitsplatz fürchten, äußern ihre Enttäuschung über den Stellenabbau. So zum Beispiel Patrick Ley, der in der Logistik des Mutterkonzerns in England arbeitet: „Bei dieser Versammlung hatten viele ein Aha-Erlebnis. Es kann jetzt jeden treffen, in fast allen Bereichen in Duisburg werden Jobs gestrichen.“
Gewerkschafter zum Sozialplan: „Das habe ich noch nie gesehen“
Bei der Versammlung am Donnerstag hat Guido Freisewinkel gesprochen. Er ist Gewerkschaftssekretär der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) Niederrhein und verdeutlicht: „In der Halle saßen rund 450 Mitarbeiter. Wenn man nach rechts und links schaut, konnte man also sicher sein, dass viele der Anwesenden ihren Job verlieren.“
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Er wirft dem Konzern vor, bei den Verhandlungen gemauert zu haben. Die Gespräche scheitern zu lassen und eine Einigungsstelle einzuberufen, habe den Prozess verzögert. Nun stünden die Beschäftigten unter Druck: „Sie müssen sich innerhalb einer Woche entscheiden, ob sie gehen. Das habe ich so noch nie erlebt.“
Betriebsratsvorsitzender: „Haben das maximal Mögliche herausgeholt“
Im Gespräch mit Uwe Sova, dem Vorsitzenden des Venator-Betriebsrats in Duisburg, hört man gemischte Gefühle heraus. Einerseits ist er froh, dass Konzern und Betriebsrat überhaupt auf einen Nenner gekommen sind. Als die Verhandlungsgespräche im April scheiterten, bezeichnete der Betriebsrat das Angebot des Arbeitsgebers als „unterirdisch und absolut inakzeptabel“.
Nun hätten beide Seiten eine „einvernehmliche Lösung“ gefunden. Genauso wie der Arbeitgeber spricht auch Sova davon, „das maximal Mögliche“ für die Beschäftigten herausgeholt zu haben. So freut es ihn, dass Mitarbeiter durch den Sozialplan die Möglichkeit haben, das Werk freiwillig zu verlassen. „Gerade für langjährige, ältere Mitarbeiter können die Bedingungen noch sehr attraktiv sein.“
Der Betriebsrat habe „die ein oder andere Stelle retten können“, zum Beispiel in den Bereichen Wartung und Entwicklung. Auch habe er einen höheren Faktor bei der Berechnung der Abfindung ausgehandelt und dafür gesorgt, dass die Dauer der Betriebszugehörigkeit dabei nicht gedeckelt berücksichtigt wird, wie es der Konzern vorgehabt habe.
Betriebsrat hätte sich „üppigeres Freiwilligenprogramm“ gewünscht
Trotzdem seien die Bedingungen schlechter als bei den Stellenkürzungen in 2014/15 und 2019/20. Sova habe sich „ein üppigeres Freiwilligenprogramm“ gewünscht, bei dem sich mehr Mitarbeiter gemeldet hätten. „Jetzt ist es nicht auszuschließen, dass es auch betriebsbedingte Kündigungen im erheblichen Ausmaß geben wird.“
Was ihn auch betrübt: „Wir haben viele Quereinsteiger im Unternehmen, die als Kfz-Mechaniker, Einzelhandelskaufmann oder Informationselektroniker angefangen, sich hochgearbeitet und inzwischen sogar eine Meister-Anstellung haben“, erklärt Sova. Ohne entsprechende Zertifikate sei es für sie aber schwer, anderswo einen ähnlich gut bezahlten Job zu bekommen.
Aus von Venator wäre „ein sehr starker Einschnitt für die Region“
Trotz des Sozialplans sei der Stellenabbau im Werk ein harter Schlag für die Belegschaft: „Keiner der Mitarbeiter hätte je gedacht, dass so etwas an diesem Standort passieren kann. Wir waren immer der Mercedes unter den Titandioxidherstellern.“ Fehler seien vor allem im Management von Huntsman und Venator nach den Übernahmen gemacht worden.
Auch die Homberger Verbundenheit zum alten Firmennamen Sachtleben leide stark, meint der Betriebsratsvorsitzende: „Für die Stadt ist Sachtleben ein Inbegriff, er ist Tradition und der größte Arbeitgeber in der Umgebung. Wenn dieses Unternehmen geht wie damals Krupp Rheinhausen, wäre dies ein sehr starker Einschnitt für die Region.“
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>> Titandioxidproduktion eingestellt: Das passiert mit den Anlagen und Flächen
- Am 1. Februar hat Venator angekündigt, viele Stellen im Homberger Werk abbauen und Titandioxid bald nur noch in Uerdingen produzieren zu wollen. Die Produktion wurde in Duisburg bereits eingestellt, der Transfer nach Uerdingen sei in acht Monaten möglich, sagte die Konzernführung im Mai.
- Wie die Flächen genutzt werden, auf denen bislang noch die Produktionsanlagen für Titandioxid stehen, überlege das Unternehmen gerade. Es prüfe, „bis zu welchem Grad die Anlagen zurückgebaut werden müssen und wie viel der Rückbau kostet“, erklärt Fried-Walter Münstermann aus dem Board des Konzerns.
- „Wir reden parallel mit Interessenten und sind auch in ersten Gesprächen mit der Stadt Duisburg“, so Münstermann. Die Stadt habe angeboten, zusammen mit einem Stahlunternehmen zu prüfen, wie die Flächen genutzt werden können.