Duisburg-Marxloh. Erdoğan oder Kılıçdaroğlu? Am Sonntag wählt die Türkei. 40.875 Duisburger waren wahlberechtigt. Wie ist die Stimmung unter ihnen? Eine Umfrage.
Viele sprechen von einer Schicksalswahl. Wer wird die Türkei nach den Wahlen am Sonntag künftig regieren? Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan (AKP) oder Oppositionskandidat Kemal Kılıçdaroğlu (CHP)? Es zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen ab – das tausende Duisburgerinnen und Duisburger mit Spannung verfolgen. In Duisburg leben nach Angaben der Stadt 40.875 volljährige Menschen mit einem türkischen Pass. Sie alle konnten sich hierzulande an der türkischen Parlaments- und Präsidentschaftswahl beteiligen, ihre Stimmen bis Dienstagabend im türkischen Generalkonsulat in Düsseldorf abgeben. Wie ist die Stimmung vor der Wahl in Marxloh? Die Redaktion hat sich auf der Brautmodenmeile und bei Kommunalpolitikern im Stadtteil umgehört.
„Ja, ich war wählen, aber nicht das Oppositionsbündnis. Die Parteien passen nicht zusammen. Da kommt nur Chaos raus“, sagt Ahmet. Seinen Nachnamen möchte er nicht nennen. Auch alle anderen Befragten möchten lieber anonym bleiben. Wie die beiden Schwestern, die übereinstimmend sagen: „Wir haben Erdoğan gewählt. Er ist einfach der beste Kandidat.“ Die Wahl ist für die Frauen wichtig: „Unsere Eltern sind schon zurück in die Türkei gegangen und wir wollen auch irgendwann zurück.“
In Duisburg hat Recep Tayyip Erdoğan offenbar noch immer viele Anhänger
Viele der in Marxloh angesprochenen Passanten winken ab, wollen nicht mit einer fremden Journalistin reden. Oder haben die deutsche Staatsangehörigkeit – und dürfen nicht wählen.
„Wenn ich wählen dürfte, dann Erdoğan“, sagt eine 19-Jährige, die darüber nachdenkt, die türkische Staatsangehörigkeit zu beantragen. Der Amtsinhaber hat hier offenbar immer noch viele Anhängerinnen und Anhänger, trotz der Wirtschaftskrise in der Türkei und der Probleme beim Erdbeben-Management, für die die Opposition dort die Machthaber verantwortlich macht.
[Nichts verpassen, was in Duisburg passiert: Hier für den täglichen Duisburg-Newsletter anmelden.]
„Für die meisten hier ist die Wirtschaftskrise ein Fake. Sie sagen, dass die Cafés in Istanbul doch voll seien. Tatsächlich sind das meist Touristen“, berichtet Deniz Güner, CDU-Ortsvorsitzender in Marxloh, der den Wahlkampf und Wahltag in der Türkei verfolgt. Mehr noch: „Viele Türken in Deutschland profitieren von der schwachen Lira und dem starken Euro“, erklärt Güner. „Das gilt für Urlauber, Menschen, die Immobilien in der Türkei kaufen wollen oder Geschäfte mit dem Land machen.“
Einmischung von deutschen Politikern kommt in der türkischen Community nicht gut an
Was bei der Umfrage in Marxloh auch auffällt: Die Äußerungen deutscher Politiker mit türkischen Wurzeln, zum Beispiel von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne), kommen hier nicht gut an. „Er soll sich um die Politik hier kümmern. Politiker wie er repräsentieren nicht die Masse der Türken in Deutschland. Sie wollen uns umerziehen“, meint ein Gastronom. „Hätte Özdemir den Mund gehalten, würden weniger Türken Erdoğan wählen. So sagen sie: Jetzt erst recht!“ Der Mann prophezeit, dass Erdoğan in Deutschland ein neues Rekordergebnis erzielen wird: „Er kommt sicher auf über 70 Prozent.“
Erkan Üstenay, Mitglied der SPD-Fraktion der Bezirksvertretung Hamborn und Vorsitzender des Integrationsrats, wundert das nicht: „Das ist eine Trotzreaktion. Viele fühlen sich hier immer noch nicht akzeptiert.“ Die Grundhaltung sei: „Lasst uns doch einfach wählen. Was geht euch das an?“ Die Bewertungen deutscher Politiker fänden viele nicht akzeptabel: „Was würden wir Deutsche sagen, wenn sich Politiker aus der Türkei in unsere Wahlen einmischten?“
„Menschen wollen konservative, religiöse Partei an der Macht in der Türkei“
Dass viele nicht reden wollen oder anonym bleiben wollen, wundert Melih Keser, Vorstandsmitglied der Grünen, nicht. Er meint: „Man geht mit dem Thema nicht so offen um. Und redet vor allem nicht mit Deutschen viel darüber. Gerade Erdoğan-Anhänger sagen: ,Wenn ich erzähle, dass ich ihn wähle, bin ich direkt abgestempelt.’“ Generell sei die Wahl eher eine emotionale Angelegenheit: „Es wird wenig über Inhalte gesprochen, vieles läuft über Gefühle.“
„Die meisten Menschen hier wünschen sich, dass die aktuelle konservativ-religiöse Partei in der Türkei an der Macht bleibt“, beobachtet Cafer Kaya, Vorsitzender von Rhenania Hamborn. „Die jetzige Regierung war anfangs wirtschaftlich erfolgreich. Die Menschen hoffen wieder auf bessere Zeiten. Sie denken, wenn jemand Neues kommt, wird es wirtschaftlich noch schlechter und die Rechte der religiösen Menschen werden eingeschränkt.“
Cafer Kaya hofft, dass es in der Türkei friedlich bleibt – egal, wer die Wahlen gewinnt. Zumindest darauf können sich sicher die meisten Menschen einigen.
>> Die Wahlbeteiligung ist im Vergleich zur Wahl 2018 gestiegen
- Nach Angaben des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung in Essen haben in den vier Generalkonsulatsbezirken in NRW (Düsseldorf, Essen, Köln und Münster) 254.000 Menschen gewählt.
- Das sind etwa neun Prozent mehr als bei der Wahl im Juni 2018. Bundesweit ist die Beteiligung nach Medienangaben nur um drei Prozent gestiegen.
- Im Bezirk des Generalkonsulats Düsseldorf, zu dem Duisburg gehört, wurden rund 76.000 Stimmen abgegeben. Hier ist die Steigerung mit 13 Prozent noch einmal höher. „Das sind die Zahlen, die mir vorliegen. Sie sind aber noch nicht offiziell bestätigt“, sagte Yunus Ulusoy vom Zentrum für Türkeistudien im Gespräch mit der Redaktion.