Duisburg-Homberg. Im heutigen Duisburg kam 1951 ein siamesisches Zwillingspaar auf die Welt. Das Ereignis landete vor Gericht. Was über den Fall noch bekannt ist.
Es war eine kurze Meldung, die am 16. Juni 1951 die Titelseite dieser Zeitung zierte. Fast schon unscheinbar, ganz unten auf der Seite, die im großen Stil die Aussprache zwischen Bundeskanzler Konrad Adenauer und dem italienischen Ministerpräsidenten de Gasperi titelt. „Siamesische Zwillinge geboren“, steht dort in dicken Buchstaben über dem Hinweis „Homberg, 15. Juni“. Darunter nur drei knappe Sätze: „Zwei Mädchen, die an den Köpfen zusammengewachsen sind, wurden Freitag in Homberg am Niederrhein geboren. Nach ärztlicher Ansicht sind sie lebensfähig. Es sei nicht möglich, sie durch Operation zu trennen.“
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Später haben es Chirurgen dennoch gewagt. Über das Schicksal der beiden Mädchen ist nicht viel bekannt, dem Duisburger Stadtarchiv liegen nicht viele Informationen zu dem Ereignis vor. Mit Unterstützung des Vereins „Freundeskreis Historisches Homberg“ konnte es aber zumindest herausfinden, dass Ärzte versucht haben, die zusammengewachsenen Kinder zu trennen.
Siamesische Zwillinge aus Homberg: Trennende OP überlebte ein Mädchen nicht
Demnach haben die Zwillinge nach der Geburt „wohl drei bis vier Jahre mit den zusammengewachsenen Köpfen gelebt“, berichtet Sebastian Hiedels als Sprecher der Stadtverwaltung. Die dann erfolgte OP hat eines der Mädchen nicht überlebt. Das war’s. Mehr Anhaltspunkte hat die Stadt nicht. Lediglich die Information, dass der Vater der Mädchen offenbar bei der Post in Homberg arbeitete, konnten die Archivare noch liefern.
Aufschluss, welche Kreise die Geburt der Zwillinge zog, geben weitere Berichte dieser Redaktion. Einen nächsten Hinweis gibt es in der Ausgabe vom 20. Juni 1951, also wenige Tage nach der Geburt. Dort informiert ein knapper Text, dass die Zwillinge laut Auskunft des Krankenhauses „wohlauf“ sind, „der Gesundheitszustand ist wie bei normalen Säuglingen der Entwicklung in den ersten drei Tagen entsprechend“, heißt es.
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Die Mädchen würden zum Teil mit Muttermilch, zum Teil künstlich ernährt werden. Eine Röntgenaufnahme sei allerdings noch nicht möglich. „Der behandelnde Arzt erklärt, dass die Aufnahmen auch in nächster Zeit noch nicht gemacht werden. Wahrscheinlich soll erst noch ein Chirurg hinzugezogen werden“.
Siamesische Zwillinge im heutigen Duisburg: Ereignis vor Gericht
Die Säuglinge seien so kurz nach der Geburt noch „zu zart“, um der „etwas härteren Behandlung“ ausgesetzt zu werden. Die Mutter, die mittlerweile unterrichtet wurde, habe die Nachricht laut Auskunft des Krankenhauses zudem gefasst aufgenommen.
In seiner Größe deutlich prominenter ist ein Bericht, der am 6. September 1951 erschienen ist. „Siamesische Zwillinge – keine Persönlichkeiten der Zeitgeschichte“. Das Ereignis landete vor dem Moerser Amtsgericht – Homberg gehörte bis bis zur Auflösung Ende 1974 zum Kreis Moers, ehe die Eingemeindung in die Stadt Duisburg erfolgte. Was war passiert? Unmittelbar nach der Geburt der Mädchen haben ein „junger Journalist“ sowie ein Pressefotograf Aufnahmen der „unglücklichen Kinder“ gemacht und sie an eine ganze Reihe von Zeitungen gesendet, heißt es in dem Artikel. „Sie taten dies ohne Erlaubnis des Vaters“.
Fotos von Zwillingen in Homberg veröffentlich: Recht am eigenen Bild?
Der Prozess war Ausgangslage für eine Grundsatzfrage: Was gilt als Zeitgeschehen, und wo ist es in Ordnung, damit so an die Öffentlichkeit zu gehen? Der Artikel spricht von einem Gesetz, das noch heute gültig ist: Das Recht am eigenen Bild. „Eine Ausnahme wird nur insoweit zugelassen, als Erscheinungen im Leben der Gegenwart, die vom Volk beachtet werden, große Aufmerksamkeit finden und Gegenstand der Teilnahme oder Wissbegier weiter Kreise sind, als ‘Person oder Ereignisse der Zeitgeschichte’ gelten. In diesem Falle ist eine persönliche Erlaubnis zum Bilde nicht notwendig“, heißt es.
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Ist das in der Causa Siamesische Zwillinge der Fall? „Nein“, urteilt das Gericht in einem Zwischenurteil. Der Vater der Mädchen verlangte zuvor, dass die Journalisten die Zeitungen angeben, welche das Foto veröffentlicht haben. Außerdem beharrte er auf die aus dem Verkauf des Bildes eingenommene Summe.
Gericht urteilt zu Zwillingen aus Homberg: Kein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit
Das Urteil hatte eine grundsätzliche Bedeutung für zukünftige journalistische Arbeit, „da in den gerichtlichen Entscheidungsgründen entschiedene Werturteile über die heutige Presse abgegeben werden“. Das Gericht kam zu dem Entschluss, dass persönliche Schicksale – im Artikel ist die Rede von „unliebsamen Ereignissen“ – keine Grundlage sind, um sie für das „Unterhaltungs- und Sensationsbedürfnis“ dem Tagesgeschehen zu überführen. Im Artikel steht dazu wörtlich: „Die Veröffentlichung eines Bildes einer menschlichen Missgeburt, mag sie noch so merkwürdig sein, dient eben nicht der Befriedigung eines ‘berechtigen Interesses’ der Öffentlichkeit, sondern vielmehr nur der Stillung der Sensationslust“.
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Kurios: Obwohl der Familienvater gegen die Veröffentlichung des Fotos klagte, stellte er einem anderen Medium mehrere Fotos freiwillig zur Verfügung. Das Gericht geht davon aus, dass er hierfür auch ein Honorar bekam. Der Richter kam im Teilurteil zu dem Entschluss: Die Journalisten müssen die Zeitungen, die ohne Zustimmung der Familie das Foto veröffentlicht haben, nennen.
Siamesische Zwillinge aus Homberg: Tumult auf einem Volksfest
Rund ein halbes Jahr später, am 24. April 1952, berichtet die Zeitung über einen Revisionsprozess am Klever Landgericht. Die Journalisten haben Berufung gegen das Urteil aus Moers eingelegt, das Landgericht wies sie zurück. Urteil: Die aus der Veröffentlichung der Bilder erhaltenen Honorare müssen an die Zwillinge abgegeben werden. Außerdem berichtet der Artikel, dass die Zwillinge sich noch immer im Krankenhaus befinden und wohlauf sind. „Nach wie vor wird beabsichtigt, die beiden, die an den Köpfen zusammengewachsen sind, zu trennen. Jedochweiß vorläufig noch kein Chirurg, ob das möglich sein wird“.
Über ein Jahr später, am 21. Juni 1953, ist in einer Meldung erneut von den Zwillingen die Rede. Die Meldung spricht von einem Tumult im rund 300 Kilometer von Homberg entfernt liegenden Aschaffenburg. „Auf richterliche Anordnung wurden die Kinder, die von einem Schausteller auf dem Volksfest in Aschaffenburg gezeigt wurden, von einem Gerichtsvollzieher unter Polizeischutz mit einem Krankenwagen nach Homberg gebracht“, heißt es.
Siamesische Zwillinge aus Homberg: Mutter erlitt einen Nervenzusammenbruch
Zuvor hatte das Amtsgericht Celle im Auftrag des Homberger Jugendamtes zwei Verfügungen erlassen – „dass das Zurschaustellen der Kinder nur dem Gelderwerb diene und die Zwillinge in einer Klinik besser aufgehoben seien als im Schaustellerwagen“. Die Mutter der Zwillinge verweigerte laut Bericht der Polizei den Zutritt zum Wagen und schloss ihn ab. Ein Schlosser musste schließlich die Tür aufbrechen. „Beim Abtransport der Kinder erlitt die Mutter einen Nervenzusammenbruch“. Das weitere Schicksal des überlebenden Zwillings verliert sich im Dunkeln der Geschichte.