Duisburg. Das südamerikanische “Capoeira“ verbindet Kampfkunst mit Rhythmus und Musik. Übungsstunden für den in Deutschland nur spärlich vertretenen Sport werden im Gymnastikraum des Steinbart-Gymnasiums angeboten. Zuschauer sind beeindruckt von der Akrobatik in Verbindung mit ein wenig Schauspiel.

Dumpfe Bässe und tiefkehliger Gesang sind die Wegweiser in die Kellerräume im Dellviertel. Ein Sprachen-Mix aus portugiesischen und afrikanischen Lauten lassen - ob man will oder nicht - Schultern und Oberschenkelpaare zucken. „Alo-hale“, singt Tobias Kroker, die Anwesenden folgen. 19 Duisburger spielen gerade „Capoeira“, einen brasilianischen Kampf-Tanz und eine eher unbekannte Kampfsportart, in der Rhythmusgefühl die bloße Fausteskraft schlägt.

Musik ist unabdingbar will man „Capoeira“ verstehen: Wir „Fliehen gerade aus dem Alltag“, erklärt Kroker, eigentlich Heilpraktiker doch seit zehn Jahren auch Trainer der Gruppe. Er meint das gemeinsame Singen zu Beginn einer jeden Übungsstunde hier im Gymnastikraum des Steinbart-Gymnasiums. „Capoeira“, das ist Lateinamerika mit seiner Leidenschaft, mit seiner Einfachheit und seinem unverkennbaren Rhythmus. Selbst in den kargen Sporträumen schwingt er durch die Luft. Capoeira sei „immer auch ein Schauspiel“, erklärt Kroker später, als Robin Gottlieb und „Gorilla“ sich in der „Roda“, dem rituellen Kampf-Kreis, gegenüberstehen. Da passt das Musizieren gut.

Doch bis zum Kampf dauert es noch. Fast die Hälfte des dreistündigen Trainings nämlich bleibt die Musik der Mittelpunkt. „Probiert es einfach mal aus, es gibt kein Richtig oder Falsch“, sagt Kroker. Und das nächste Lied erklingt.

Musik bestimmt den Sport

Er und seine Mitstreiter spielen die Lieder selbst. Eine Seltenheit, komme die Musik doch bei vielen der wenigen Capoeira-Gruppen in Deutschland vom Band. In seiner Hand hält er ein „Berimbau“, einem Jagd-Bogen, mittels eines Bambuskürbisses zu einem Klangkörper umgebaut. Seine Worte gehen an Jameil (9), Robin (10) und Aaliya (12). Die drei Schüler sind heute zum ersten Mal mit in der Runde. In ihren Händen bestaunen sie eine „Cabassa“, eine große Trommel, und ein „reco reco“, eine Eisenratsche. Die Instrumente hat die Gruppe selbst gebaut. Die alteingesessenen „Capoeirista“ singen inbrünstig ein „Umba-Oh-Oh“. Jameil singt verlegen mit.

Drei neue Gesichter an diesem Tag, das ist ungewöhnlich für den Kreis. Denn Capoiera ist alles andere als eine Trendsportart. „Es gab vor sechs, sieben Jahren mal eine Phase, da war es auch in Fitnessstudios angesagt“, erinnert sich der 31-jährige Kroker. Damals hatte auch seine Gruppe über dreißig Teilnehmer, zwölf davon sind übrig geblieben. Auch die beiden Mütter die ihre Kinder begleitet haben, staunen über die Eigenartige des „Capoeira“. Ob ihre Kleinen so etwas hier erwartet haben? Sie zucken mit den Schultern.

Ursprung in Zebratänzen

Kroker selbst hatte vor zehn Jahren seine erste Begegnung mit dem südamerikanischen Kampftanz. Als Student in Gießen hatte er bereits einige Kampfsportarten erlernt. Und genauso schnell wieder verworfen. Doch durch sein „Faible für Musik und Bewegung“ und der Suche nach etwas neuem traf er eines Tages auf einen „Capoeira-Maestro“. Heute weiß er: „Ich fand hierin meine Passion.“

Es folgte eine dreimonatige Reise nach Brasilien, der Heimat der einst aus afrikanischen „Zebratänze“ entstandenen und im Untergrund der schwarzen Sklaven ausgeübten Sports. Dort lernte er die Seele des „Spiels“, so wird der Kampf bei Capoeira genannt, kennen. Er gründete kurz darauf den Duisburger Verein.

Aus eben jener Hochzeit der Bewegung stammen auch Stefan Petersen und Martin Wojcicki, und sind bis heute der Gruppe treu geblieben. Stefan nennen sie „Galo“, der Hahn. Wegen seine Stimme und Martin „Gorilla“. Wegen seines Affenhaften Tanzes. Es sind ihre Capoeira-Namen, die sie nach einem halben Jahr des Trainings erhalten haben. Beide waren schon immer an Kampfsport interessiert. Stefan, der Lehrer aus Marxloh, traf die Gruppe um Martin Kroker im Wald als er Gitarre spielte. „Das was die da gemacht haben, sah aus wie im Film Matrix. Das wollte ich auch können.“ Bei Martin, 24 und Student, war es die Abizeit. „Capoeira“, das sagen sie alle unisono, ist für sie „Akrobatik, Kampf“ und vor allem „Freundschaft“. Der große Unterschied zu anderen Kampfsportarten, betonen sie.

Capoeirista „bezahlen“ für das Spiel

Doch nun ruht die Freundschaft. Lächelnd „kaufen“ Martin und Robin Gottlieb mit einer Geste ihr Duell von den „Maestros“, den Meistern, auf der Holzbank. „Erst dann darf man in die ‘Roda’ eintreten“, erklärt Kroker. Diese wird von Menschen gebildet, sie zeichnen das Spielfeld. Die Meister spielen den Takt, die beiden Kontrahenten das Spiel. Und es wird schnell: Aus der „Ginga“, der Grundbewegung, folgen „Esquivas“ (Ausweichschritte) „Desequilibriantes“ (Würfe) und „Traumatizantes“ (Betäubungsschläge). Martin und Robin wirbeln umher. Die Schläge sind abgesprochen, abgestimmt. Nur deshalb verletzen sie nicht. Ein Rad-Schlag aber landet fast am Kopf eines im Kreis Sitzenden.

„Fast wie bei mir damals“, erinnert sich Robin nach dem Kampf: „Beim ersten Training bekam ich einen Tritt ins Gesicht.“ Kroker hatte damals gesagt, den Jungen müsse man schlagen, damit er wiederkommt. Und das tut er jetzt seit neun Jahren.